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Mit diesen Worten, während Nitschke zum Haus zurückeilte, sprang er in den Wagen, und eben wollten die Pferde anziehen, als ein dunkler Schatten aus den Bäumen herausschlüpfte und rief: »Tuwan Horbach! Auf ein Wort – bitte, nur einen Augenblick.«
»Hallo, wer ist da?« rief Horbach, sich aus dem Wagen herauslehnend. In diesem Augenblick fiel das Licht der Fackeln auf den Herbeikommenden, und der Weiße erkannte seinen alten Diener Tojiang, der schüchtern zur Carreta trat. »Nun, Tojiang, was gibt's – willst du etwas von mir?«
»Will nichts, Tuwan«, sagte Tojiang zurückhaltend, denn er wußte recht gut, daß Horbach alle Ursache gehabt hatte, ihn fortzujagen. »Möchte nur etwas fragen – aber nicht hier – ein Stückchen mehr da drüben.«
»Hm, ein Geheimnis?« sagte der Weiße, der unwillkürlich an Heffken dachte. »Hast du mir etwas zu sagen?«
»Nein, Tuwan, nur zu zeigen«, erwiderte der Malaie, indem er einem der Fackelträger die Fackel abnahm, denn Horbach war wieder aus dem Wagen gesprungen und schritt jetzt an seiner Seite ein paar Schritte in die Büsche hinein, damit seine Leute am Wagen nicht hören konnten, was sie miteinander sprachen.
»Nur zu zeigen? Und was ist das?«
Tojiang sah sich um und holte dann aus seiner Jackentasche vorsichtig das heute von Klapa erhaltene Goldstück hervor, das er in das Licht der Fackeln hielt. Dann fragte er leise: »Ist das Stück wirkliches Gold?«
Horbach sah ihn an, und es konnte ihm nicht entgehen, daß der sonst so schlaue Bursche hier nicht wußte, wie er mit dem Goldstück stand. Wo aber hatte er die Doublone her? Und Doublonen waren, wie er bei van Roekens mehrmals hörte, mit in dem bei Heffken erbrochenen Geldschrank gewesen; steckte Tojiang mit dahinter?
»Woher hast du das?« fragte er, den Burschen fixierend.
»Oh – nur auf der Straße gefunden«, erwiderte dieser leichthin. »Sah es im Staub glänzen und dachte, ich nehme es mit.«
»Hm, so?« erwiderte Horbach und fühlte dabei, daß mit einer direkten Frage nichts aus dem durchtriebenen Gesellen herauszubekommen war. Er mußte es auf andere Weise versuchen.
»So?« sagte er gleichgültig. »Nun, dann hast du auch nichts daran verloren. Ich glaubte erst, es hätte dir jemand das Ding im Handel gegeben; dann wärst du freilich schlimm betrogen worden.«
»Es ist kein Geld?« fragte der Bursche bestürzt.
»Geld, ja«, sagte Horbach, »eine Münze der Chinesen, aus irgendeinem wertlosen Metall wie unsere Knöpfe gemacht. Sie wird etwa zehn oder zwölf Deute kosten.«
»Der Schuft!« platzte Tojiang heraus, »der nichtsnutzige Spitzbube!«
»Was? – ich denke, du hast das Ding gefunden?« lachte Horbach.
»Nein!« rief Tojiang, wenn auch noch immer mit unterdrückter Stimme, denn der Zorn über Klapas vermuteten Betrug gewann jetzt bei ihm die Oberhand. »Nicht gefunden hab' ich's, sondern der schuftige...« Er brach plötzlich ab und sagte verstockt, indem er die Hand wieder nach der Münze ausstreckte: »Aber was tut's, ich mach' es schon wieder wett mit dem Patron.«
»Halt einmal, Kamerad«, sagte aber Horbach, indem er die Hand mit dem Goldstück zurückzog. »Da wir einmal so viel von der Sache wissen, möchten wir auch gern noch mehr erfahren. Wo hast du das Stück her?«
»Gebt mir's zurück, Tuwan«, erwiderte Tojiang kopfschüttelnd, »ich darfs und will's nicht sagen – geht auch niemanden etwas an, wenn ich eben damit zufrieden bin.«
»Meinst du?« lachte Horbach. »Das wollen wir dann doch einmal sehen. Komm mit herein zu Tuwan Wagner.«
»Nein, Tuwan!« rief Tojiang erschrocken, indem er seinen Arm faßte. »Hilft Euch auch nichts mehr, denn der, der es mir gegeben hat ist lange auf seinem Weg in die Berge. Guter Bursche sonst, sehr guter Bursche – wollen aber nichts weiter davon reden.«
»So kommst du nicht davon, mein Freund!« rief aber Horbach, jetzt fest entschlossen, der ihm verdächtigen Sache weiter nachzuforschen. Heffken hatte den Diebstahl auf Nitschke zu bringen versucht, ihn selber auch schon einmal, eines anderen Verdachts wegen, in Haft gebracht, Heffken haßte sie beide aus Herzensgrund. Das wußte er ebensogut, und er selber haßte den kleinen Buchhalter nicht um einen Gran weniger. Jetzt fand sich vielleicht die Gelegenheit, ihm heimzuzahlen, was er ihm schon seit langem schuldete.
Ohne sich deshalb an Tojiangs Sträuben oder Bitten zu kehren, faßte er diesen am Kragen und führte ihn ohne weiteres in Wagners untere Halle hinein, wo er eben Nitschke und Wagner zusammen bei Tisch traf, ihr Abendbrot zu verzehren. Wagner hatte Nitschke gefragt, wer bei ihm gewesen sei, und der hatte ihm Horbachs Namen, aber nicht den Zweck seines Besuchs genannt, und beide glaubten, daß Horbach schon lange wieder das Anwesen verlassen habe. Er überraschte sie deshalb vollkommen, als er mit einem »Guten Abend, meine Herren – wünsche gesegnete Mahlzeit, wie sie bei uns daheim sagen«, zu ihnen trat und den etwas bestürzten Tojiang ohne weiteres in den Schein der Lampe führte. »Muß allerdings um Entschuldigung bitten, wenn ich vielleicht störe, kann es aber nicht ändern, denn die Sache verträgt keinen Aufschub«, setzte er dann hinzu.
»Sie lieben die Überraschungen, Herr Horbach«, sagte Wagner.
»Finden Sie?« lachte der junge Mann, indem er sich das wirre Haar durch eine rasche Kopfbewegung aus der Stirn warf. »Für diese sind Sie mir aber vielleicht dankbar, denn es wäre möglich, daß ich Sie auf eine Spur unseres gemeinsamen Freundes – du verstehst mich schon, Nitschke – brächte.«
»Das wäre herrlich!« rief Nitschke, der sich bei Horbachs so plötzlichem Erscheinen nicht ganz wohl gefühlt hatte.
»Hier wenigstens«, sagte Horbach, indem er das Goldstück auf den Tisch warf, »ist, wenn ich mich nicht irre, ein Span von dem alten Block, den unser Freund Tojiang in Besitz hatte. Leider will er nicht eingestehen, von wem er es bekommen hat, und wir werden ihn deshalb wahrscheinlich der Polizei übergeben müssen.«
Wagner hatte die Doublone aufgenommen und ihr Gewicht mit der Hand geprüft.
»Sie könnten recht haben«, sagte er; »aber wollen Sie sich nicht setzen? Einen Teller für den Herrn.«
»Ich danke bestens«, wehrte Horbach ab, »ich habe schon mit Mevrouw van Roeken diniert und esse überhaupt nie viel.«
»Also nur ein Glas dann.«
»Das klingt schon besser, meine Leber hat einen sehr trockenen Untergrund.«
»Also, Tojiang«, sagte Wagner, während er Horbachs Glas vollschenkte, ohne den Malaien dabei anzusehen, »du willst nicht sagen, woher du das Goldstück hast?«
»Kann nicht, Tuwan«, versicherte Tojiang, »guter Freund – sehr guter Mensch – ist ein Christ geworden – braver Orang – hat es wahrscheinlich gefunden.«
»Schön – Sapáda! Meine Carreta, aber rasch – ein paar frische Pferde, um hinunter zum Stadthaus zu fahren. Du wirst uns begleiten, Tojiang.«
»Aber, Tuwan!«
»Die Polizei wird deinen braven Orang schon herausbekommen. Sie interessiert sich für derartige Christen.«
Tojiang schwieg. Wagner und Nitschke beendeten indessen ihr Essen, und Horbach leerte sein Glas und füllte es selber wieder. Niemand schien weiter auf den Malaien zu achten, bis nach einer Weile der bestellte Wagen vorfuhr.
»Haben wir das Vergnügen Ihrer Gesellschaft, Herr Horbach?«
»Ich muß sehr bedauern«, sagte der Trinker, indem er den Rest der Flasche in sein Glas goß, »aber ich habe einem Freund versprochen, ihn etwa um diese Zeit zu treffen. Sie brauchen mich auch weiter nicht dabei; ein Verhör findet doch heut abend nicht mehr statt, und der Bursche hier wird einfach eingesperrt, bis morgen die Gerichtsbeamten kommen.«
Er hatte seine Antwort absichtlich malaiisch gesprochen, daß ihn Tojiang verstehen sollte, und dieser fühlte sich augenblicklich nicht ganz wohl bei der Sache. Niemand kümmerte sich aber weiter um ihn. Horbach nahm seinen Hut wieder, Wagner und Nitschke ebenfalls, und Wagner winkte ihm, voran zum Fuhrwerk zu gehen. Sollte er wirklich auf die Polizei geschafft werden?
»Aber, Tuwan«, sagte er kläglich, »wenn das Ding da nur höchstens zehn oder zwölf Deute wert ist, dann würde es gar nicht die Mühe lohnen, so viel Umstände deshalb zu machen.«
»Zehn oder zwölf Deute?« sagte Wagner erstaunt.
»Einerlei, mein Bursche«, fiel Horbach ein, »das Stück ist irgendwo in der Stadt gestohlen; an einem daran befindlichen Zeichen hab' ich es erkannt, und mit dem Stück noch eine Menge wertvoller Sachen. Wird es nun bei dir gefunden, und du kannst nicht angeben, woher du es hast, so versteht es sich von selbst, daß man dich für den Dieb hält.«
»Und wenn ich sage, wer es mir gegeben hat, wollt Ihr dann machen, daß ich mit der ganzen Sache nichts weiter zu tun habe?«
»Das verspreche ich dir«, sagte Horbach.
»Gut denn!« rief Tojiang trotzig, »er hat's auch eigentlich nicht besser verdient; warum betrügt er mich jedesmal.«
»Und wie heißt der Er?«
»Klapa von Tjanjor.«
»Das dacht' ich mir etwa«, nickte Horbach Wagner zu, »und wir sind vollständig auf der richtigen Fährte. Wo steckt er jetzt, mein guter Bursche, wenn man fragen darf?«
»Das weiß ich nicht«, beteuerte Tojiang. »Seiner Versicherung nach wollte er um diese Zeit unterwegs in die Berge sein. Ich fand ihn heut abend bei Tuwan Straaten in der Küche, wo er seine Schwester hat.«
»Dann ist die Fährte jedenfalls noch warm, meine Herren«, sagte Horbach wieder auf holländisch, »und das beste wäre, Sie führen unverzüglich dorthin; möglich, daß Sie den Fuchs noch im Bau erwischen. Jedenfalls wird sich von der Schwester herausbekommen lassen, wo er steckt. Ich habe aber jetzt meine Schuldigkeit getan und schon mehr Zeit versäumt, als ich meinem Freund gegenüber verantworten kann. Also, Nitschke, du gehst nicht mit? – Gut, bleib daheim und kopiere langweilige Kursberichte, damit die Krämer über dem Wasser drüben erfahren, ob der Kaffee fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Deut kostet – guten Abend, lieber Wagner, auf Wiedersehen; Tabé, Tojiang – diesmal hast du deinen Hals noch aus der Schlinge gezogen – hüt ihn, daß du ihn nicht noch einmal hineinbringst.«
Und mit einem vertraulichen Kopfnicken die Männer grüßend, eilte er hinaus vor das Haus, sprang in seine Carreta und rollte damit, was die Pferde laufen konnten, zum Tor hinaus.