Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Weinen um Balder

Die Alten sagen:      als Balder sank,
Als der Lichte verlöscht war      vom Listigen und vom Blinden,
Da wuchs den Göttern      neues Wissen:
Kraft der Klage      tat Hel ihnen kund.

Da gingen aus      Götterboten.
Kunde trugen sie,      Klage hoben sie
In alle Welt,      vor alles Wesen,
Und alles weinte      dem Einen nach.

»Klagt uns her      aus der Hel Balder!
Wenn aller Wesen      Weinen anschwillt,
Dem Reich der Toten      sprengts die Tore,
Rückbannts in Leben      begrabenes Licht.«

Aus Götterhallen      goß sich Weinen.
Da weinte Wolke      und Wind und Meer.
Anhoben Weinen      der Erde Kinder,
Mit der Mutter weinten sie,      Mensch und Tier.

Es gingen die Boten,      Gram entbietend.
Da beugten sich die Bäume,      die Blumen weinten.
Steinen entstand      klagende Stimme.
Aus Feuern fiel      Flammenträne.

Weinen wuchs da      von der Welt Enden.
Von seinem Schall      schütterte der Grund.
Da bebten die Tore      dem Totenreich.
Da rührte sich in Hel      der gebannte Held.

»Die Tore beben,      doch sie bersten nicht.
Die Riegel klirren,      nicht klaffen die Flanken.
Der Tote regt sich,      nicht rafft er sich empor.
Fehlt noch ein Wesen      in der Weinenden Bund?«

Es gingen die Boten,      Gram entbietend.
Weinende sahn sie,      wo sie schritten.
Eine fanden sie      in Felsenhöhle,
Thökk, die Riesin,      tränenlos.

In die Höhle gingen      die Götterboten.
Kunde brachten sie,      Klage hoben sie.
Hocken blieb      Thökk in der Höhle.
Die Wand tränte,      nicht weinte Thökk.

»Was bringt ihr Kunde,      was hebt ihr Klage?
Trockne Tränen      weint Thökk um Balder.
Nicht lebend noch tot      schuf mir Liebes der Mann.
Was Hel hat,      halte sie fest.«

Da sangen die Boten      Balders Milde,
Aus Balders Kampf      sangen sie die Kraft.
Da sangen sie das Licht      in Balders Lächeln,
Um Balders Sinken      sangen sie den Gram.

Es wuchs das Singen,      es stieg das Weinen.
Himmel und Grund,      heiß vor Klage,
Warben mit      um das letzte Wesen.
Thökk saß      tränenlos.

»Hell genug      ist meine Höhle mir.
Nicht labt mich Lächeln,      nicht lang ich nach Milde.
Meinen Kampf kämpft mir      eigene Kraft.
Was Hel hat,      mag sie's halten.«

Nicht hob sich aus der Höhle      die Herzstarre.
Der Welt Weinen      weinte sie nicht mit.
Da rundete sich nicht      der Ring der Klage.
In der einen Spröden      zersprang der Reif.

Nicht beben mehr die Tore      dem Totenreich.
Nicht rührt sich mehr Balden      aus Dunkels Bann.
Müde ward Singen,      versiegt ist Weinen.
Was Hel hat,      hält sie fest.

Doch immer noch,      wenn Tagzeit endet,
Wenn Sonne fällt,      singt es auf.
Weinen hebt an      immer wieder
Aus Höhe und Grund      um der Riesin Höhle.

»Sagt, Sänger,      was ruft ihr, was singt ihr,
Schlaflose Stimmen,      in die stumme Zeit?« –
»Zu Thökk singen wir,      ihre Tränen rufen wir.
Wir rufen, wir singen      um der Riesin Herz.«


 << zurück weiter >>