Cicero
Vom Redner
Cicero

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XXXIX. 176. Wie? In der Sache, in welcher die Centumvirn zwischen den Marcellern und den patricischen ClaudiernDas Geschlecht der Claudier theilte sich in zwei Linien, in die patricische (Claudii Centhones, Claudii Nerones, Claudii Pulchri) und in die plebejische (Claudii Marcelli). Die plebejische Linie war erst dadurch entstanden, daß sich in späteren Zeiten einige Claudier von Plebejern hatten adoptiren lassen. Zur Zeit, als diese Verhandlung vorkam, galt noch die Ansicht der älteren Zeiten, daß nur patricische Familien eine gens, plebejische Familien eine stirps hätten. Als nun der Sohn eines Freigelassenen aus dem Geschlechte der Claudier ohne Testament und ohne natürliche Erben gestorben war, so machten beide Familien, die patricische und die plebejische, auf die Erbschaft Ansprüche; die patricische nach dem Rechte der Stammverwandtschaft, weil ihre Linie die ältere sei; die plebejische nach dem Rechte der Familienverwandtschaft, weil der Verstorbene seiner Familie nach mit der plebejischen Linie näher als mit der patricischen verwandt gewesen sei. zu Gerichte saßen, indem die Marceller behaupteten, die Erbschaft von dem Sohne eines Freigelassenen sei ihnen nach Familienverwandtschaft, die patricischen Claudier hingegen, dieselbe Erbschaft sei ihnen nach Stammverwandtschaft zugefallen, mußten da die Redner nicht über das gesammte Recht der Familien- und der Stammverwandtschaften sprechen? 177. Wie ferner folgender Fall, der, wie ich vernehme, gleichfalls in dem Gerichte der Centumvirn behandelt wurde? Ein aus seinem Vaterlande Verbannter war nach Rom gekommen, wo er das Recht als Verbannter zu leben erhielt, wenn er sich einen Römischen Bürger zum SchutzherrnIm Lateinischen: quasi patronum, weil eigentlich nur Römer wahre patroni hatten. Die Bürger der verbündeten Städte Latiums hatten das Recht als Verbannte in Rom zu leben, wenn sie sich daselbst einen der angesehenen Bürger zum Schutzherrn (patronus) gewählt hatten. Nur die Patricier hatten das Schutzherrenrecht. Die Schutzherren beerbten ihre Schutzbefohlenen (clientes), wenn dieselben ohne Testament und ohne natürliche Erben starben. gewählt hatte; darauf war er ohne Testament gestorben. Wurde nicht in dieser Verhandlung das recht dunkele und unbekannte Schutzherrnrecht von dem Anwalte vor Gericht erläutert und beleuchtet? 178. Wie? Als ich neulich die Sache des Gajus Sergius OrataAusführlicher wird dieser Fall von Cicero in den Offic. III. 16, 67. erzählt. gegen unsern Antonius hier vor einem Privatgerichte vertheidigte, war da nicht meine ganze Vertheidigung auf das Recht gegründet? Da nämlich Markus Marius GratidianusS. Cicer. Off. III. 20, 80. Legg. III. 16, 36. dem Orata ein Haus verkauft hatte, ohne in dem Kaufbriefe anzugeben, daß auf einem Theile dieses Hauses eine Zwangspflicht hafte; so behauptete ich in meiner Vertheidigung, der Verkäufer sei verpflichtet für alle Lasten, die zur Zeit der feierlichen Eigenthumsübergabe auf dem Hause gelegen hätten, wenn er darum gewußt und sie nicht angezeigt hätte, Ersatz zu leisten. 179. In einer solchen Rechtssache beging neulich mein Freund Marcus BuculejusIst sonst nicht weiter bekannt., ein Mann, der nach meinem Urtheile nicht ohne Einsicht ist, nach seinem eigenen aber sehr weise, und der auch der Rechtswissenschaft nicht abhold ist, auf ähnliche Weise ein Versehen. Als er nämlich dem Lucius FufiusS. Cicer. Brut. 62, 222. Offic. II. 14, 50. sein Haus verkaufte, sagte er in dem Kaufbriefe für die Aussicht der Fenster, wie sie damals war, gut. Nun fing man an einem Theile der Stadt, der kaum von jenem Hause aus erblickt werden konnte, ein Gebäude aufzuführen an. Sogleich erhob er eine Klage gegen Buculejus, weil er der Ansicht war, wenn nur irgend ein Theilchen des Himmels verbaut würde, wäre es auch noch so weit entfernt, so würde seine Aussicht verändert. 180. Was geschah ferner in der berühmten Rechtssache des Manius Curius und des Marcus CoponiusDieselbe Verhandlung wird von Cicero auch weiter unten I. 57, 242 ff. II. 32, 140. de Inv. II. 42, 122. Brut. 52. Caecin. 18, 53. erwähnt. Das Testament hatte etwa so gelautet. »Wenn der nach meinem Tode geborne Sohn, bevor er zur Mündigkeit gelangt ist, stirbt, so soll Manius Curius der Erbe meines Vermögens sein.« Der Erblasser stirbt, ohne daß ihm ein Sohn geboren wurde, und nun machen M. Coponius, als nächster Verwandter, und Manius Curius, als im Testamente benannter Erbe, Ansprüche auf die Erbschaft. Scävola vertheidigte den Coponius, indem er sich auf den Buchstaben des Testamentes berief, Crassus den Curius, indem er die Absicht des Erblassers geltend machte., die unlängst vor den Centumvirn verhandelt wurde? Wie strömten die Menschen zusammen, wie erwartungsvoll hörte man die Vertheidigung an! Quintus ScävolaQuintus Mucius Scävola, pontifex maximus. S. zu Kap. 37. Anm. 173., mein Alters- und Amtsgenosse, ein Mann, der in der Kenntniß der Rechtswissenschaft Alle übertrifft, sich durch Scharfsinn und Einsicht auszeichnet, seine Reden mit der größten Sorgfalt und Genauigkeit ausarbeitet und, wie ich zu sagen pflege, unter den Rechtsgelehrten der größte Redner und unter den Rednern der größte Rechtsgelehrte ist, dieser also vertheidigte die Rechte der Testamente nach dem Buchstaben der geschriebenen Worte und behauptete, daß, wenn nicht der nach dem Tode des Vaters erwartete und geborene Sohn, bevor er zur Mündigkeit gelangt, gestorben wäre, der nicht Erbe sein könne, der erst nach der Geburt und dem Tode des erwarteten Sohnes zum Erben eingesetzt sei. Ich hingegen behauptete in meiner Vertheidigung, der Erblasser habe damals die Absicht gehabt, daß, wenn kein Sohn da wäre, der zur Mündigkeit gelangte, Manius Curius Erbe sein sollte. Beriefen wir beide uns bei dieser Verhandlung nicht unaufhörlich auf Rechtserklärungen, auf Beispiele, auf testamentliche Formeln, das heißt auf Beweise aus dem Innersten des bürgerlichen Rechtes?


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