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Auch die Pathologie hat ihre Blumensprache, sie kennt eine Rose, und die ist nicht ohne Dornen; schon manchem, der sie nicht gehörig in acht nahm oder falsch und mit ungehörigen Dingen behandelte, hat sie das Leben gekostet. Die Rose ist eine entzündliche Geschwulst der Haut, die gerötet ist und ein Spannen und Jucken verursacht, das besonders beim Kratzen in einen brennenden Schmerz übergeht. Sie wird durch Bazillen (Streptococcus erysipelatis) hervorgerufen. Die frühere Unterscheidung in eine selbständig, primär auftretende und eine traumatische Rose läßt sich nicht mehr aufrecht erhalten, da eine Infektion bei völlig unverletzter Haut nicht stattfinden kann. Wenn man mit dem Finger auf die Geschwulst drückt, so verliert sich die Röte, kommt aber gleich, nachdem der Druck aufhört, wieder. Am häufigsten kommt die Rose im Gesicht vor, an den Unterschenkeln und an den Geschlechtsteilen. Die Rose verläßt nicht selten den Ort, wo sie zuerst erschien, und kommt an einem anderen zum Vorschein. Oft verbreitet sie sich über ganze Körperteile; namentlich ergreift die Gesichtsrose oft die Haut des Haarkopfes ( Kopfrose) und die Schleimhäute des Ohres, der Nase und der Augen. Die Lippen ragen rüsselförmig hervor, die Augenlider werden ödematös und schließen sich vollkommen, wodurch die Kranken oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. – Bisweilen bedeckt sich die roseartig entzündete Hautstelle mit größeren oder kleineren Blasen, die eine klebrige Feuchtigkeit enthalten ( Blasenrose); selten kommt es zum Aufspringen eiternder Pusteln, die Schorfe bilden, unter denen sich die Oberhaut bald wieder ergänzt: Blatterrose. Gewöhnlich zerteilt sich die Geschwulst am 7. Tage, und die Besserung erfolgt mit Nachlaß der Röte und Abschuppung der Haut. Seltener geht die Rose in Eiterung über oder läßt eine stehende Geschwulst zurück. Ein sehr gefährlicher Ausgang ist der Brand, der bei schlechter Beschaffenheit der Säfte erscheint.
Die homöopathische Behandlung der Rose ist in der Mehrzahl der Fälle, selbst in den hochgradigsten und gefährlichsten Formen, glücklich, und zwar nicht etwa deshalb, weil wir den Verlauf des Erysipels abzukürzen vermögen, sondern weil wir das Fieber sehr bald zu mildern und gefährlichen, den regelmäßigen Verlauf störenden Erscheinungen erfolgreich zu begegnen imstande sind. – Das den örtlichen Erscheinungen vorangehende, mehr oder minder starke Fieber, das häufig mit Schüttelfrösten eingeleitet wird, bekämpfen wir am besten mit Aconitum, besonders wenn heftiger Durst, Pulsbeschleunigung, Zerschlagenheitsgefühl der Glieder mit Appetitverminderung vorherrschend sind. Wir verabfolgen, der Heftigkeit der Erscheinungen entsprechend, dieses Mittel in 1- bis 2stündlichen Pausen. War Ärger die Ursache, sind biliöse Erscheinungen, dicker Zungenbelag, bitterer Mundgeschmack usw. zugegen, dann nützt oft Bryonia, die sich auch bei rotlaufartiger Geschwulst an den Gelenken bewähren soll. Sobald das örtliche Leiden zum Vorschein kommt, Schmerz, Spannung und erhöhte Temperatur in der geröteten und geschwollenen Hautpartie eintreten, dann verabfolgen wir Belladonna, ebenso wie Aconitum, in stündlichen oder öfteren Gaben. Dieses Mittels bedienen wir uns vorzugsweise auch bei der Gesichtsrose, die sich nicht selten nach der Kopfschwarte erstreckt und die Symptome der Gehirnhyperämie aufweist. Bei dem mit Recht sehr gefürchteten Übergange des Erysipels auf die Gehirnhäute, der niemals durch eine Metastase, sondern durch die den verlassenen und den neuen Ort der Erkrankung verbindenden Gewebe stattfindet, besonders von der Kopfschwarte durch den Gehörgang und die Gefäße, die die äußere Schädelfläche mit der inneren verbinden, verabfolgen wir ebenfalls Belladonna, und wenn diese nicht in 10 bis 12 Stunden bessert, Atropinum sulfuricum. In solchen Fällen richten wir unser Augenmerk allein auf die Gehirnsymptome und leiten die bei Gehirnhautentzündung erörterte Behandlung ein. Gleichzeitig lassen wir eiskalte Umschläge auf den Kopf anwenden und diese fleißig erneuern. – Auch in Apis oder Apisinum besitzen wir ein vortreffliches Mittel, das wir sowohl gleich anfangs bei zu befürchtendem Übergange des Entzündungsprozesses auf die Meningen (Gehirnhäute), als auch bei schon bestehender Entzündung, bei großem Kräfteverfall, kühler Haut, allgemeinen Muskelzuckungen und schwachem, unregelmäßigem Pulse verabfolgen. Außerdem hat sich uns Apis bei rotlaufartigen Entzündungen an den verschiedensten Körperteilen vortrefflich bewährt, besonders bei brennendem Stechen in der entzündeten Geschwulst.
Bei dem freilich äußerst selten eintretenden Übergange des Erysipels auf die Bronchial- und Lungenschleimhaut, wodurch heftige Bronchitis sowie Pneumonie und Lungenödem erzeugt werden, verweisen wir auf die in den betreffenden Kapiteln erörterte Therapie.
Bei der Blasenrose (Erysipelas vesiculosum), bei der infolge einer starken, serösen Exsudation zwischen Cutis und Epidermis die letztere in Blasen emporgehoben ist, verabfolgen wir ebenfalls Belladonna oder Apis. Treten, wie nicht selten, bei dieser mit intensivem Fieber verbundenen Krankheit, gastrische Erscheinungen ein und brennend-juckender Schmerz in der entzündeten Hautpartie, dann reichen wir Rhus Toxicodendron. Sind mit den gastrischen Erscheinungen heftiges Erbrechen und bedeutender Zungenbelag verbunden, dann ist Tartarus emeticus die allein passende Arznei, die wir auch mit Aconitum, Belladonna oder Rhus Toxicodendron in ½ bis 1stündlichem Wechsel verabfolgen können.
Eine sehr gefährliche, meist durch brandige Verjauchung und Pyämie tödlich verlaufende Rose ist die Wundrose nach bedeutenden chirurgischen Operationen. Sobald sich bei hochgradigem Fieber Schüttelfröste einstellen, der Puls matt und weich wird, die Kräfte des Patienten schnell sinken, das Erysipel bläulich und der Inhalt der Bläschen schwärzlich wird, dann greifen wir sofort nach Arsenicum oder Lachesis, um der drohenden Gangrän vorzubeugen.
Die habituelle oder chronische Rose kommt nicht selten immer wieder an derselben Stelle zum Vorschein, ist sehr langwierig und mit geringem Fieber verbunden. Sie wird besonders bei skrofulösen Personen beobachtet. Ihre Beseitigung wird durch Sulfur erzielt; auch soll Graphites die Neigung zur Wiederkehr verhüten; von einigen wird Hepar sulfuris gerühmt.