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XXII. 90. Die erste Stelle in meinen Vorschriften möge also die einnehmen, daß wir zeigen, wem man nachahmen soll, und zugleich die Bemerkung hinzufügen, daß man die vorzüglichsten Eigenschaften des Vorbildes auf das Sorgfältigste in's Auge zu fassen suchen müsse. Hierauf mag die Uebung hinzutreten, durch die man das gewählte Vorbild nachahmend abbilde und ausdrücke, aber nicht in der Weise vieler mir bekannten Nachahmer, die sich nur das Leichte oder auch gewisse hervorstechende und fast fehlerhafte Eigenheiten durch Nachahmung anzueignen eifrig bemüht sind. 91. Nichts ist leichter als Jemandes Tracht oder Stellung oder Bewegung nachzuahmen. Findet sich aber etwas Fehlerhaftes, so ist es kein großes Verdienst dieses aufzunehmen und dadurch selbst wieder in einen Fehler zu verfallenNach der Muthmaßung Ellendt's: et in eo ipsum vitiosum esse. Die Handschriften bieten et in eo vitiosum esse. Ueber die Konjekturen anderer Herausgeber s. Ellendt's Ausgabe., wie es jener Fusius macht, der selbst jetzt nach dem Verluste seiner Stimme wie ein Rasender im Staate wüthet, den kraftvollen Vortrag des Gajus FimbriaGajus Flavius Fimbria war mit Marius im Jahre 102 v. Chr. Consul. Seine Redeweise war finster, rauh und schmähsüchtig, sein Charakter aber und sein Lebenswandel untadelhaft. S. Ciceron. Brut. 84, 129. aber, den doch dieser jedenfalls besaß, nicht erreicht, wohl aber dessen Mundverzerrung und breite Aussprache nachmacht. Aber einerseits verstand er nicht die rechte Wahl eines Vorbildes, dem er vorzugsweise nachstrebe, zu treffen, andererseits suchte er an dem gewählten selbst sogar die Fehler nachzuahmen. 92. Wer aber verfährt, wie es sich gebührt, der muß vor Allem bei der Auswahl Vorsicht anwenden und dann die hervorragendsten Eigenschaften dessen, den er gebilligt hat, auf das Sorgfältigste in's Auge fassen. Denn wie, meint ihr, läßt es sich erklären, daß jedes Zeitalter beinahe eine besondere Art der Beredsamkeit hervorgebracht hat? Dieß können wir zwar nicht so leicht bei unseren Rednern beurtheilen, weil sie Schriften, aus denen sich das Urtheil bilden konnte, nicht eben in großer Anzahl hinterlassen haben, wohl aber bei den Griechischen, aus deren Schriften man sehen kann, welche Grundsätze und Bestrebungen in der Beredsamkeit einem jeden Zeitalter eigentümlich gewesen sind. 93. Die ältesten, von denen wenigstens Schriften vorhanden sind, sind wol PeriklesDaß von Perikles Schriften vorhanden waren, erwähnt Ciceron. Brut. 7, 27. und AlkibiadesDaß von Alkibiades Schriften vorhanden waren, wird sonst nirgends mit Bestimmtheit gesagt. und aus demselben Zeitalter ThukydidesThukydides wird hier als Redner aufgeführt wegen der in seinem historischen Werke eingeschalteten Reden. Siehe über ihn zu II, Kap. 13, §. 56., feine, scharfsinnige, kurze Redner, reicher an Gedanken, als an Worten. Es wäre nicht möglich gewesen, daß Alle Eine Art des Vortrages hätten, wenn sie nicht ein Vorbild zur Nachahmung genommen hätten. Auf diese folgte Kritias, Theramenes und LysiasKritias, ein Schüler des Gorgias und Sokrates, einer der dreißig Tyrannen, der grausamste und habsüchtigste unter allen, hat Reden, Tragödien und andere Dichtwerke geschrieben. – Theramenes war gleichfalls einer der dreißig Tyrannen; über seine Beredsamkeit s. unten III. 16, 59. Brut. 7, 29. – Ueber Lysias s. zu I. 54, 231.. Von Lysias sind viele Schriften vorhanden, von Kritias einige; von des Theramenes Reden wird uns nur berichtet. Sie alle behaupteten noch immer die kraftvolle Sprache des Perikles, aber der Faden ihres Vortrages war etwas voller ausgesponnen. 94. Siehe, da trat IsokratesIsokrates aus Athen, geb. 436 v. Chr., gest. 338, Schüler des Prodikus und Gorgias, einer der berühmtesten Lehrer der Beredsamkeit. Als Redner trat er wegen großer Ängstlichkeit nie auf. Er schrieb nur für Andere Reden oder Musterreden für seine Schüler. auf, [der Lehrer aller Redner seines Zeitaltersmagister istorum omnium. Diese Worte werden fast von allen Herausgebern für unächt gehalten. Wenn sie den Sinn haben könnten, den wir in der Uebersetzung ausgedrückt haben; so würde ihre Aechtheit nicht angefochten worden sein.,] aus dessen Schule, wie aus dem trojanischen Pferde, lauter Helden hervorgingen; aber von diesen wollten einige in Prunkaufzügen, andere in der Schlachtordnungeorum partim in pompa partim in acie illustres esse voluerunt, d. h. Einige widmeten sich einer Prunkberedsamkeit, wie die Sophisten, Andere der gerichtlichen Beredsamkeit, die es mit der Wirklichkeit zu thun hat; die rechtenden Parteien werden mit zwei in Schlachtordnung aufgestellten Heeren verglichen. glänzen.