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Die Alten sagen: als Balder sank,
Als der Lichte verlöscht war vom Listigen und vom Blinden,
Da wuchs den Göttern neues Wissen:
Kraft der Klage tat Hel ihnen kund.
Da gingen aus Götterboten.
Kunde trugen sie, Klage hoben sie
In alle Welt, vor alles Wesen,
Und alles weinte dem Einen nach.
»Klagt uns her aus der Hel Balder!
Wenn aller Wesen Weinen anschwillt,
Dem Reich der Toten sprengts die Tore,
Rückbannts in Leben begrabenes Licht.«
Aus Götterhallen goß sich Weinen.
Da weinte Wolke und Wind und Meer.
Anhoben Weinen der Erde Kinder,
Mit der Mutter weinten sie, Mensch und Tier.
Es gingen die Boten, Gram entbietend.
Da beugten sich die Bäume, die Blumen weinten.
Steinen entstand klagende Stimme.
Aus Feuern fiel Flammenträne.
Weinen wuchs da von der Welt Enden.
Von seinem Schall schütterte der Grund.
Da bebten die Tore dem Totenreich.
Da rührte sich in Hel der gebannte Held.
»Die Tore beben, doch sie bersten nicht.
Die Riegel klirren, nicht klaffen die Flanken.
Der Tote regt sich, nicht rafft er sich empor.
Fehlt noch ein Wesen in der Weinenden Bund?«
Es gingen die Boten, Gram entbietend.
Weinende sahn sie, wo sie schritten.
Eine fanden sie in Felsenhöhle,
Thökk, die Riesin, tränenlos.
In die Höhle gingen die Götterboten.
Kunde brachten sie, Klage hoben sie.
Hocken blieb Thökk in der Höhle.
Die Wand tränte, nicht weinte Thökk.
»Was bringt ihr Kunde, was hebt ihr Klage?
Trockne Tränen weint Thökk um Balder.
Nicht lebend noch tot schuf mir Liebes der Mann.
Was Hel hat, halte sie fest.«
Da sangen die Boten Balders Milde,
Aus Balders Kampf sangen sie die Kraft.
Da sangen sie das Licht in Balders Lächeln,
Um Balders Sinken sangen sie den Gram.
Es wuchs das Singen, es stieg das Weinen.
Himmel und Grund, heiß vor Klage,
Warben mit um das letzte Wesen.
Thökk saß tränenlos.
»Hell genug ist meine Höhle mir.
Nicht labt mich Lächeln, nicht lang ich nach Milde.
Meinen Kampf kämpft mir eigene Kraft.
Was Hel hat, mag sie's halten.«
Nicht hob sich aus der Höhle die Herzstarre.
Der Welt Weinen weinte sie nicht mit.
Da rundete sich nicht der Ring der Klage.
In der einen Spröden zersprang der Reif.
Nicht beben mehr die Tore dem Totenreich.
Nicht rührt sich mehr Balden aus Dunkels Bann.
Müde ward Singen, versiegt ist Weinen.
Was Hel hat, hält sie fest.
Doch immer noch, wenn Tagzeit endet,
Wenn Sonne fällt, singt es auf.
Weinen hebt an immer wieder
Aus Höhe und Grund um der Riesin Höhle.
»Sagt, Sänger, was ruft ihr, was singt ihr,
Schlaflose Stimmen, in die stumme Zeit?« –
»Zu Thökk singen wir, ihre Tränen rufen wir.
Wir rufen, wir singen um der Riesin Herz.«