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In den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts war die Pest in Europa. Wer von der Krankheit gepackt wurde, bekam plötzlich am ganzen Körper schwarze Punkte. Und wenn diese Zeichen zu sehen waren, starb der Mensch meist nach ein paar Stunden. Die Pest wanderte durch die Länder von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt; wenn sie irgendwo auftrat, flohen die Menschen in schrecklicher Angst, und weil jedesmal schon eine Anzahl angesteckt waren, wurde gerade durch diese panische Flucht die Pest nach allen Seiten ausgebreitet. Auch in Nürnberg starben damals ganze Straßen aus. Die Kranken lagen hilflos dort, wo sie gerade ohnmächtig geworden waren: in ihren Stuben, auf den Treppen, in den Straßen und an den Brunnen. Jeden Tag fuhr einmal der Pestwagen vorbei und der Kutscher lud die Toten auf, wie er sie fand, oder wie sie ihm gemeldet wurden. draußen vor der Stadt war ein großes Loch gegraben; in das wurden die Toten hineingeworfen, wie sie waren. Kein Mensch konnte in diesen Tagen daran denken, die Toten zu waschen oder besonders zu kleiden, sie in Sarge Zu legen oder eine regelrechte, feierliche Beerdigung zu halten.
In diesen Tagen lebte ein Musikant in Nürnberg, der in den Wirtschaften bei Wein und Bier den Dudelsack blies und von dem lebte, was ihm die Zecher zuwarfen. Er war aber selber ein guter Trinker, und alles, was er da verdiente, nahm den Weg durch seine Gurgel. Er war lustig und guter Dinge den ganzen Tag und ließ sich auch von der Pest nicht schrecken.
Einmal war es wieder recht lustig gewesen im Wirtshaus. Der Musikant hatte gedudelt und ein paar Gläslein zuviel erwischt. Als sein Geld aus war, und er nach Haus wanken wollte, kam ihm die frische Luft zu gewaltig über den Kopf, und er blieb – übervoll wie er war – mitsamt seinen' Dudelsack mitten auf der Straße liegen. Kurze Zeit, nachdem er sich an dem harten Ort zum Schlafen gelegt hatte, fuhr der Pestwagen vorbei. Der Fuhrmann hielt das betrunkene Pfeiferlein, das wie leblos auf der Straße lag, für einen, den die Pest umgebracht hatte, nahen ihn auf und schob ihn ohne langes Besinnen zu den andern Toten auf seinen Wagen.
Damals waren die Straßen in Nürnberg noch nicht so gut gepflastert wie heute. Da waren Rinnen und Löcher. Und als der Wagen nun so dahinholperte, wachte der Pfeifer auf. Da sah er sich unter lauter Pesttoten auf den Wagen, vor dem alle Menschen davon liefen, damit sie nicht angesteckt würden! Er rief, aber niemand hörte ihn. Er wollte abspringen, aber die große Last der Toten, die nach ihm aufgeladen waren, lag über ihm und er konnte sie nicht abwerfen. Da kam ihm das Mundstück von seinem Dudelsack ins Gesicht. Er faßte es mit dem Mund und fing zu blasen an: ein lustiges Stückelten nach dem andern. Der Kutscher vorn auf seinem Bock hörte die Töne hinter sich. Er fragte bei sich: »Seit wann blasen die Toten den Dudelsack?« Er schlug auf seine Tiere ein und in rasender Fahrt kam er draußen an' Massengrab an. Als er die Toten in die Grube warf, hörte er noch immer die lustigen Töne, die gar nicht passen wollten zu seinem traurigen Geschäft. Da stand das Pfeiferlein auf und jagte damit dem Kutscher noch einmal einen Schrecken ein.
Der Fuhrmann und der Pfeifer dachten, dass es nicht länger als ein paar Tage dauern werde, bis die Pest das Pfeiferlein doch ins Massengrab hole. Der Dudelsackpfeifer ging aber wieder ins Wirtshaus und wartete dort bei lustigen Tönen und bei manchen Tänzeln, was kommen sollte. Doch es kam nichts. Der Dudelsackpfeifer blieb frisch und gesund und war einer von den Wenigen, die noch am Leben waren, als die Pest erlosch. Dort, wo der Platz vor der Heilig-Geist-Kirche eine kleine Ausbuchtung macht zum Eingang des Heugässleins und der Ebnersgasse, da steht ein Brünnlein. Auf dem aus Erz gegossen der lustige Dudelsackpfeifer steht.