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LIV. Angenehm aber und oft ausnehmend nützlich ist der Scherz und die witzigen Einfälle; aber wenn sich alles Andere durch Kunstregeln vortragen läßt, so sind diese doch Naturgaben und bedürfen keiner Kunst. Hierin zeichnest du dich, Cäsar, nach meinem Urtheile vor Anderen ganz besonders aus. Um so mehr kannst du mir auch bezeugen, daß es keine Kunstregeln über den Witz gibt, oder gibt es solche, so wirst du uns hierin den besten Unterricht geben. – 217. Ja wahrlich, erwiderte er, über jeden Gegenstand, glaube ich, kann ein Mann von einiger Bildung leichter reden als über den Witz. Als ich nun einige Griechische Bücher sah, die die Aufschrift »Von dem Lächerlichen« führten; so machte ich mir einige Hoffnung hieraus etwas erlernen zu können. Ich fand allerdings viele lächerliche und witzige Aeußerungen der Griechen; denn die Sikuler, die Rhodier, die Byzantiner und vor Allen die Attiker zeichnen sich hierin aus; aber diejenigen, welche versucht haben Kunstregeln und ein Lehrgebäude hiervon aufzustellen, zeigen sich so alles Witzes bar, daß man über nichts Anderes bei ihnen lachen kann als eben über ihre Witzlosigkeit. 218. Daher läßt sich meines Erachtens ein kunstmäßiger Unterricht über diesen Gegenstand auf keine Weise ertheilen. Allerdings gibt es zwei Arten des Witzes, von denen die eine gleichmäßig über die ganze Rede verbreitet ist, die andere in kurzen, scharf treffenden Einfällen besteht; die erstere nennen die Alten Launecavillatio, das man auch Humor übersetzen kann., die letztere Spottwitzdicacitas, der beißende Scherz, die Stachelrede.. Einen unbedeutenden Namen hat Beides; natürlich; unbedeutend ist ja die ganze Sache, die Erregung des Lachens. 219. Jedoch habe ich sehr oft die Erfahrung gemacht, daß man, wie du bemerkst, Antonius, in den Rechtsverhandlungen durch Laune und Witz viel ausrichtet. Aber da man für die erstere Art, für die gemütliche Laune, die sich durch den ganzen Vortrag hindurchzieht, keine Kunstregeln vermißt; denn die Natur bildet und schafft die witzigen Nachahmer und Erzähler, indem die Mienen, die Stimme und die ganze Ausdrucksweise das Ihrige dazu beitragen: wie könnte denn wol bei der letzteren Art, bei dem beißenden Witze, von Kunst die Rede sein, da das entsandte Witzwort eher haften muß, als man den Gedanken daran für möglich hielt? 220.Was konnte zum Beispiel meinem BruderDem anwesenden Quintus Catulus. die Kunst helfen, als er dem PhilippusS. I. Kap. 7. II. Kap. 60. auf die Frage: »Warum billst du so?« zur Antwort gab: »Ich sehe einen Dieb?« Was dem Crassus in der ganzen Rede vor den Centumvirn gegen ScävolaS. I. 39. 180. Ueber Brutus s. zu Kap. 55 Note 432. oder gegen den Ankläger Brutus in seiner Vertheidigung des Gnäus PlancusS. Brutus c. 34.? Denn das Lob, das du mir ertheilst, Antonius, muß man nach Aller Urtheil dem Crassus vielmehr zugestehen. Denn nicht leicht wird man außer ihm Jemanden finden, der in beiden Arten des Witzes abgezeichnet ist, sowol in der, welche sich durch die ganze Rede hindurchzieht, als auch in der, welche sich in schnellen scharf treffenden Einfällen äußert. 221. Denn diese ganze Vertheidigung des CuriusDie Rede des Crassus zur Vertheidigung des Manius Curius gegen Scävola, der den Coponius vertheidigte. S. I. 39, 180. gegen den Scävola floß durchweg von Heiterkeit und Scherz über; aber jene kurzen Witzworte enthielt sie nicht. Denn er schonte die Würde des Gegners, und dadurch bewahrte er seine eigene; dieß ist aber für witzige und spottsüchtige Menschen höchst schwierig, auf Menschen und Zeiten Rücksicht zu nehmen und die guten Einfälle da zurückzuhalten, wo sie sich am Witzigsten anbringen lassen. 222. So wissen denn einige Witzlinge eben dieses auf eine nicht abgeschmackte Weise zu erklären, indem sie des Ennius Anspruch anführen: »Der Weise könne leichter eine Flamme im brennenden Munde erdrücken als gute Wortebona dicta, wie im Französischen bons mots. zurückhalten.« Gute Worte bedeuten nämlich witzige Worte. Denn mit dieser besonderen Benennung bezeichnet man jetzt Witzworte.