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Charakter und Porträt der Herren Advokaten Schluck und Schlauch
Im Städtchen Schildburg wohnten zwei treffliche Männer,
Mit beiden Rechten wohlgerüstete Kenner,
Die besten Advokaten im Schwabenland,
Einer Schluck, der andre Schlauch genannt.
Herr Schluck war ein Mann von hohen Jahren,
In allen Künsten der Themis sehr erfahren,
Und hatte lange mit Haar und Haut
Das
Corpus juris samt den Pandekten verdaut.
Er war kinderlos und unbeweibet,
Und darum wohlbewadet und stark beleibet;
Denn er aß und trank täglich gut,
Und alles ward bei ihm zu Fett und Blut.
Das Podagra und die blinden Hämorrhoiden
Ließen zu gewissen Zeiten ihn nicht mit Frieden,
Welches Leid doch meistens anfing,
Wenn er sich manchmal in der Diät verging.
Er suchte durch alle Wege seinen Zweck zu erreichen
Und seinen Vorteil meisterlich zu erschleichen,
Es sei nun der ihm vorkommende Fall
Legal oder auch illegal.
War etwa eine Erbschaft oder dergleichen zu haschen,
So flog dies alles in seine hungrigen Taschen,
Und er dachte weislich: Es kümmert mich nicht,
Was die Welt von mir urteilt, denkt oder spricht.
Bei Kontrakten und gerichtlichen Verkäufen
Pflegte immer für ihn etwas abzuträufen;
Er schmiedete manch nützliches Dokument
Und manches ihm heilsame Testament.
Er schonte weder seine Gönner noch Freunde,
Sondern behandelte sie als seine ärgsten Feinde;
Denn um seinen selbsteigenen Vorteil
War ihm alles in der Welt feil.
Auch wußte er mit manchen Nebensachen
Seinen Schnitt nach Herzenslust zu machen;
Zum Exempel: Er half oft schlau
Manch Mädchen zum Mann und manchen Mann zur Frau.
In jedem ihm vorkommenden Rechtshandel
Ging er den gewöhnlichen Kurialwandel,
Weshalb denn auch sein Advokatenstil
Sprachkennern eben nicht sehr gefiel.
Jedoch wußte er seine Gegenparteien
Durch manche Schikane weidlich zu kasteien,
Und wer ihn persönlich griffe an,
Dem wiese er keck die Faust und den Zahn.
Er pflog übrigens tüchtig zu sportulieren
Und seine Klienten lang herumzuführen;
Denn mit jeglichem neuen Termin
Gingen ihm leicht etliche Taler in.
War gleich die Sache eine faule oder schlechte,
So verfochte er sie doch für Geld mit dem Rechte,
Denn er verstund die herrliche Kunst,
Zu machen dem Richter 'nen blauen Dunst.
Hatte Klient nicht viel einzubrocken,
So ließ er den Rechtshandel meistens stocken,
Und selbst die gerechteste Sache kam
Dadurch in leidige Kontumaziam.
Er hatte zwar, wie gesagt, keine Leibeserben,
Doch war's auch sein Wille nicht, so bald zu sterben;
Denn er gedachte, in jener Welt
Wär' ihm die Küche vielleicht schlecht bestellt.
Auch Herr Schlauch verstund alle Rechtspfiffe,
War ein Genie und steckte voller Kniffe
Und feuerte bei jeder Gelegenheit
Seine Parteien an zu Prozeß und Streit.
Er war zwar am Körper dürre und hager,
Aber im Beutel und am Verstande nicht mager,
Lebte gleichfalls im Junggesellenstand
Mit einer Jungfer, wobei er sich wohl befand.
Er wußte auch artig durch mancherlei Manieren,
Die Parteien am großen Seil herumzuführen,
Und wenn er den Prozeß auch nicht gewann,
So sprach er doch: Ich hab' das meinige getan.
Er konnte die geradeste Sache stattlich verdrehen
Und wußte klug sich in allem zu begehen,
Und mancher Kasus sehr krumm und schlecht
Ward unter seinen Händen grade und recht.
In seinen Schriften und Libellen verstand er
Die Zeilen zu setzen drei Zoll voneinander,
Und er zitierte, als wäre er toll,
Manchen Autor aufs Geratewohl.
Denn er ließ sich von den Parteien jedesmalen
Seine Schriften bogenweise bezahlen,
Und jedes wohlangebrachte Zitat
Kostete besonders einen Viertelsdukat.
Er wußte trefflich seinen Beutel zu spicken
Und durch Sporteln seine Klienten zu zwicken,
Nahm aber als ein genügsamer Mann
Nicht nur große, sondern auch kleine Präsente an.
Er ließ sich auch zu den meisten Zeiten
Im voraus bezahlen seine Arbeiten;
Dieses belief sich meistens schon hoch,
Ohne was er forderte extra noch.
So bekam er für außerordentliche Mühe
Kälber, Hammel oder gar melke Kühe;
Auch Korn, Bäume und so weiter nahm er mit,
Denn er hatte zu allem App'tit.
Andre Kleinigkeiten, zum Exempel: Eier, Butter,
Gänse, Hühner und dergleichen Küchenfutter,
Nahm noch obendrein die Jungfer Köchin
Quasi ohne sein Vorwissen hin.
Von solchem überflüssigen Küchensegen
Konnte sie für ihn manchen Taler zurücklegen;
Denn sie trieb damit anderwärts
Einen vorteilhaften Handel und Kommerz.
So begab sichs, daß den Klienten, eh sie kaum anfingen,
Schon die Augen für Angst übergingen,
Und wenn einer auch endlich den Streit gewann,
So war er doch geworden ein armer Mann.
Denn obgleich der Prozeß war gewonnen,
So war doch das Vermögen schier dabei zerronnen,
Und Herr Schlauch nahm das Restchen vom Gewinn
Pro studio et labore flugs hin.
Gern hätt' mancher sich anfangs wollen vergleichen,
Herr Schlauch wußt' aber demselben auszuweichen
Und schwur, die Sache stünde trefflich und gut;
Das machte der Partei dann neuen Mut.
Da trank er dann mit seinen Klienten
Schnaps, Punsch, oder was sie ihm sonst gönnten;
Besonders kam ihm beim edlen Wein
Manch schöner Einfall aus'm
Corpus juris ein.
Er war stark belesen in allen juristischen isten,
Zivilisten, Kriminalisten, Publizisten
Und so weiter; übrigens hielt sich der Mann
An den gewöhnlichen Rechtsschlendrian.