Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Den Teufel auch«, brummte van Roeken leise vor sich hin. »Du malst mir die Sache viel schwärzer aus, als ich sie mir je gedacht habe! Mit bösem Willen ist da wahrhaftig auch gar nichts geschehen, denn daß ich damals keine Ahnung hatte, meine jetzige Frau je zu heiraten, weißt du wohl besser, als ich es dir sagen könnte.«

»Und warum hast du sie geheiratet? Warum nicht wenigstens mit einer festen Zusage gewartet, bis du Antwort aus Deutschland hattest? Du magst die Sache drehen, wie du willst, und gesetzlich magst du dich vollkommen frei und schuldlos wissen – moralisch aber, Leopold, hast du nicht gehandelt, und das schlimmste dabei ist, du kannst das begangene Übel nicht einmal wieder sühnen.«

»Und du glaubst nicht, daß sie sich mit dem – mit der Summe«, sagte van Roeken verlegen, »begnügen wird? Mißversteh mich nicht«, setzte er rasch hinzu, als ihn Wagner erstaunt ansah, »ich meine nicht, daß sie mehr Geld verlangen würde, was ich ihr von Herzen gern gäbe – ich meine nur, ob sie das Geld nicht doch vielleicht mit der – mit der Zurücksetzung aussöhnen würde? Zum Henker auch, Wagner, wenn ich mir die Sache richtig überlege, muß ich dir gestehen, daß sie mich halb und halb reut. Ich hätte eigentlich den tollen Brief gar nicht schreiben sollen, da er aber einmal geschrieben war, auch das Resultat abwarten müssen. Wir sind aber hier so sehr gewohnt, alles mit Geld abzumachen, daß ich auch hierüber nie ernsthaft nachgedacht habe und die Sache vollständig mit dem Unterschreiben meines Wechsels erledigt glaubte. Außerdem kam mir die Heirat mit meiner jetzigen Frau so rasch und unerwartet – sie war dabei so verdammt in Eile, und ich – sehnte mich so nach einer dauerhaften und geordneten Häuslichkeit...«

»Daß du Hals über Kopf in ein Verhältnis sprangst«, sagte Wagner ruhig, »um das dich keiner deiner Freunde beneidet. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und es ist auch geschehen und nicht mehr zu ändern. Jetzt sage aber, was hier geschehen soll, um wenigstens einigermaßen wiedergutzumachen oder doch zu mildern, was du verbrochen hast.«

»Hilf du mir, mein Junge«, bat aber van Roeken, den Arm des Freundes fester pressend, »du hast Vollmacht von mir, zu tun, was dir richtig und gut dünkt. Disponiere über irgendeine Summe, fasse die Sache so zart an, wie – wie sie es verdient und wie du es für gut findest, aber erspare mir und – der jungen Dame für jetzt ein Begegnen, das nur für beide Teile höchst unangenehm und schmerzlich sein könnte.«

»Hättest du mich früher zu deinem Vertrauten gemacht«, sagte Wagner erregt, »so wäre dir und mir wie jenem armen Mädchen dieser fatale Moment und manche trübe Stunde erspart worden, und jetzt soll ich ausbaden, was du von Anfang an von Grund auf verdorben hast. Aber ich will es doch übernehmen, nicht deinetwegen, van Roeken, glaube das nicht, denn für recht und billig hielt' ich es, daß du das, was du schamlos angebahnt hast, auch büßen und ertragen müßtest, aber – des armen Mädchens wegen, das völlig allein dieses fremde Ufer betritt!«

»Wäre es denn nicht möglich«, rief van Roeken, von einem neuen Gedanken erfaßt, »ihr wenigstens das Unangenehme einer solchen Entdeckung zu ersparen? Wenn ich nun in der Zeit gestorben wäre und dir aufgetragen hätte, für sie zu sorgen? Batavia gilt für ein verteufelt ungesundes Klima; ein solcher Todesfall würde ihr also ganz denkbar scheinen; persönlich kennt sie mich ebenfalls nicht, und Scharner könnte man ja die ganze Sache aufrichtig schreiben.«

»Du vergißt, daß wir nicht gleich am nächsten Tag Gelegenheit haben, sie zurückzubefördern«, sagte Wagner, »und daß sie inzwischen an Land kommen muß, wo sie leicht von anderer Seite, und dann noch viel verletzender, die Wahrheit erfahren könnte. Wir wissen überhaupt nicht, ob sie, selbst in diesem Fall, Java gleich wieder verlassen will, und können sie doch nicht zwingen. Überlegung verdient dein Vorschlag aber jedenfalls. Hast du überhaupt hier in Batavia noch zu jemandem von dieser Idee gesprochen?«

»Niemandem – nur – nur zu Heffken, der am nächsten Morgen zufällig mit mir zusammentraf.«

»Der wäre gerade der letzte, den ich zu meinem Vertrauten wählen würde«, sagte Wagner finster und bestimmt, »aber er weiß wenigstens nicht, daß du sie jetzt erwartest.«

»Der Teufel soll es holen«, fluchte van Roeken ärgerlich vor sich hin, »gerade er kam mir heute wieder in den Weg, als ich das Geschäft verließ.«

»Und du sprachst mit ihm darüber?«

»Ich hatte den Kopf voll von der Geschichte, denn Scharner zeigt mir in seinem Brief an, daß die junge Dame mit der Rebecca am 9. August abgesegelt sei, und wenn sie eine glückliche Reise habe, könnte sie jeden Tag hier eintreffen. Daß die verwünschte Mail auch gerade im vorigen Monat auf den Sand laufen mußte; wenn aber einmal ein Unglück sein soll, so kann man sich auch fest darauf verlassen, daß alles zusammenkommt, die Geschichte nur noch immer tiefer in den Schlamm hineinzureiten.«

»Das ist freilich schlimm«, sagte Wagner seufzend, »wäre die Sache unter uns geblieben, so hätte sich noch möglicherweise ein Ausweg finden lassen, aber so, mit Heffken als Mitwisser –«

»Wenn man nun mit ihm spräche und ihn bäte...«

»Um Gottes willen nicht!« rief Wagner rasch. »Heffken ist ein außerordentlich tüchtiger Geschäftsmann, und auch sonst kann man ihm, was seinen Charakter anbetrifft, nichts Böses nachsagen; er ist aber der boshafteste, schadenfroheste Mensch unter der Sonne und – wenn mich nicht alles täuscht – weder dir noch mir sehr freundlich gesinnt.«

»Da irrst du dich!« rief van Roeken rasch, »Heffken ist mir so viele Verbindlichkeiten schuldig, daß ich schon deswegen fest überzeugt sein darf, er würde mir den Gefallen mit Vergnügen tun.«

»Es ist möglich, und ich will es wünschen«, sagte Wagner. »Verbindlichkeiten bewirken aber gar nicht selten gerade das Gegenteil von dem, was wir vernünftiger- und rechtlicherweise erwarten könnten. Wie dem aber auch sei, sage ihm nichts weiter; er weiß ohnehin schon mehr als gut und nötig war, und weiteres Vertrauen könnte die Sache nur verschlimmern. Hast du ihm das Schiff genannt, mit dem sie kommt?«

»Nein.«

»Desto besser, dann ist auch noch nicht alles verraten. Gib mir aber jetzt Zeit zum Überlegen, und ich will sehen, was sich in der Sache tun läßt, um das Zartgefühl jenes armen Mädchens soviel wie möglich zu schonen. Um dir jedoch zu beweisen, daß ich nicht ganz ohne Grund deswegen besorgt hin, gebe ich dir hier Scharners Brief – du magst ihn mir morgen früh wieder mitbringen. Ich weiß nicht, was er dir geschrieben hat, lies aber, was er mir über die junge Dame sagt, die er darin noch einmal meiner besondern Fürsorge empfiehlt.«

»Aber ich brauche den Brief gar nicht.«

»Lies es«, bestand aber Wagner darauf, »und sieh dann selber, welches Unheil du mit deinem Leichtsinn angerichtet hast. Es ist die geringste Strafe, die ich dir auferlegen kann, und du darfst sie nicht geschenkt bekommen.«

»Und versprichst du mir«, sagte van Roeken, »daß du die Sache so gut wie irgend möglich für mich abmachen willst – damit ich auch – damit ich auch meiner Frau gegenüber nicht kompromittiert werde?«

»Höre, Roeken«, sagte Wagner, »ich fürchte fast, sie ist bei deiner Reue der gewichtigste Grund. Wie dem aber auch sei, nicht deinet- oder deiner Frau, sondern des Mädchens wegen will ich tun, was in meinen Kräften steht. Mach aber dann auch wenigstens das Übel nicht ärger, als es schon ist, und rede mit keinem Menschen, wer er auch sei, weiter darüber. Wenn du den Brief gelesen hast, wirst du mir selber recht geben, daß das Ganze nicht zart genug behandelt werden kann, hast du doch ohnehin schon rauh genug in ein armes, mißhandeltes Leben eingegriffen, das seine ganze und letzte Hoffnung gerade auf dich gesetzt hatte. Und nun gute Nacht! Hier ist dein Haus, und wenn ich mich nicht irre, sehe ich im Portico auch deine Frau. Ich bin aber heute nicht in der Stimmung, ihr noch Tabé zu sagen; also gute Nacht, Leopold – morgen sprechen wir weiter darüber.« Er reichte van Roeken die Hand, die dieser herzlich schüttelte, und wandte sich dann dem unterdessen heranfahrenden Bendi entgegen. Nur einen Augenblick blieb er noch draußen im Garten stehen, um die erste Begrüßung der beiden Gatten mit anzusehen.

Mevrouw van Roeken stand auf den steinernen Stufen des Porticus unter den brennenden Astrallampen, die ihr Licht dort den ganzen Abend einsam und allein ausgegossen. Die Batavier hassen aber ein dunkles Haus, und wenn auch die Herrschaft nicht zu Haus ist, darf die Beleuchtung doch trotzdem nicht fehlen. Mevrouw van Roeken, eine kleine, fast etwas zu korpulente, aber doch ziemlich behende Gestalt mit rabenschwarzem Haar, ebensolchen Augen und einem etwas mehr als sonnengebräunten Teint, hatte das Fuhrwerk vor dem Gartentor gehört und stand dort, ihren Gatten erwartend.

»Nun ja, Tuwan van Roeken!« rief sie ihm in ihrer wunderlichen Sprachweise, halb malaiisch, halb holländisch, entgegen. »Segala djangang, daß du nur einmal wieder zurückgekommen bist.«

»Aber, mein Schatz, ich wußte dich in Gesellschaft.«

»Betoel – in Gesellschaft, bei solch einem goempah – nach Haus bin ich gelaufen, um hier zu sterben, und keine Seele hier – und in der kalten Nachtluft.«

»Aber warum bist du nicht zu Bett gegangen?«

»Sekarang bagimana tidor tiada bohlih – allein hier, wenn alle Türen offenstehen.«

»Aber, mein süßes, liebes Herz...«

»Baik, baik, komm nur herein, du bist ein Ungeheuer, das mich noch unter die Erde...«

Wagner verstand nichts weiter; die Dame war indessen in das Haus getreten, wohin ihr van Roeken langsam folgte, und der junge Deutsche schritt kopfschüttelnd auf sein in der Zwischenzeit langsam herangekommenes Fuhrwerk zu, um damit die eigene Heimat aufzusuchen.


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