Cicero
Vom Redner
Cicero

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VII. Es gibt Nichts in der Natur, wie es mir scheint, das nicht in seiner Gattung mehrere unter einander verschiedene Dinge umfaßte, die jedoch eines gleichen Lobes werth geachtet werden. So zum Beispiel vernehmen wir Vieles mit den Ohren, was uns zwar nur durch die Töne ergötzt, aber doch oft so mannigfaltig ist, daß uns das, was wir zuletzt hören, immer als das Angenehmste erscheint. Auch durch die Augen genießen wir fast zahllose Vergnügungen, die uns alle fesseln, obwol sie nur auf Einen Sinn, aber auf verschiedene Weise, einen angenehmen Eindruck machen. Und ebenso werden die übrigen Sinne durch verschiedene angenehme Empfindungen ergötzt, so daß es schwer fallen sollte zu entscheiden, welche die angenehmste sei. 26. Aber was von den Dingen in der Natur gilt, das läßt sich auch auf die Künste übertragen. Es gibt nur Eine Bildhauerkunst, in der Myro, Polykletus und LysippusMyron aus Eleuthera, einer Stadt Böotiens, ein Schüler des Argivers Ageladas, blühte um 430 v. Chr. Sein berühmtestes Werk war eine Kuh aus Erz. An seinen Bildsäulen wird besonders die schöne Bildung des Kopfes gerühmt. – Ueber Polykletus s. zu Buch II. Kap. 16. Anm. 327. – Lysippus aus Sicyon war ein Zeitgenosse Alexander's des Großen. Seine Werke zeichneten sich besonders durch die schönste Proportion und Symmetrie in allen Theilen und durch große Zierlichkeit aus. ausgezeichnet waren; alle diese waren einander unähnlich, aber gleichwol möchte man keinen anders wünschen, als er war. Es gibt nur Eine Kunst der Malerei und nur Ein geregeltes Verfahren in derselben, und doch sind Zeuxis, Aglaophon und ApellesZeuxis aus Heraklea in Großgriechenland blühte um 400 v. Chr., er wird als Erfinder der richtigen Mischung des Lichtes und des Schattens in der Malerei genannt. Sein vorzüglichstes Gemälde war die Helena. – Aglaophon, der ältere, von Thasos, einer Insel des Aegeischen Meeres, blühte um 500 v. Chr.; hier ist ohne Zweifel der jüngere zu verstehen, der Enkel des älteren, der um 420 v. Chr. blühte. – Apelles, ein Zeitgenosse Alexander's des Großen, war der größte Maler des Altertums. Sein berühmtestes Werk war die Aphrodite Anadyomene, d. h. die aus dem Meere hervorsteigende Aphrodite. Auch hat er über seine Kunst Bücher geschrieben, die aber nicht auf uns gekommen sind. einander sehr unähnlich, aber von keinem derselben dürfte man sagen, daß ihm irgend Etwas in seiner Kunst fehle. Und wenn wir uns über diese Erscheinung in diesen gleichsam stummen Künsten wundern müssen – und doch verhält es sich in Wirklichkeit so –; um wie viel bewunderungswürdiger ist sie in der Rede und Sprache? Denn obwol sich diese mit den nämlichen Gedanken und Worten beschäftigt, so gestattet sie doch die größten Verschiedenheiten. Aber deßhalb verdienen einige Redner nicht Tadel, sondern diejenigen, welche man einstimmig für lobenswerth erklärt, werden auch bei der Verschiedenheit ihrer Schreibart gelobt. 27. Und dieß kann man zuerst bei den Dichtern sehen, welche mit den Rednern die nächste Verwandtschaft haben. Denn wie unähnlich sind einander Ennius, Pacuvius und AcciusUeber Ennius s. zu Buch I. Kap. 45. Anm. 203; – über Pacuvius zu Buch I. Kap. 58. Anm. 255. – Accius, Sohn eines Freigelassenen, ein Römischer Tragödiendichter, geb. 172 v. Chr. und bei den Griechen Aeschylus, Sophokles und Euripides? wiewol allen ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Schreibart beinahe ein gleiches Lob ertheilt wird. 28. Jetzt richtet eueren Blick auf die Männer, deren Geschicklichkeit der Gegenstand unserer Untersuchung ist, und betrachtet, was für ein Unterschied zwischen den Neigungen und Naturanlagen der Redner stattfindet. Lieblichkeit hatte Isokrates, Feinheit Lysias, Scharfsinn Hyperides, Wohllaut Aeschines, Kraft DemosthenesIsokrates aus Athen, geb. 436 v. Chr., gest. 338, ein berühmter Lehrer der Beredsamkeit, der aber nicht öffentlich als Redner auftrat. Wir haben noch 21 Reden von ihm übrig. – Ueber Lysias s. zu Buch I. Kap. 54. Anm. 233; über Hyperides und Demosthenes zu Buch I. Kap. 13. Anm. 126, über Aeschines zu Buch II. Kap. 23. Anm. 345.. Wer von ihnen ist nicht vortrefflich? Und doch wer von ihnen ist einem Anderen als sich selbst ähnlich? Würde hatte Africanus, Sanftheit Lälius, Heftigkeit Galba, etwas Fließendes und Wohltönendes CarboUeber den jüngeren Scipio Africanus und Gajus Lälius s. zu Buch II. Kap. 37; über Servius Galba und Gajus Carbo zu Buch I. Kap. 10. Anm. 9 und 101.. Wer von diesen war nicht der erste seiner Zeit? Und doch war jeder nur in seiner Art der erste.


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