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Im Jahre 1274 hielt Kaiser Rudolf von Habsburg seinen ersten Reichstag, die deutschen Fürsten waren vollzählig erschienen. Alle freuten sich, das nun wieder ein Mann da war, der die Verbrecher und Unruhestifter im ganzen Lande mit starker Hand strafen und überall für Recht und Ordnung und Frieden sorgen konnte. Zu dem Reichstag waren auch viele Kaufleute gezogen; sie hatten in einem grossen Markte ihre prächtigsten Waren ausgestellt und hofften, dass die reichen, hohen Herren ihnen abkauften, und sie grossen Gewand mit heimbrächten.
Einer von den Kaufleuten hatte seinem Wirt 200 Mark feines Silber (das sind ungefähr 16 000 Mark) in einem geblümten Sack zum Aufheben gegeben. Als er das Geld wieder haben wollte, leugnete der freche Wirt alles ab und behauptete: »Ich weiss von keinem geblümten Geldsack! Ich hab kein Geld von dir bekommen, so geb ich dir auch keines zurück!« Der Kaufmann hatte dem Wirt vertraut und weder Schein noch Zeugen, so dass der Richter seine Klage abweisen musste; in seiner Verzweiflung glaubte der Mann, dass sein sauer erspartes Vermögen verloren sei. Da gab ihm einer den Rat: »Wen dich doch an den Kaiser! Wir haben jetzt wieder einen Helfer gegen Raub und Unrecht!« Der Kaufmann folgte dem Rat und hatte es nicht zu bereuen. Gnädig hörte ihn der Kaiser an und versprach ihm seine Hilfe. Bald darauf liess der Kaiser eine Anzahl Bürger aus der Stadt, darunter den diebischen Wirt, zu sich auf die Burg einladen, alle kamen in ihren schönsten Gewändern. Besonders der Wirt hatte sich herausgeputzt. Das schönste an seiner Kleidung war eine prächtige mit feinstem Pelzwerk besetzte Mütze. Die hielt der Wirt bescheiden in der Hand, drehte sie aber immer so, dass man ihre Fracht von allen Seiten bewundern konnte. Der Kaiser liebte kostbare Pelze und als er die Mütze sah, rief er im Spass: »Solch eine schöne Mütze wäre auch für den Kaiser nicht zu schlecht und müsste ihm gut stehen!« Er nahm sie lachend, setzte sie sich auf den Kopf und ging zum Spiegel, um sich darin zu besehen. Dann unterhielt er sich mit anderen Bürgern und ging endlich, als ob er die Mütze ganz vergessen hätte, ins Nebenzimmer.
Keiner der Bürger durfte den Saal verlassen. Die Wache hatte strengsten Befehl, darauf zu achten. Kaiser Rudolf nahm im Nebenzimmer die Mütze ab, rief seinen zuverlässigsten Diener und schickte ihn mit der Mütze in das Haus des Wirts. Dort musste er der Wirtin die Mütze ihres Mannes zeigen und sagen:
»Schickt doch eurem Mann rasch durch mich den geblümten Geldsack, er braucht ihn sehr notwendig.« Die Frau kannte die Mütze ihres Mannes sogleich und glaubte, dass der Bote von ihm komme. Ohne Bedenken übergab sie ihm den Geldsack. Der Kaiser liess den Kaufmann rufen und zeigte ihm den Sack. Der erkannte ihn auf den ersten Blick und konnte ihn und sein Geld so richtig beschreiben, dass der Kaiser sicher war: das war der wahre Besitzer des Geldes!
Dann kehrte der Kaiser zu seinen Gästen zurück. Er unterhielt sich mit ihnen und besonders mit den Wirt freundlich und lange Zeit. Darüber freute sich der eitle Wirt und sein Gesicht strahlte vor Stolz. Da plötzlich wurde der Kaiser sehr ernst und sprach von der Klage des Kaufmanns. Scharf blickte er dem Wirt in die Augen, so dass er bald rot, bald blass wurde in seinem schlechten Gewissen. Aber immer noch rief er: »Ich weiss nichts von einem geblümten Geldsack; ich hab kein Geld bekommen!« Aber seine Stimme war nicht mehr so frech, sondern zitterte ein wenig. Da liess ihm der Kaiser den Geldsack vor Augen halten und gleichzeitig trat von der anderen Seite der Kaufmann aus dem Nebenzimmer herein. Da erschrak der Wirt und sah sich entdeckt. Er stürzte dem Kaiser zu Füssen und bat um Gnade. Der Kaiser war auch gnädig; er strafte den Dieb nicht, wie es sonst üblich war, mit dem Tode, sondern er befahl ihm, ein grosse Summe Geldes zu zahlen.
Der Kaufmann aber bekam seinen geblümten Geldsack mit seinem Vermögen zurück; er reiste fröhlich weiter und rühmte, wohin er immer kam, den weisen, gerechten und hilfsbereiten Kaiser Rudolf.