Cicero
Vom Redner
Cicero

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II. 4. Ich muß nun zu einem Ereignisse früherer ZeitenIn Beziehung auf das im siebenten Kapitel Erwähnte. zurückkehren, das zwar meinem Gedächtnisse nicht ganz vollständig gegenwärtig ist, wohl aber, wie ich glaube, geeignet ist für die Erfüllung deines Wunsches die Ansicht der beredtesten und berühmtesten Männer über die ganze Redekunst zu erfahren. 5. Du hast ja oft den Wunsch gegen mich ausgesprochen, weil die SchriftEr meint die vier Bücher de inventione rhetorica die er in seinem zwanzigsten Lebensjahre herausgegeben hatte., die mir in meinem Knaben- oder Jünglingsalter aus meinen Heften unvollendet und nur in rohen Umrissen entschlüpfte, kaum meines jetzigen Alters und der Erfahrung, die ich aus der Führung so vieler und so wichtiger Verhandlungen gewonnen habe, würdig ist, ich möchte über dieselben Gegenstände etwas Gefeilteres und Vollendeteres veröffentlichen. Auch pflegst du zuweilen in unseren Unterhaltungen darin von mir abzuweichen, daß, während nach meinem Urtheile die Beredsamkeit auf den wissenschaftlichen Kenntnissen der einsichtvollsten Männer beruht, du hingegen der Ansicht bist, sie müsse von der gründlichen Gelehrsamkeit getrennt und als das Erzeugniß einer gewissen natürlichen Geistesanlage und Uebung angesehen werden. 6. Wenn ich nun, wie ich oftmals that, auf die Männer von der höchsten Geistesbegabung meinen Blick richtete; so drängte sich mir die Frage auf, warum wol alle anderen Fächer eine größere Anzahl bewunderungswürdiger Männer aufzuweisen habe, als die Beredsamkeit. Denn wohin man auch seine Aufmerksamkeit und seine Gedanken wenden mag, so wird man sehr viele ausgezeichnete Männer in jeder Art von Künsten und Wissenschaften sehen, und zwar nicht bloß in den gewöhnlichen, sondern beinahe in den wichtigsten. 7. Wer sollte, wenn er bei der Wissenschaft berühmter Männer den Nutzen oder die Größe ihrer Thaten zum Maßstabe nehmen will, nicht dem Feldherrn vor dem Redner den Vorzug geben? Und doch wer möchte bezweifeln, daß wir der vortrefflichsten Heerführer aus unserem Staate allein beinahe unzählige, in der Beredsamkeit aber hervorragende Männer kaum wenige anführen können. 8. Ferner, Männer, die mit Klugheit und Weisheit einen Staat zu lenken und zu leiten verstanden, haben viele zu unserer, mehr noch zu unserer Väter und auch unserer Vorfahren Zeit gelebt, während gute Redner sehr lange gar nicht, erträgliche kaum in den einzelnen Zeitaltern einzelne gefunden wurden. Und damit man nicht etwa meine, die Redekunst müsse mehr mit anderen Wissenschaften, die auf tieferen Kenntnissen und vielseitiger Gelehrsamkeit beruhen, als mit dem Ruhme eines Feldherrn oder mit der Klugheit eines guten Senators verglichen werden: so möge man seinen Geist auf eben diese Zweige der Wissenschaft richten und betrachten, welche Männer sich in denselben ausgezeichnet haben und wie viele, und er wird so am Leichtesten beurtheilen, wie gering die Anzahl der Redner ist und zu jeder Zeit war.


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