Cicero
Vom Redner
Cicero

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XLIX. Und um auf die Beschäftigungen mit den geringfügigeren Künsten zu kommen, wenn die Frage den Tonkünstler, den Sprachforscher, den Dichter beträfe, so könnte ich auf ähnliche Weise erklären, was den Beruf eines jeden ausmache, und was die erforderlichen Eigenschaften seien, auf die man sich bei jedem beschränken müsse. Ja selbst von dem Philosophen, der sich nach der Fülle seiner Weisheit allein im Besitze fast alles Wissens zu sein rühmt, findet doch eine gewisse Begriffsbestimmung statt, indem man demjenigen, welcher aller göttlichen und menschlichen Dinge Wesen, Beschaffenheit und Ursachen zu kennen die ganze Sittenlehre zu wissen und auszuüben sich bemüht, diesen Namen ertheilt. 213. Was nun aber den Redner anlangt, der ja der Gegenstand unserer Untersuchung ist; so habe ich von ihm nicht dieselbe Verstellung, wie Crassus, der mir unter dem Einen Namen und der Einen Obliegenheit des Redners die gesammte Kenntniß aller Dinge und Wissenschaften zu begreifen schien; ich halte vielmehr den für einen Redner, welcher in gerichtlichen und öffentlichen Verhandlungen Worte, die angenehm zu hören sind, und Gedanken, die Ueberzeugung einzuflößen geeignet sind, zu gebrauchen versteht. Einen solchen nenne ich einen Redner und wünsche, daß er außerdem auch Stimme, äußeren Vortrag und einen gewissen Witz besitze. 214. Unser Crassus aber schien mir die Geschicklichkeit des Redners nicht nach den Schranken dieser Kunst, sondern nach den fast unermeßlichen Gränzen seines Geistes zu bezeichnen. Denn erstens gab er nach seinem Ausspruche das Ruder der Staatsverwaltung dem Redner in die Hände: wobei es mir recht auffallend war, daß du, Scävola, ihm dieses einräumtest, da dir der Senat so oft, wenn du kurz und schmucklos redetest, in den wichtigsten Angelegenheiten beistimmte. Wenn aber Marcus ScaurusMarcus Aemilius Scaurus, 114 v. Chr. Consul, ein großem Staatsmann und Rechtsgelehrter., der, wie ich höre, nicht weit von hier auf seinem Landgute verweilt, ein Mann von der gründlichsten Kenntniß in der Staatsverwaltung, vernähme, daß du, Crassus, dieses Ansehen seiner Würde und Staatsklugheit in Anspruch nähmest, indem du es als ein Eigenthum des Redners erklärst: so würde er, glaube ich, sofort hierher kommen und diese unsere Geschwätzigkeit schon durch seine Miene und seinen Blick in Schrecken setzen; denn wenn er auch als Redner nicht zu verachten ist, so beruht doch seine Stärke mehr auf einer umfassenden Staatsklugheit als auf Redekunst. 215. Wenn nun auch wirklich jemand in Beidem stark ist, so folgt hieraus noch nicht, daß ein Stimmführer im öffentlichen Rathe und der gute Senator schon darum auch ein Redner sein müßte, oder daß ein durch Beredsamkeit ausgezeichneter Mann, wenn er sich zugleich in der Staatsverwaltung hervorthut, diese WissenschaftIn dem Texte steht aliquam scientiam, das Ellendt vertheidigt; aber wahrscheinlich ist die Lesart verderbt. Wyttenbach schlägt vor alienam scientiam, die fremde, d. h. seinem Fache fern liegende, Wissenschaft. Diese Muthmaßung ist von den meisten Herausgebern gebilligt worden. sich durch die Redefertigkeit angeeignet habe. Diese Fähigkeiten liegen weit auseinander und sind sehr von einander verschieden und abgesondert, und nicht war es ein und dasselbe Verfahren, durch welches Marcus CatoS. zu Kap. 37. Anm. 174. – Wegen Africanus, Metellus, Lälius s. zu Kap. 48., Publius Africanus, Quintus Metellus, Gajus Lälius, die alle ausgezeichnete Redner waren, ihre Rede zu schmücken und die Würde des Staates zu verherrlichen wußten.


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