Sagen aus Franken
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Die Wurstpredigt

»Wenn man nach dem abergläubischen Verhalten vieler urteilen sollte, so würde das Christentum nicht sowohl ein Gottesdienst als eine Furcht vor dem Teufel sein.« Anonymus von 1790.

»Mach keine Wurstpredigt«, war eine Redensart, die unsere alten Nürnberger oft genug im Mund führten; das sollte bedeuten, kurz und bündig herausbringen, was einer zu sagen hatte, gradaus und ohne alle Umschweife. Nun kann einer ja glauben, dass es doch recht gleichgültig sei, woher so ein altes Wort kommen mag; wer aber einmal erfahren hat, dass ein jedes Wort seine besondere Geschichte hat, lehrreich oder erbaulich, je nachdem, der wird es verstehen, dass ich oft bei vielen alten Leuten herumfragte, was sie darüber wußten, und es gäbe selber eine stattliche Wurstpredigt, wenn ich das alles erzählen wollte. Ob es nun so ist oder nicht, und ob die Redensart wirklich ihren Ursprung daherschreibt, scheint wenig nach der Wahrheit, trotzdem aber will ich die Geschichte aufschreiben, die man mir einmal zum besten gab, als ich bei den Bauern in Grossreuth einen Alten fragte, ob er nicht wüßte was es zu bedeuten hat, wenn zu einem gesagt wird, er solle keine Wurstpredigt halten. Als sich die Geschichte begeben, war der Aberglaube bei uns noch auf tausend Arten im Schwang, und mit Hexen, Gespenstern oder dem Teufel in irgendeiner Gestalt hatten besonders die Bauern genug zu schaffen. Einmal gab die Leibkuh blaue Milch oder gar keine, oder es kam auch Blut aus dem Euter; das konnte nicht auf richtige Art zugehen, und es kam nur darauf an, den Zauberer oder die Hexe ausfindig zu machen, was nicht so schwer fiel, als man denken sollte, denn alte Leute gab es überall und nicht allzuviele; da kam es bald zu Tag, wer solchen Zauber machte und zum Schaden der andern trieb. Darüber, dass alte Weiber hexen konnten, brauchte sich keiner erst lang zu besinnen, das war seit Alters gewiß, und es gab auch Mittel, herauszubringen, von wem das Unheil kam. Man ließ die Kuh ihr Wasser in einen Topf abschlagen, wobei drauf zu achten war, dass beileibe nichts daneben ging, rührte den Urin mit einem alten Besen wohl um und goß ihn in Teufels Namen mit Topf und Besen ins Feuer. Das machte vor allem einen Wunderbaren Gestank im Haus, und manchem alten Weib im Dorf kam wohl ein Zittern an, so sie das roch denn nun mußte die Hexe den Grind bekommen. Und so kam's heraus, wer solchen Unfug trieb. Ein ebenso sicheres Mittel, die Hexe zu erkennen, war dies. Man molk die verzauberte Kuh, kochte die Milch in einer Eisenpfanne und schlug die Kuh weiblich mit einem tüchtigen Dornstecken; am andern Tag lief dann die Hexe mit zerkratztem Gesicht herum, man brauchte nur die alten Weiber anzusehen, um die Hexenmeisterin zu erwischen In einem Buch von 1790 gegen, »Aberglauben sind falschen Wahn« dessen Verfasser sich nicht nennt, fand ich den Satz:: »Das Dasein des Teufels leugnen, ist Unglaube; ihm diejenige Macht über die Geschöpfe zuschreiben, die man ihm so allgemein einräumt, ist Irrglaube.« – - »Man rede von Gottes Allmacht, von seinen Strafen, dass es bei ihm stehe, glücklich oder unglücklich zu machen, man wird höchstens einen Seufzer Hören, der übrigens keine Unruhe verursacht Aber man fange vom Teufel an, rede von Bezauberungen durch ihm und von seinen Verwüstungen; sage, er habe jenem den Hals umgedreht, jenen in die Luft geführte und unter grauslichem Geschrei zerrissen – und man wird es von ganzen Herzen glauben und erschrecken. Beweist dies, dass man den Teufel mehr fürchtet als Gott? Der Teufel aber kann uns ohne Gottes Zulassung nicht schaden; denn er ist unter Gott und kann ohne Gott nie seine Absichten erreichen.« Doch da muß ich mir selber sagen, kurz zu sein, keine Wurstpredigt zu halten, und so soll meine Geschichte ihren Anfang nehmen. In der uralten romanischen Kapelle im Heidentum wurde vor langer Zeit für das Bauernvolk und die Gärtner hinter der Veste Gottesdienst gehalten. Aber nur alle zwei Wochen predigte der Pfarrer am Sonntag schon früh vor Tag; zwischenhinein versah damals den Dienst ein zahnloser Mesner, der zudem ein schlimmer Stotterer war, der jedes Wort zweimal sagte, manchmal, wenn er seinen bösen Tag hatte, wohl auch öfter, hinten im Gaumen eine Weile dran herumkaute, bis er es glücklich herausbrachte; da seine Zuhörer nicht verwöhnt waren, so ging das lange Jahre so, und wenn nichts geschehen wäre, wovon ich erzählen will, so wären die Bauern bis an seinen Tod deshalb nicht ausgeblieben. Es war auch nicht seine Sache, eine freie Predigt zu halten, wie der Pfarrer, er saß da und las, so gut es ging, aus einer riesigen Postille, und wenn es nicht so recht fort wollte, schob er ungeduldig die runde Hornbrille auf der Nase bin und her oder hustete, was ihm viel leichter ankam als reden. Im Spätherbst, wenn es morgens lange dunkel blieb, und im Winter stand vor der Postille eine große Laterne mit einem kümmerlichen Gollicht, das kaum armlang um das Buch her so trüben Schimmer warf, das es in der alten, engen Kapelle so finster wie in einer Gruft war.

Damals war in der Frühe das Neutor wie auch das Vestnertor geschlossen, und die Bauern kamen zum Tiergärtnertor herein, gingen die Stufen zum Oelberg hinauf, am Fuß der Burg bin, den steilen Bimmelsweg zur Kapelle im Heidenturrn. Da war weder Licht noch Pflaster und der ganze Weg schon unheimlich genug für abergläubische Gemüter, die an allen Ecken und Enden zu gruseln genug fanden; auf der Burg zumal trieben sich nicht nur zur heiligen Zeit ganze Rudel Geister um. In einer Kapelle zeigte man eine Säule mit einem Eisenring. Der Teufel hatte die Säulen aus Italien geholt für den frommen Erbauer, mit dem er um die Seele gewettet hatte; wenn der Mönch einschlief, bevor der Teufel mit der letzten Säule durch die Luft kam, war er ihm verfallen. Als der Satan den frommen Mann betend fand, warf er wütend die Säule zu Boden; man mußte sie mit Eisen zusammenfügen. Auch am Himmelstor, durch das man von unten her gehen mußte, war es nicht geheuer.

Als der stotternde Mesner wieder einmal an der Reihe war, hatte es tagelang geregnet, und die Bauern kamen durch den tiefen Schmutz zum Gottesdienst. Heute waren ihrer viele, so daß sie den dunklen Raum bald bis in die Winkel füllten, wo keiner den andern mehr am Gesicht erkannte. trübselig schien das Gollicht auf die Postille, und der Mesner begann nach einigen Anläufen den dreiundzwanzigsten Psalm Davids zu lesen. Als er zum vierten Vers kam, war es schier zum Verwundern, denn er sagte ihn laut und ganz ohne Stocken, mit großen Gottvertrauen. Es war die schöne Stelle des gläubigen, tiefen Bauens auf Gott, der dem Christenmenschen ein gewaltiger Stecken und Stab im finstern Tal der Welt ist. Dann las er aus dem dicken Buche kräftige Worte, wie sie der Pastor Hartkopf von Sankt Jakob nicht stärker gesagt hätte, denn heut war sein guter Tag. »Um der Menschen Gunst gib ich gar nicht und will deshalb allein auf Deine gar große Macht und Gewalt vertrauen, die da erschrecklich groß ist gar über die massen stark über alle Geist Himmels und der Erden. O allerliebster Vater, Du Licht der Blinden, Stab der Lahmen, Der lässt uns Übel nit widerfahren; O großer Fürst, Deine wunderbare Majestät behüt uns von allen giftigen Seuchen, hitzigen Leibschäden und anderen gefährlichen Krankheiten und widerwärtigen Zufällen, also dass uns weder Glück noch Unglück, weder Gesundheit noch Trübsal, weder Armut, weder Tot noch Leben von Dir lieber Vater mögen absondern.«

Auf der Kanzel sah man einen dunklen Fleck, der sich bin und wieder bewegte. Ehe die andern hinsahen, flog ein großer, schwarzer Vogel auf den Tisch neben die Postille und schrie: »Halts Maul! Mach ka Wurstpredig. Alter Schmarrer!« Der Mesner fuhr auf, warf den Tisch mit der Postille um, die Laterne fiel auf den Steinboden und erlosch. »Gelobt sei Jesus Christus,« stotterte der Mesner. »Der Teufel, der Teufel!«, brüllten die Bauern, stießen einander über den Haufen und keilten und balgten sich an der Kapellentür; Mannsleute und Weiber mit hochgerafften Röcken rannten durch den tiefen Kot den Himmelsweg hinunter über die Burgstrasse und den Oelberg fort. Über ihre Köpfe weg flatterte ein Rabe und blieb oben auf dem Himmelstor sitzen, dort hörten ihn die letzten und der schlotternde Mesner, den sie übel zerstoßen hatten, nochmal krächzen: »Mach' ka Wurstpredig! Mach' ka Wurstpredig'« Der vermeintliche Teufel war eine zahme, sprechende Dohle, die dem alten Türmer auf dem Sinwellturm entflogen war, das Licht hatte sie in die Kapelle gelockt; den Spruch hatte sie vom Türmer gelernt, der ihn oft genug seiner schwatzhaften Frau zurief. Seitdem dies geschehen, wird im Heidenturm kein Gottesdienst mehr gehalten, denn keiner der Bauern ließ sich mehr dort sehen; sie hielten es als Christen nicht damit, Gott mehr zu fürchten als den Teufel.

 


 


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