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Krämpfe. Spasmi

Krämpfe sind unwillkürliche Bewegungen der Muskeln, also dem normalen Zwecke des Organismus widersprechende und vom normalen Willenseinflusse unabhängige Muskelkontraktionen. Gewöhnlich sind die Bewegungen hastig und stark und äußern sich als Gesichtsverzerrungen, Verdrehungen der Augen, Zuckungen des Mundes und der Extremitäten, als krampfhaftes Lachen, Weinen und Schreien, Verdrehungen des Körpers nach vorn oder rückwärts usw.; übrigens verstehen wir unter Krampf nicht nur die äußere Erscheinung der unwillkürlichen Muskelbewegung, sondern das Wesen der Sache, nämlich die krankhafte Reizung der Bewegungsnervenfaser. ( Nervenkrampf, motorische Irritation.) Eine solche Reizung kann von verschiedenen krankhaften Veränderungen abhängen, die die verschiedensten Erscheinungen, sogar Lähmung bewirken können. So z. B. beginnt oft ein Hirnschlagfluß als epileptischer Krampf und endet mit Lähmung. Da der Krampf seinem innersten Wesen nach eine Odpositivität ist, die sich – wie dies z. B. sehr deutlich bei epileptischen Anfällen vom Kranken vorempfunden wird – in wellenförmiger Bewegung von den Füßen nach dem Kopfe erstreckt, so werden daher auch die Krämpfe am leichtesten durch Fortstriche über die in Krämpfe geratenen Teile aufgehoben. Die aufsteigende odische Krampfwelle wird durch die Kraft des nemetischen Fortstriches wieder zurückgedrängt, und der Kranke empfindet deutlich beim Nachlassen der Krämpfe das Zurückziehen der Krampfwelle nach den Füßen hin. (Diese Empfindung ist unter dem Namen »Aura« bekannt.) Nicht selten sind Gemütsbewegungen Ursache allgemeiner Krämpfe, besonders ist der Schreck ein Seelenakt, der sich durch eine starke positive Odentwicklung durch den ganzen Leib kundgibt und Krämpfe verursacht, die, wie oben bemerkt, stets eine odische Positivität sind.

Das Hauptsymptom des Krampfes, die abnorme Muskelkontraktion, zeigt sich bald als eine andauernde Anschwellung, Härte und Verkürzung der befallenen Muskeln ( tonischer Krampf, Starrkrampf), bald als eine ab und zu nachlassende, stoßweise Hin- und Herbewegung ( klonischer Krampf, Zuckung, Konvulsion), wohin auch die sog. elektrischen Erschütterungen, Stoßkrämpfe, gehören. Der Puls ist oft hart und zusammengezogen, die Se- und Exkretionen unterdrückt, die Haut blaß und trocken, das Urinieren krampfhaft. Oft sind mit den Krämpfen heftige Schmerzen in den vom Krampfe befallenen Muskeln verbunden. – Die Krämpfe erscheinen nach den von ihnen ergriffenen Nervenherden in verschiedenen Formen: als Epilepsie oder Fallsucht (siehe diesen Artikel), als Eklampsie oder Gefraisel der Kinder (siehe bei Kinderkrankheiten), als Tetanus oder Starrkrampf, Katalepsie oder Starrsucht, Chorea oder Veitstanz, Trismus oder Kinnbackenkrampf, Hydrophobie (siehe Wasserscheu), Schreibkrampf, Wadenkrampf, Brustkrampf (siehe Asthma, Alpdrücken), Lachkrampf, Blasen-, Herz- und Lungenkrampf usw.

Der Starrkrampf (Tetanus) ist ein tonischer Krampf der willkürlichen, besonders der Kaumuskeln, der Schlundmuskeln und der Rückenmuskeln, mit ungetrübtem Bewußtsein und Fortbestehen der Empfindung. Die Muskeln sind zusammengezogen, der Körper ist dabei vorwärts (Emprosthotonus) oder rückwärts (Opisthotonus) gebogen, seitwärts (Pleurothotonus) oder gerade(Orthotonus) gezogen; Sprechen und Schlucken sind aufgehoben, die Pupille verengt, der Augapfel starr, der Puls hart, die Haut blaß und kühl, die Aussonderungen unterdrückt, der Herzschlag verlangsamt bis zum Stillstand. – Es gibt zwei Arten von Tetanus: den traumatischen (Wundstarrkrampf), der nur durch äußere Verletzung und Eindringen eines Bazillus (Bacillus tetani), der in der Erde lebt, hervorgerufen wird, und den idiopathischen, konstitutionellen, der nur aus inneren Zuständen entsteht. Letzterer, auch rheumatischer Starrkrampf genannt, tritt ein infolge schnellen Wechsels von Hitze und Kälte, von Aufenthalt an feuchten Orten, von Würmern in den Eingeweiden; er kommt in Europa nur sporadisch vor, weit häufiger in den Tropenländern, in Indien, befällt vor allem farbige Menschen und ist selten tödlich. Ersterer ist häufiger und endet gewöhnlich mit dem Tode. Die Symptome sind bei beiden Arten des Tetanus dieselben, der Verlauf der Krankheit ist aber durchaus verschieden. Die Symptome des traumatischen Tetanus stellen sich immer nur allmählich ein und beginnen meist mit Kinnbackenkrampf; erst später folgt die Kontraktion der Rückenmuskeln. Die Muskeln der Extremitäten, besonders der unteren, werden in weit geringerem Grade ergriffen. Die Krankheit dauert wenigstens 2 bis 3 Tage. Auch der idiopathische Tetanus verläuft, selbst wenn er akut auftritt, nie unter 2 bis 3 Tagen, und in beiden Krankheitserscheinungen ist der Verlauf stetig, nicht unterbrochen. Bei Verdacht auf Tetanus traumaticus sollte immer das Antitoxin schleunigst angewandt werden; die Injektion nimmt jeder praktische Arzt vor.

Zu den Giften, die Tetanus verursachen, gehört Nux vomica, worin die Alkaloide von Strychnin und Brucin enthalten sind. 1 Gran Strychnin vermag ein Kind zu töten. Bei großen Dosen zeigt sich die Wirkung schon in 10 Minuten, bei kleineren in ½ bis 1 Stunde. – Die Kennzeichen einer Strychninvergiftung sind: krampfhaftes Zusammenziehen der Muskeln, besonders der Hals- und Rückenmuskeln. Kopf und Rückgrat werden rückwärts gezogen und erstarren in dieser Lage; die Extremitäten ziehen sich ruckweise zusammen und werden steif. Diese Steifheit bleibt und wird durch neue Krampfanfälle noch verschlimmert, bis der Tod erfolgt. Der Unterschied zwischen Tetanus von Strychninvergiftung und rheumatischem Tetanus ist sehr scharf bezeichnet. Im ersteren Falle treten die Symptome plötzlich auf. Der Verlauf des Anfalles ist sehr kurz, und wenn die Dosis Gift zu klein war, verlieren sich die Symptome bald, während im letzteren die Symptome nach und nach auftreten und sich mit dem Fortschreiten der Krankheit stetig entwickeln. Die Beschwerden beim Atmen finden sich in beiden Arten von Tetanus. Das Schlucken ist bei Strychninvergiftung frei, es tritt daher kein Kinnbackenkrampf ein, wie dies bei Tetanus, sei er idiopathisch oder traumatisch, der Fall zu sein pflegt.

Der Wundstarrkrampf entsteht besonders durch Stichwunden und Quetschungen, besonders der Extremitäten, und tritt mit Schmerzhaftigkeit in der Wunde, Ziehen und Steifigkeit in den Kiefermuskeln und im Nacken ein. Meist ist die Wunde durch Erde verunreinigt worden. Der Krampf beginnt gewöhnlich in den Kaumuskeln als Kinnbackenkrampf ( Trismus) mit gewaltigem Zusammenpressen der Kiefer und mit Schlingbeschwerden, erstreckt sich dann über die Muskeln des Rumpfes und der Extremitäten und schließt mit dem Atmungs- und Zirkulationsapparate.

In den wenigen Fällen, die wir zu behandeln Gelegenheit hatten, verordneten wir Arnica und Belladonna in 1stündlichem Wechsel und haben damit ganz zufriedenstellende Resultate erzielt. Außerdem sind noch empfohlen worden: Angustura, Cicuta, Hypericum perforatum, Ignatia und Nux vomica. – Erforderlich ist die Lageveränderung, da die fortgesetzte Rückenlage die Krankheit oft unterhält.

Dieselben Mittel, außer Arnica, erfordert auch der idiopathische oder rheumatische Starrkrampf.

Die Starrsucht ( Katalepsie) ist ein plötzliches, ohne krampfhafte Zusammenziehung der Bewegungsmuskeln eintretendes Starrwerden der Gliedmaßen, die sich dann in jedwede Lage bringen lassen und darin verharren. Der Anfall hält eine gewisse Zeit von unbestimmter Dauer, einige Minuten, oft selbst tagelang an, wonach das teilweise oder gänzlich aufgehobene Bewußtsein wiederkehrt und der Kranke wie aus einem Traume erwacht. Der Kranke bleibt bei dem Anfalle, der plötzlich oder nach geringen Vorboten eintritt, in derselben Lage oder Haltung verharren, in der er sich eben befand; das Wort bleibt ihm im Munde stecken; das Auge meistens stier, die Sinne unempfindlich. Puls, Hautwärme, Atem usw. sind wenig verändert, überhaupt sind die vegetativen und Ernährungsprozesse nicht gestört. Die Krankheit tritt selten selbständig auf, sondern kommt gewöhnlich in Begleitung anderer Nervenkrankheiten, im Gefolge der Hysterie, des Somnambulismus, der Halluzinationen, beim Eintritt des Typhus, nach manchen Vergiftungen u. dgl. zur Geltung. Die Katalepsie beobachtet man am meisten bei weiblichen Individuen von nervöser Konstitution und bleichsüchtiger Blutmischung. Die Entwicklungsperiode begründet eine vermehrte Anlage. Oft werden die Anfälle durch heftige Gemütsbewegung, Schreck, Ärger u. dgl. hervorgerufen; sie enden selten tödlich. Öfters mischen sich auch bei den Anfällen Zuckungen, Erschütterungen, Zittern usw. mit ein. Die vorzüglichsten hierbei in Anwendung zu bringenden Mittel sind: Belladonna, Chamomilla, Ipecacuanha, Opium, Stramonium oder auch wohl: Cicuta, Hyoscyamus, Ignatia, Moschus, Sulfur.

Der Veitstanz (Chorea) ist eine klonische Krampfkrankheit der willkürlichen Muskeln, wodurch seltsame, dem Willen des Patienten nicht entsprechende Bewegungen der Gliedmaßen bewirkt werden. Dabei sind jedoch die Sinne und der Geist frei, obgleich nicht selten Gemütsverstimmung (Weinerlichkeit, Ärgerlichkeit, Ungeduld, Boshaftigkeit) zugegen ist. Im Schlafe finden die Krämpfe nicht oder höchstens nur in seltenen und schweren Fällen statt; vielmehr stellen sie sich erst mit dem Erwachen und mit dem beginnenden Willensreize wieder ein. Zuweilen zeigt sich die Muskelunruhe nur partiell, an einem einzigen Gliede, an einem Arme, am Halse, im Gesichte, in den Beinen (z. B. als stetes Aufstehen und Wiederniedersetzen). – Beim Schreibkrampfe wird durch die Bewegung, vorzüglich aber durch das Aneinanderdrücken der Fingerspitzen, der Krampf bewirkt. – Oft sind die Krämpfe nur in einer Körperseite, am häufigsten links, vorhanden. Man unterscheidet einen kleinen und einen großen Veitstanz.

Der kleine oder englische ( Sydenhamsche) Veitstanz, die Muskelunruhe, besteht in allerhand ungewöhnlichen, bizarren Bewegungen der Glieder oder des Körpers, des Gesichtes, des Kopfes, die absichtslos oder geradezu der Absicht des Kranken zuwider erfolgen und während des Wachens (selten oder nie im Schlafe) stattfinden und dann am stärksten sind, wenn der Kranke willkürliche Bewegungen auszuüben versucht. Die Krankheit entwickelt sich meistenteils nur nach und nach und kündet sich oft sehr frühzeitig durch Symptome von Bleichsucht, Verdauungsbeschwerden, Mattigkeit des Körpers, Herzklopfen, Schwindel und Benommenheit der Hirntätigkeit an; namentlich durch eine reizbare, veränderte oder auffallend mutwillige Gemütsstimmung, die oft für kindische Unart angesehen und bestraft wird. Die Kranken stehen unruhig, knicken mit den Knien, taumeln, schwanken, hüpfen usw., die verschiedenen Muskeln in den Armen, Fingern und Füßen zucken, und jeder Versuch, Ruhe der Glieder zu erzwingen oder eine willkürliche Bewegung auszuüben, ruft die verkehrte Bewegung hervor: Der Kranke will ein Glas ergreifen und greift in die Suppe, er will den Löffel zum Munde führen und fährt damit nach dem Ohre, er will nach rechts gehen und schwenkt nach links. Oft werden dabei die Harn- und Stuhlentleerungen gestört, das Fleisch wird welk, und der Kranke magert ab; auch finden sich oft Gliederschmerzen. Im Kindes- und Knabenalter bis zur Pubertät ist Neigung zu diesen Krämpfen vorhanden, besonders bei schnellem Wachstum, zartem Bau, schwachen Muskeln, wobei das weibliche Geschlecht häufiger erkrankt. Als Gelegenheitsursachen sind zu nennen: psychische Eindrücke, besonders Schreck, Furcht; Onanie und andere Säfteverluste, Würmer usw. Verhältnismäßig häufig ist das Auftreten des Veitstanzes nach Gelenkrheumatismus; auch bei Kindern, die an leichteren chronisch-rheumatischen Beschwerden leiden, ist die Krankheit nicht selten zu beobachten; ebenso bei Kindern mit Herzklappenfehlern. Durch den Nachahmungstrieb, sagt man, steckt die Krankheit auch andere nervöse Personen und Kinder an und kann somit gleichsam epidemisch werden. – Die Dauer der Krankheit ist unbestimmt; ein gefährliches Zeichen ist es, wenn die Krämpfe auch im Schlafe fortdauern.

Unter dem großen Veitstanze (Chorea major) verstehen wir eine Krampfkrankheit, die in Anfällen mit längeren freien Zwischenräumen auftritt; bei der der Kranke ohne Grund und wider Willen mit großer Behendigkeit Körperbewegungen macht, die erstaunlich und den zweckbewußten oft ganz ähnlich sind; er gestikuliert mit den Händen, hüpft, tanzt, springt, schreit, ahmt Tierstimmen nach usf. Dabei ist der Kranke oft erhitzt, und seine Augen sind lebhaft und glänzend. Das Bewußtsein ist mehr oder weniger gestört, besonders in Form einer Verzückung affiziert. Wird der Kranke in seinem Tun gehindert oder festgehalten, so steigert sich der Anfall oft zur Wut. Die Anfälle können minuten-, oft sogar stundenlang dauern und hinterlassen Schlaf, Schweiß, Abspannung. Die Krankheit beginnt zuweilen mit einem sonderbaren, leicht für Neckerei, Ausgelassenheit oder Mutwillen zu haltenden Benehmen, wie beim kleinen Veitstanz; doch sind die Ursachen nicht immer dieselben.

Bei dem großen Veitstanze finden Einflüsse statt, die schon unsere Vorfahren mit dem Worte »Besessenheit« (Possession) oder »Umsessenheit« (Obsession) bezeichneten. »Jedermann hat das Recht zu zweifeln, leugnen ohne Kenntnis ist jedoch ein Fehler«, sagt Arago. »Wir sind stolz auf die Höhe, die unsere Wissenschaft erklommen hat, wir sind gleichfalls stolz darauf, daß manches, was uns geläufig, für unsere Vorfahren undurchdringlich war; allein in Dingen, die wir noch nicht verstehen, sind wir ganz ebenso unwissend wie jene, die, mehr auf sich und einen kleinen Beobachtungskreis angewiesen, in vielem unterrichteter waren als unsere Generation, die unter der Aufschrift »Aberglauben« alles über Bord wirft, was auf unsere Vorfahren eine so gewaltige Anziehungskraft übte. In dünkelhafter Selbstüberhebung lacht man über die aus der Mode gekommene Bezeichnung ›Besessenheit‹. Freilich ist es leichter, über eine Sache zu lachen, als sie zu verstehen; daher zieht die Majorität die erstere Methode vor.« – Vor Jahren hatten wir Gelegenheit, ein Mädchen zu beobachten, das wegen großer Einfältigkeit und Unwissenheit nicht konfirmiert werden konnte, aber im Zustande der Ekstase, die man mit Chorea major bezeichnen konnte (die Kranke machte oft Sprünge und Gliederverrenkungen, wie sie der geschickteste Akrobat kaum hätte ausführen können), in modernen Sprachen, uns verständlich, geläufig sprach und mit absonderlichen Gesten, in gewandter Form, Reden hielt, die nicht aus ihren Verstandeskräften entspringen konnten. Sagt man, daß das gegen den gesunden Menschenverstand verstößt, dann erwidern wir, daß sich Tatsachen nicht nach dem gesunden Menschenverstande richten, sondern daß sich dieser vielmehr nach jenen zu richten hat. – Gegen solche Zustände läßt sich selbstverständlich mit Arzneien nichts ausrichten Professor Jeannel in Rennes hat eine Abhandlung über die bellenden Weiber (les aboyeuses) in der Bretagne veröffentlicht, aus der hervorgeht, daß diese noch heute lokal hervortretenden Erscheinungen auf dieselben Ursachen zurückzuführen sind, wie das Blöken der Brigittennonnen im Jahre 1613 und das Katzenmiauen der Amsterdamer Waisenkinder im Jahre 1566. – Seit uralter Zeit gibt es in der Bretagne einzelne Häuser, in denen ein Mitglied von der Manie besessen ist, wie ein Hund zu bellen. Die Ärzte können dagegen nichts ausrichten; nur die Kirche und das Gebet können helfen, wovon die Bevölkerung fest überzeugt ist. J. bemerkt, daß ähnliche Besessenheiten auch anderwärts vorkommen, wie der Abbé de l'Ancre in seinem amtlichen Berichte von 1855 erzählt. – Es sei hier an die zahlreichen Fälle von Massensuggestion, wie sie sich z. B. bei einer Panik äußern, erinnert.. Oft bessert oder beseitigt den Zustand das Magnetisieren mit der Hand. Am meisten aber vermag das den Tiefen des Geistes entstammende lebendige Wort. – Denn außer den » Worten des Ausdruckes«, zur bloßen Bezeichnung von Begriffen und Vorstellungen, gibt es noch » Worte des Seelengefühls« und » Worte der Kraft«. Der Begeisterte redet mit der Menge, und Erstaunen faßt den Hörer; seine Worte lassen Tränen fließen und Tränen trocknen. – Der Heerführer spricht, und Knaben greifen zum Schwerte. – Es spricht der Heilige, und Zorn verwandelt sich in Duldung. Das sind nicht Worte des bloßen Ausdruckes, es sind Worte des Seelengefühls. Aber ein Wort gibt es, verborgen und dennoch offenbar, das ist das Wort aller Worte. Bei seinem Klange sinkt Mensch und Engel anbetend nieder; der Verworfene aber erbebt und ergreift die Flucht vor ihm. Alles, was ist, war und sein wird, liegt darin; denn es ist von den Worten der Kraft das kräftigste.

Übrigens sind wir noch weit davon entfernt, alle im Schoße der Natur schlummernden Kräfte und magischen Mittel zu kennen, wie solche in gewissen Fällen zu allen Zeiten mit Erfolg angewandt worden sind. – Den Superklugen, die über derartige Dinge lachen, wollen wir die Worte des genialen Schopenhauer in Erinnerung bringen: »Um über alle geheime Sympathie oder gar magische Wirkung vorweg zu lächeln, muß man die Welt gar sehr, ja ganz und gar begreiflich finden. Das kann man aber nur, wenn man mit überaus flachem Blick in sie hineinschaut.« –

Stets muß der Kranke nach Kräften geschont werden, man muß jede Gemütsbewegung von ihm fernhalten und ihn vor Schadennehmen oder Schadenstiften behüten. – Bei dem kleinen Veitstanze, der Muskelunruhe, wird das Heilverfahren sehr unterstützt durch den Aufenthalt des Kranken in frischer Luft, besonders auf dem Lande. Beim pathologischen, d. h. auf Krankheiten des Körpers beruhenden Veitstanze, der nicht mit der sog. Obsession oder Possession verwechselt werden darf, sind mitunter folgende Mittel hilfreich:

Agaricus: Muskelunruhe und Gliederzittern. Konvulsive Bewegungen und Verdrehungen der Glieder mit Lähmigkeitsgefühl und Schmerzen in Nacken, Schultern, Armen bis zu den Fingern; in der Kreuzbeingegend, den Hüften und Füßen. In ähnlichen und sehr hartnäckigen Fällen, besonders bei häufigem Frostschauer über den ganzen Rücken, wird noch Tarantula empfohlen. Dieses nur zu selten angewandte Mittel ist in solchen Fällen ebenso unersetzlich, wie in anderen Fällen das Bienengift. Das Gift dieser Spinne besitzt eine das ganze Nervensystem alterierende Wirkung, wie die Prüfungen von Dr.  Nuñez ergeben.

Baryum carbonicum: Zuckungen in den Gesichtsmuskeln sowie in Armen und Beinen mit zunehmender Verstandes- und Gedächtnisschwäche. Auch bei skrofulösen Kindern mit Drüsengeschwülsten.

Belladonna: Sehr heftiger Veitstanz mit Ergriffensein der Gesichtsmuskeln, Rollen der Augen und Zuckungen der Extremitäten; oft in Anfällen auftretend; Lach- oder Weinkrämpfe; Blutandrang nach dem Kopfe, Wutanfälle. Ähnlich Stramonium oder Hyoscyamus.

Calcium carbonicum: Besonders bei Skrofulösen oder Bleichsüchtigen oder bei Onanisten; bei den mehr chronischen Formen, wo wir auch Sepia oder Silicea oft mit Erfolg angewendet haben.

Cimicifuga racemosa: Bei heftigem Rucken und Zucken der Arme und Beine. Bewegung des Kopfes und der Gesichtsmuskeln. Erschwertes Sprechen und Schlucken.

Cocculus: Bewegung des Rumpfes und der Extremitäten, besonders bei hysterischen und schwächlichen Personen.

Cuprum: Bei krampfhaftem Hin- und Herschleudern der Extremitäten, besonders der Arme, auch während des Schlafes; bei chronischem Veitstanze.

Ignatia: Ein schätzbares Mittel bei Veitstanz mit Grimassenschneiden und bizarren Bewegungen der Gliedmaßen; nach Gemütsbewegungen, in frischen Fällen.

Laurocerasus: Veitstanz mit Verzerrung der Gesichtsmuskeln, klopfenden oder pressenden Kopfschmerzen, Schwindel und großem Mattigkeitsgefühl. Oft von Nutzen, wenn die Anfälle Lähmigkeitsgefühl in Muskeln und Gelenken, Erschlaffung oder Gefühllosigkeit der Glieder zurücklassen.

Nux vomica: Veitstanz mit Rückwärtsbeugen des Kopfes, besonders nach Ärger.

Zincum: Wenn unter den Konvulsionen das Gemüt sehr leidet oder Seelenstörungen zurückbleiben. Oft nach Ignatia passend.

Nicht selten ist Wurmreiz die Ursache nervöser Muskelzuckungen; besonders verursachen die kleinen, weißen, oft in unglaublicher Menge im Mastdarme sich aufhaltenden Madenwürmer (Oxyuren) einen bedeutenden Reiz auf der Schleimhaut, wodurch Reflexkrämpfe erzeugt werden. Hier leite man eine Behandlung ein, wie bei Wurmbeschwerden (siehe unter Kinderkrankheiten) angegeben; innerlich ist Cina oder Mercurius solubilis anzuwenden.

Schließlich noch ein Volksmittel, das sich bei periodischen Muskelzuckungen, besonders bei Nickkrämpfen und anfallsweise eintretenden Zuckungen der Genickmuskeln, nach unseren Erfahrungen sehr gut bewährt hat. Es ist die Wurzel der dunkelroten Päonie (Pfingstrose). Im Januar gegraben, dann getrocknet und pulverisiert, gibt man jeden Morgen Kindern von 2 bis 3 Jahren einen kleinen ½ Teelöffel voll; älteren Kindern einen nicht gehäuften Teelöffel in etwas Weißwein. Dies scheint dasselbe Pulver zu sein, das Salzmann sehr empfiehlt in dem schönen Buche: »Konrad Kiefer, oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Kinder«. Das Pulver ist von schmutzigbrauner Farbe; da aber das Publikum rotes Pulver verlangte, so gab man ihm durch Cochenille eine rote Färbung. Diese erwähnt auch Salzmann.

Der Schreibkrampf (Spasmus scriptorum, Cheirospasmus scriptorum) kommt hauptsächlich bei den Leuten vor, die gezwungen sind, den Daumen langanhaltend gegen den Zeige- und Mittelfinger zu halten, was sich gewöhnlich in den Flexoren durch krampfhaftes Zusammenkrümmen oder Auseinanderspreizen der Finger äußert und anfangs rascher vorübergeht, später aber häufiger und anhaltender erscheint. Leute, die mit der Feder arbeiten, bessern die Beschwerden bedeutend, wenn sie sich einer weichen Feder, die leicht über das Papier fährt, bedienen und das nahe Aufeinanderpressen der Finger durch einen Korkfederhalter verhindern. Auch kommt der Krampf häufig bei Handwerkern, besonders bei Schuhmachern und Schneidern vor. Die Allopathie besitzt dagegen kein Mittel, sonst würde sich der große Antihomöopath Prof. Dr.  Bock in Leipzig, der bis zu seinem Tode an diesem Übel litt, davon befreit haben. Durch homöopathische Arzneien ist die Krankheit indessen schon öfters beseitigt worden, und zwar hauptsächlich durch Belladonna oder Causticum, Argentum nitricum, Gelsemium, Magnesium phosphoricum, Zincum valerianicum; auch soll sich in einigen Fällen Stannum bewährt haben. Von selbst versteht es sich, daß man sich während der Kur schonen und Anstrengungen, die den Krampf hervorrufen, vermeiden muß.

Die Wadenkrämpfe kommen gewöhnlich nachts im Bett vor und verursachen sehr schmerzhafte Zusammenziehungen und Anschwellungen der Fuß- und Wadenmuskeln; sie werden momentan beseitigt durch nemetische Teilstriche über die mit Krampf behafteten Teile, auch wohl durch Auftreten auf den Fuß; vor dem Überkreuzen der Beine muß man sich hüten. Bei Schwimmern ist der Wadenkrampf, wenn er im Wasser erscheint, höchst gefährlich. Als Heilmittel hat sich in den meisten Fällen Veratrum oder Belladonna bewährt. Die Disposition dazu hebt Rhus Toxicodendron besonders da, wo die Wadenkrämpfe nach Anstrengung entstehen. Auch Einreibungen mit Kampfer-Spiritus schaffen Erleichterung. – Strumpfbänder dürfen bei diesem Übel nicht angelegt werden.

Lach- und Weinkrämpfe kommen meistens bei hysterischen Personen vor und sind Symptome eines tiefer liegenden Leidens. Hierbei können in Anwendung kommen: Aurum, Calcium, Chamomilla, Conium, Ignatia, Opium, Pulsatilla und viele andere Arzneien, je nach den Erregungsursachen und den dem Leiden zugrunde liegenden Krankheiten, z. B. nach Kränkung: Ignatia, nach Schreck: Opium, nach Ärger: Chamomilla usw.

Das Charakteristische der Hauptmittel gegen Krämpfe ist unter » Epilepsie« zu ersehen.


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