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Zeitlied der Jugend

[Kantate für einen Knabenchor]

[1932]

 

I

Sonne saugt hinauf den Hauch der Flut.
Vater, so ziehst du aus unserm Blut
Hoch zu deiner Liebe goldnem Schweben
Unsern betenden Gesang empor.
Stete, leise Macht unwiderstehlich
Löst den Hauch der Stimmen, läßt ihn selig
Flügelnd aus dem Wogengrund sich heben,
Und durch Himmelsferne webt ihr Chor.
Nun darf er dir schallen,
Anschwellen, verhallen,
Aufsteigen und fallen,
Allhin sich bewegen
In feierndem Glück,
Den Lichtraum genießen,
Zu Schleiern verfließen,
In Wolken sich ballen –
Sich endlich ergießen,
Verrauschender Regen,
Zur Erde zurück.

 

II

Jahrtausend um Jahrtausend
Erjauchzte, König, dir ins Ohr
Aus allen Landen brausend
Der Kreaturen preisender Chor.
Was sängen wir dir Neues?
Dein Lob ist ja so groß vollbracht.
Doch drängt in uns ein scheues
Vertraun zu dem, der uns gemacht.
Das möchte dir gestehen
Von sich, wenn du auch alles weißt,
Aus Lieb dich horchen sehen,
Als wärst auch du nur Menschengeist.

 

III

Lachend wie betend – dir sind wir verbunden.
Laß einen Anteil an all unsern Stunden
Zum Opfer dir runden!
Laß auch vom glücklichen Flitter dir bringen,
Spielzeugstadt voll Leuchten und Klingen
Und Haschen und Ringen!
Der du wölbst deine Ewigkeit
Auch über bunte, verjubelte Zeit –
Dir sei geweiht
Kampflust unserer kindlichen Kriege,
Daß ein rufender Schimmer von Gottes Siege
Ihr Gewühl überfliege!
Was wir errafften an raschem Glänzen,
Schweifende Blüte aus Fahrten und Tänzen,
Zu wilden Kränzen
Dir geflochten, dir hingehoben –
Leichte Gaben, womit wir dich loben,
Nimm sie nach droben!

 

IV

Wenn wir den Kopf zurückwerfen
In unsern Spielen,
Wenn wir aufschauen
Von unsern Büchern,
Wie selten sehn wir
Offen dein Himmelsblau,
Schimmernd deine Erde.
Mit Wolken herstürmend oben,
Mit Nebeln ankriechend unten,
Finsternis spült um uns her.
Elend zehrt unsre Leiber an
Oder vergiftet das Bild
In unsern Augen.
Notschrei des Grundes entsetzt uns
Und Zornruf der Höhe.
Dann wühlen wir uns in Traum,
Wie der Urmensch sich duckte
Ins Gebüsch deines Gartens
Vor dem Laut deines Grimms.
Aber wie ihn aus seinem Versteck
Reißt dein Befehl uns hervor.
Und wir fliehn gleich den Großen ringsum,
Die mit tausend Künsten in tausend Maschinen
Fahrtbeflügelnde Kräfte fangen,
Durch die Räume deiner Schöpfung vor dir,
Frech als Sieg ausprahlend die Flucht –
Aber ohne Umschaun,
Denn hinter uns wartet
Dein Ernst.

 

V

Unsre Pulse, sie schlagen
Metallischen Takt.
Die Lust, zu entjagen,
Hat all uns gepackt.
Wir sahn uns in Träumen:
Die Hände ums Steuer
Im sausenden Wagen,
An verwischenden Bäumen,
Ein Sturm und ein Feuer,
Vorübergetragen.
Auf schneidenden, schwingenden
Straßen in singenden,
Biegenden Fahrten
Genommen das Land!
Doch niemals verharrten
Wir irgend im Ziele,
An lästige Schollen
Zu lang schon gebannt.
Steigt über! Wir starten
Zu freierem Spiele.
Noch weiter, noch schneller!
Wirf an den Propeller!
Im Erdüberrollen
Schon fühlt ihr, durchbebt,
Den Blitz der Sekunde,
Da entzaubert vom Grunde
Der Vogel sich hebt.
So klein sieht der Steigende
Dörfer im Feld,
Wie von Kindern auf neigende
Flächen gestellt.
Bald sind sie verschwebt,
Und im dröhnenden Flieger
Von Sternen zu Sternen
Durchgleiten die Sieger
Bezwungene Fernen.
Kein Fragen, kein Bangen,
Nur Jagen und Fangen!
Denn der Flinke nur lebt
Und gewinnt sich die Welt.

 

VI

Aber die Schnellen, wohin
Rasen ihre Fahrten?
Aber die Jäger, was
Erjagen sie?
Uns, die am Eingang stehn ihres Reiches,
Dienste erfragend –
Was für Welt, was für Werk
Hat ihre Kunst uns bereitet?
Werk ist not und wartet der Arme,
Tüchtige Arme greifen nach Arbeit,
Aber Werk veraltet, Arme erschlaffen,
Denn Harren und Suchen
Begegnen sich nicht.
Flut der Ernten lässest du schwellen,
Offen lechzen hungrige Münder,
Aber Ernten faulen, Münder verschmachten,
Denn Fülle und Mangel, nie
Finden sie zueinander.
Wärme strahlt dein Liebeswort,
Aber haßfrierend in ihren Zwisten
Vernichten sich deine Kinder,
Denn sie kommen nicht zu ihm.
Denn die Kundigen aller Fahrten –
Über deine schlichten Wege
Ließen sie wuchern
Finsternis.
Finsternis zwischen Hand und Tat,
Finsternis zwischen Not und Gut,
Finsternis zwischen Herz und Herz
Und zwischen uns und dir.

 

VII

Sag doch deinem Kind, wohin sichs tut!
Vater, hast du Licht und Mut
Ihm umsonst ins Herz gehaucht?
Was es lernend auch besinne,
Wo es schaffend auch beginne,
Schallts: »Hier wirst du nicht gebraucht.
Rüste dich aufs Ungefähre,
Ohne Wanken geh ins Leere!
Klaglos in die Nacht getaucht!«
Eine Sage hören wir so gerne,
Die erzählt von andrer Knabenzeit:
Jeder Kraft war da ein Werk bereit.
Offne Wege führten rings ins Ferne,
Wie die Strahlen fahren aus dem Sterne
In die offene Unendlichkeit.
Vater, sieh gebannt in banges Harren
Über Trümmer uns zu Trümmern starren.
Zwischen den verschütteten Wegen,
Du, in deinen kärgsten Segen
Einen offnen Weg nur, einen
Laß erscheinen!
Herr, wir sind bereit.

 

VIII

Hoffnung erlosch noch nicht,
Noch waltet Versöhnung im Grauen.
Zeichenlos nicht ließest du
Uns allein in der Nacht.
Wie Feuer Gottes auf Höhn, in Talen
Leuchtets: Das stete Licht
Der geduldigen Werker,
Die ausharren auf bebendem Grund
Am Ort ihres Amtes.
Licht der Heiler, Licht der Treuen,
Licht der Bildner, Licht der Weisen,
Tiefoffen Licht von hülfreichen Taten …
Und wo im dicksten Finster
Blinder Streit schallt,
Noch aus dem verströmenden Leben
Derer, die gläubig sich opfern,
Ein heilig wildes Licht!
Licht von dir wacht
Funkelnd am Grund unsrer Herzen.
Dank dir, Vater, aus unsrer Nacht
Für deine Feuer in Talen, auf Höhn!
Herr, wir erkennen die Zeichen,
Wir sind bereit.
Sei unser König du,
Schar um dein Banner uns her!
Reiß deinem Sieg uns entgegen,
Entflamme dir Helden aus uns!
Wann wird der Hauch deiner Heerschar
Entwölken die Himmel,
Entnebeln die Erde,
Daß auf allen Wegen wieder,
Die du geordnet hast deinen Kindern,
Flute dein Licht?
Daß Wandeln anhebe
Auf deinen Pfaden –
Was getrennt sich Fluch ist,
Einander im Segen begegne!
Daß all unsrer Künste Zauber
Und der reißenden Fahrten Lust
Schneller nur, inniger bringe zusammen,
Was du geschaffen hast,
Einig zu sein!
Daß Kraft Weg finde zum Werk,
Daß Gut Weg finde zum Mangel,
Daß Mensch Weg finde zum Menschen
Und wir zu dir!

 

IX

Senke deinen Flug, Gesang!
Was beschworst du für Gesichte?
Weile nicht im künftigen Lichte,
Steh dem waltenden Gerichte,
Kehr in Nacht und sei nicht bang!
Glaube im Dunkeln dem himmlischen Runde,
Glaube dem heimischen Land,
Glaube der Stunde,
Die uns der Vater gesandt!
Seinen Hauch glaube dem Grauen,
Glaube der Not!
Die dem Leben vertrauen,
Vertrauen auch dem Tod.
Ende die lösende Klage,
Ende die hoffende Sage,
Ende das feiernde Glück!
In dienendes Schweigen ergieß deinen Segen!
Ströme, verrauschender Regen,
Zur Erde zurück!


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