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Auf der Burg von Nürnberg steht ein alter, dicker Turm; er heißt der Heidenturm. In ihm stehen zwei Kapellen übereinander. Die untere finster und niedrig, mit dicken, schweren Sandsteinsäulen; die obere hell und freundlich, mit schlanken, hohen Marmorsäulen. Eine von den vier Marmorsäulen in der oberen Kapelle trägt einen sonderbaren Ring. Wie kommt der Ring an die Säule? War sie vielleicht einmal gesprungen, und musste der Sprung mit dem Ring überdeckt werden? Ja, so war es; aber das ist eine schreckliche Geschichte. Der Kaiser hatte sich eine Burg auf den Nürnberger Felsen gebaut. Die finstere, alte Kapelle gefiel ihm nicht. Sie hatte auch nicht genug Raum für seine Ritter und war für seine Diener; drum ließ er über die alte Kapelle eine neue, schönere, hellere, geräumigere bauen. Der Schlosskaplan bekam den Auftrag und den strengen Befehl, die neue Kapelle mit Marmorsäulen aufzurichten. Der Kaiser zog nach diesem Befehl in ferne Länder und verlangte zum Schluß noch, dass die Kapelle genau über ein Jahr fertig sei. Da wolle er mit dem Bischof das neue Gotteshaus festlich einweihen. Der Schlosskaplan ließ den besten Baumeister kommen, den er kannte, und beriet mit ihm den Plan.
Aber Marmorsäulen konnte der Baumeister nicht herbeischaffen. Die Wege waren zu schlecht, und in der Nähe waren weit und breit keine Marmorsäulen aufzutreiben. Das Jahr ging dahin, das Gebäude der Kapelle war fertig gestellt; das Gewölbe trug sich selbst, so kunstvoll hatte der Baumeister es gebaut Der Altar war aufgerichtet, die Fenster, die Emporen, die Bänke mit kunstvollen Verzierungen versehen. Aber die Säulen fehlten immer noch.
Einige Tage vor der festgesetzten Einweihung der Kapelle fiel dem Schlosskaplan die Sorge schwer aufs Herz. Der Kaiser hatte seine Ankunft von Regensburg her durch einen reitenden Boten angesagt und hatte mitteilen lassen, dass er den Bischof zur Weihe gleich mitbringe. Er hoffe, dass die Kapelle schön geworden sei, und dass besonders die bestellten Marmorsäulen das neue Gotteshaus prächtig ausschmückten. Der Kaplan fürchtete den Zorn des Kaisers. Unruhig ging er die Treppen der Burg auf und ab, irrte durch den Burghof oder sah vom Turm hinüber über die Wälder in die Richtung, aus der Zug des Kaisers zu erwarten war. Woher sollte er die Marmorsäulen nehmen? Was würde der Kaiser sagen, wenn die gewünschten Säulen fehlten? Solche Gedanken ließen ihn nicht mehr los und verfolgten ihn bis in den Schlaf hinein. Ein ungeheurere Donnerschlag weckte ihn. Verstört fuhr er in die Höhe. Er sah aber nichts Besonderes: nur drüben in der Ecke stand ein Mann bescheiden an der Wand. Er trug das Kleid eines Baumeisters. Seinen grossen Hut hatte er in der Hand, trat auf den Kaplan, der wieder in sein Bett zurück gesunken war, zu und sagte: »Deine Sorgen kennt ich genau. Ich will dir die vier Marmorsäulen noch heute aus Rom herschaffen, wenn du willst.« »Ich kenn dich, du bist der Teufel. Mit dir will ich nichts zu tun haben«, schrie der erschreckte Kaplan. Der Baumeister blieb eine Weile ruhig. Dann aber trat er näher heran und sagte leise: »Kaplan, du bist doch ein gescheiter, studierter Mann. Du kannst eine Messe lesen wie Wasser; du brauchst nicht länger als eine 1/4 Stunde dazu.« Trotz alles Schreckens schmunzelte der Kaplan geschmeichelt. Der Baumeister aber fuhr fort: »Ich will mit dir eine Wette machen. Bis du fertig bist mit dem Lesen der Messe, will ich dir die vier Säulen aus Rom über die Berge herschaffen. Wenn du in der Zeit, in der ich die vier Säulen, eine nach der andern, in deine Kapelle bringe, zu Ende kommst, dann gehören die Säulen dir, und ich will keinen Lohn dafür haben. Bist du aber nicht fertig, dann mußt du deine Seele geben.« Der Kaplan überlegte. Italien war so weit, und die Säulen waren so schwer, und viermal nach Italien hin- und herfliegen, das brauchte Zeit. Er setzte sich auf in seinem Bett und rief: »Teufel, ich wag's! Die Wette gilt. Du darfst aber nicht fort, ehe ich mit meiner Messe angefangen habe.« Der Baumeister war's zufrieden. Bescheiden stand er da und wartete, bis der Kaplan aus dem Bett gefahren war, seine Kleider angelegt, sein Messgewand übergezogen und sich von der Burgwache einige Wachmänner als Ministranten geholt hatte. Erst als das Glöcklein erklang, machte er sich auf. Und nun kam ein Gewitter, wie man es noch nicht gehört hatte. Donner krachten und knatterten, Blitze flammten taghell auf, Regen und Hagel schossen prasselnd herunter.
Der Kaplan aber las seine Messe mutig weiter. Aber kaum hatte er begonnen, kam der Teufel schon mit der ersten Säule herein. Noch ehe er zur Hälfte fertig war, stand bereits die zweite Säule an ihrem Platz und bald darauf stand schon die dritte Säule. Die Donner Schläge wurden immer furchtbarer, die Blitze immer greller. Die Wachsoldaten lagen bewußtlos am Boden und der Kaplan selber spürte, dass er nicht mehr sprechen konnte; seine Zunge war so schwer, sein Kopf ganz wirr. Da öffnete er in seiner Angst die Arme und rief: »Ite, missa est, Dominus vobiscum!« Dann sank auch er bewußtlos auf die Altarstufen. Der Teufel aber hatte im Hereinfahren nur die letzten Worte der Messe gehört. In furchtbarer Wut warf er die Säule mitten in die Kapelle, sodass sie auseinander sprang. Erst nach Stunden kam der Kaplan wieder zu sich. Er ließ seinen alten Baumeister kommen, und in kurzer Zeit war die vierte Säule zusammengesetzt und an ihren Platz gestellt. Der Sprung war durch den Ring verdeckt Und als der Kaiser und der Bischof kamen, konnten sie die Pracht der neuen Kapelle und besonders die schlanke Schönheit der Marmorsäulen nicht genug loben.