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LV. 208. So hast du nun, lieber Crassus, versetzte Cotta, diese Dinge ohne Erklärungen und Beispiele vor uns ausgeschüttet, ohne Zweifel, weil du voraussetzest, sie seien uns bekannt. – Auch von dem, was ich zuvor vorgetragen habe, erwiderte Crassus, glaubte ich keineswegs, daß es euch neu sei; nur euer aller Wünschen habe ich nachgegeben. 209. Ueber die letzten Gegenstände aber mich kurz zu fassen mahnte mich die Sonne, die, schon dem Untergange zueilend, auch mich dieses in aller Eile zu entwickeln nöthigte. Uebrigens ist ja die Lehre und der Unterricht in diesen Dingen etwas Gewöhnliches; aber die Anwendung davon ist höchst wichtig und in der ganzen Beredsamkeit sehr schwierig. 210. Nachdem ich nun über den gesammten Schmuck der Rede alle Quellen, wenn auch nicht eröffnet, doch wenigstens angezeigt habe; so laßt uns jetzt sehen, was in der Rede passend, d. h. das Schicklichste ist, wiewol es einleuchtend ist, daß sich nicht für jede Sache, für jeden Zuhörer, für jede Person und Zeit ein und dieselbe Art des Vortrages eignet. 211. Denn einen anderen Ton der Worte verlangen die peinlichen Fälle, einen anderen die Verhandlungen über Privat- und unbedeutende Angelegenheiten; eine andere Art des Vortrages erfordern die Beratschlagungen, eine andere die Lobreden, eine andere die Gerichte, eine andere die Gespräche, eine andere die Tröstung, eine andere der Verweis, eine andere die wissenschaftliche Erörterung, eine andere die Geschichtschreibung. Auch kommt es darauf an, wer die Zuhörer sind, ob der Senat oder das Volk oder die Richter, ob viele oder wenige oder Einer, und was für Leute; und in Betreff der Redner selbst muß auf ihr Alter, ihre Ehrenstelle und ihr Ansehen Rücksicht genommen werden, hinsichtlich der Zeit aber, ob Friede oder Krieg ist, ob Eile oder Muße stattfindet. 212. Auf diese Weise scheint man hier nicht leicht eine andere Vorschrift ertheilen zu können, als daß wir die höhere, die niedrigere und die mittlere Redeweise auf eine dem Wesen des zu behandelnden Gegenstandes angemessene Weise auswählen. Die Verschönerungsmittel der Rede, deren man sich bei diesen drei Ausdrucksweisen bedienen kann, bleiben sich bei allen so ziemlich gleich, nur daß man sie bald stärker bald schwächer anwendet. Ueberhaupt verdanken wir in jeder Sache die Fähigkeit das Geziemende zu thun der Kunst und Natur, die Einsicht aber davon, was und wann Etwas sich gezieme, der Klugheit.