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Kaiser Heinrich II. war ein gar frommer Kriegsmann. Er tat niemand Unrecht, nicht Freund und nicht Feind, und jedermann wußte, dass er nur zu Felde zog, wenn es zur Hilfe für sein Volk und zur Wiederherstellung des Rechts im Reich nötig war. Der Krieg war ihm verhaßt, dagegen liebte er die Jagd, und drum kam er gern nach Nürnberg, weil es in den tiefen Wäldern um die Burg herum viel Wild gab, Hirsche, Rehe und Sauen, Bären und Wölfe in Mengen. Einmal war wieder eine große Jagdgesellschaft hinausgezogen, diesmal in die Wälder südlich der Stadt. Gedankenvoll ritt der Kaiser dahin; denn seine Gemahlin, die fromme Kunigunde, die er innig liebte, hatte ihn flehentlich gebeten: »Reit heut nicht hinaus, sondern bleib daheim in der Burg! Ich hab so einen bösen Traum gehabt« Sie hatte geweint vor Sorge und Angst um ihn und seine Gesundheit, er aber hatte gelacht: »Soll ich all die Herren umsonst bestellt haben? Und sollen an die Treiber draußen im Wald ohne Jagd wieder heimgehen? Nein, nein! Beruhige dich! Ich bin hier und im Wald in Gottes Hut!« So war er weggeritten und hatte noch gesehen, wie sie ihm in Tränen lächelnd mit ihrem seidenen Tüchlein nachgewinkt hatte, solange sie ihn sehen konnte.
Daran dachte der Kaiser Heinrich. Dann aber schüttelte er sich und lachte, gab seinem schweren Roß die Sporen und setzte sich an die Spitze der Gesellschaft im munteren Trab ging es immer tiefer hinein in die hohen Gewölbe der Eichen und Linden, die dort standen, und unter denen man in langer, grasiger Bahn hinter dem fliehenden Wild herreiten konnte. Da sprang eine schöne, große Hirschkuh vor dem Kaiser aus dem Gebüsch und setzte in langen Sprüngen vor Ihm her. Der Kaiser gab mit hellem Ruf dem Pferde die Sporen und jagte hinter ihr her weiter und weiter nach Süden zu. Das Gefolge blieb weit zurück und verlor den Kaiser aus den Augen. Der aber jagte und seinem Pferd unaufhörlich hinter der Hirschkuh her und konnte sie nicht erreichen. Auf einmal war das Tier vor seinen Augen verschwunden; er jagte weiter da stutzte sein Pferd und sprang erschreckt zurück. Mit Mühe nur konnte der Kaiser sich im Sattel halten im unvorhergesehenen Sprung seines Pferdes. Zornig gab er ihm die Sporen. Umsonst, es stieg steil in die Höhe erschreckt vor einem alten, schwarzen Baumstumpf, den der Blitz geschwärzt hatte. Vorbei an dem schwarzen Lindenstamm, aus dem nur noch wenige grüne Blätter austrieben, schaute der Kaiser in einen tiefen Abgrund. In den wäre er sicher gestürzt, wenn sein Pferd nicht vor dem Blitz geschwächten Lindenbaum erschrocken gestutzt hätte. Der Kaiser brach zur Erinnerung ein Lindenzweiglein ab und steckte es auf seinen Hut Spät in der Nacht erst kam der Jagdzug heim zur Nürnberger Burg. Die Kaiserin hatte in großer Angst gewacht und gewartet, und als der Kaiser in den Burghof hereinritt, ging Kunigunde ihm entgegen und rief: »Warum kehrst du heute so spät zurück:, du böser Mann?« Da beugte sich der Kaiser herab zu ihr, zog seinen Hut, nahm das Lindenzweiglein herunter und reichte es ihr mit den Worten: »Die Linde, an der das Zweiglein gewachsen ist, hat dir heute das Leben deines Mannes gerettet«. Und er erzählte ihr, wie es ihm ergangen war. Am andern Morgen pflanzte Kunigunde das Zweiglein in die Mitte des Burghofes, und dort grünte es weiter und wuchs und wurde ein mächtiger Lindenbaum, der den ganzen Hof beschattete. Fast tausend Jahre stand dort der Baum. Ich selber hab ihn noch stehen sehen, mehr als eine Klafter breit, gänzlich hohl, aber ringsum mit grünen Blättern. Ein schwerer Gewittersturm mit zündendem Blitzstrahl stürzte ihn in einer Nacht. Meine Kinder konnten noch die angekohlten Reste am alten Platz sehen. Meine Enkel sahen auch das nicht mehr. Aber Ich kann ihnen den Ort noch zeigen, wo die alte, große Burglinde von Nürnberg stand.