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Fünftes Kapitel

Wie diese Wundergeschichte vom Magistrate protokollieret ward. Item gelehrte. Nachricht von der Schildburgischen Chronik

Anfangs vermochte niemand es zu erraten,
Was die Herren ohnedem noch vorhatten und taten,
Denn sie hielten nicht lange nachher
Eine Ratsversammlung extraordinär.

Drin wurde der Vorfall protokollieret
Und von Wort zu Wort geregistrieret,
Damit dereinst Kind und Kindeskind
Dies Wunder zum ewigen Andenken fünd'.

Nämlich zwischen manchem von Mäusen zernagten Briefe
Lag wohlverwahrlich im Stadtarchive
Ein besonders ehrwürdiges Stück,
Genannt Schildburger Chronik.

Die Tinte war vor Alter sehr erbleichet,
Das Papier von Nässe durch und durch erweichet,
Wobei auch der starke schweinslederne Band
Sich wurmstichicht und gar zerlumpt befand.

Der Titel, welcher noch halb gut geblieben,
Zeigte, wer ehmals den Anfang davon geschrieben,
Nämlich Meister Lolf Didrich Lax,
Schildbürger Historiograph und Skribar.

Von wannen und in welchem Jahr der Autor gewesen,
Das konnt' man auf'm Titel leider nicht mehr lesen,
Auch Jöchers Gelehrten-Lexikon,
Welches ich nachschlug, meldet nichts davon.

Darf ich indes bei dieser dunkeln Sache es wagen,
Meine unmaßgebliche Meinung zu sagen,
So lebte Meister Lolf Didrich Lax um
's funfzehnte, sechzehnte oder siebenzehnte Säkulum.

Man wird es mir auch hoffentlich erlauben,
Vor der Hand zu behaupten und fest zu glauben,
Wegen der deutschen Schreiberei,
Daß er ein Deutscher gewesen sei.

Wahrscheinlich hat der, der die Chronik geschrieben,
Zugleich das löbliche Schusterhandwerk getrieben;
Denn diese rare Antiquität
War mit Pechdraht geheftet und genäht.

Er war übrigens ein Erzspaßvogel;
Denn er führte bald vom Papst, bald vom Großmogel,
König Jan Böckels, Knipperdolling und Lipstullian,
Anekdoten bunt durcheinander an.

Weiters wird man schwerlich von ihm was erfahren,
Bis vielleicht andre geschickte Antiquaren
Des Autors genaue Biographie
Untersuchen und beschreiben spät oder früh.

Der Schreibstil war zwar in den meisten Stücken
Elendig wie in andern alten Chroniken,
Auch war nur drin zu sehn hie und da 'ne Spur
Einer mit Tinte gemalten Figur;

Aber es war doch drin ausführlich zu lesen,
Was in Schildburg von Anfang der Welt Merkwürdig's gewesen,
Und wie die Arche Noah nach der Sündflut
Auf dem Alpengebirge Ararat geruht,

Und wie die Deutschen von Japhet abstammen,
Und zum Teil nach dem Städtchen Schildburg kamen,
Als zur babylonischen Turmzeit
Sich die Nationen hin und her zerstreut;

Auch von Nimrod, dem gewaltigen Jäger,
Und Goliath, dem renommierten Philister und Schläger;
Ferner von Abraham, Isaak und Jakob
Und vom geduldigen Mann Hiob;

Die Bauzeit der ägyptischen Pyramiden;
Nachricht von den Alrunen und Druiden;
Und mehr Dinge bald aus alter, bald neuer Zeit,
Nach der Umstände und des Reims Gelegenheit;

Der Kinder Israels Marsch durch das Rote Meer;
Und wie Pharao drin ersoff mit seinem ganzen Heer,
Da doch einige Zeit hernach der große Christoph
Durch eben dies Meer ging und nicht ersoff;

Der Juden in Ägypten erlittenes Bedrängnis;
Ihre nachherige babylonische Gefängnis;
Salomons Tempelbau, und wie nach der Hand
Jerusalem wurde vom Titus verbrannt;

Josuas Vertilgung der bösen Kanaaniten,
Loyolas Stiftung der kreuzbraven Jesuiten,
Amerikas Entdeckung von Kolon und Vesputs,
Aussprüche des weisen Griechen Solon und Chinesen Konfuts;

Der Hamelschen Kinder Ausgang nach Siebenbürgen,
Die Tötung des Lindwurms durch Ritter Sankt Jürgen,
Simsons bekannte lustige Fuchsjagd,
Des deutschen Hermanns große Befreiungsschlacht;

Auch von Mahomet, dem großen Lügenpropheten,
Anton von Padua, dem frommen Anachoreten,
Item von den heiligen drei Königen,
Sowohl in Mailand als in Köln noch jetzt zu sehn;

Noch sonst viel Merkwürdiges von den Hebräern
Und von den Wundern unter den Makkabäern,
Und was sonst alles noch unbeschwert
Genau zur Schildbürger Chronik gehört;

Daß lange die Türken und Hünen das Land besessen,
Welche Heiden gewesen und Menschen gefressen,
Bis der heil'ge Bonifaz rund herum
Die Schildburger gebracht zum Christentum;

Auch daß Karl der Große sie vollends bekehret,
Indem er das Land überall verheeret;
Auch wie sein Vetter, der große Roland,
Das Fechten aus dem Fundament verstand;

Auch wie zur Zeit der leidigen Kreuzzüge
Unter Gottfried von Bouillon im heiligen Kriege
Aus Schildburg und dem benachbarten Land
Sich mancher Kämpe beim Heer befand;

Wie bald darauf, vor ein paar hundert Jahren,
Die Kirchen in Schildburg gebauet waren,
Und wer darin, genau Jahr vor Jahr,
Küster, Schulmeister und Pfarrer war;

Auch was zur Reformationszeit passieret,
Wie man sich da geprügelt und disputieret,
Und wie drauf mancherlei Ketzerei
Erreget öfters Lärm und Geschrei;

Auch wann das Rathaus zu Schildburg aufgeführet
Und man drin zum ersten Mal konsultieret,
Nebst Rechnung der gehabten Kosten bei
Der damals geschehenen Schmauserei;

Wie der Ort selbst nur im Anfange
Ein Dorf gewesen und erst lange
Nach Christi Geburte erhalten da
Vom Fürsten Stadtsprivilegia,

Nebst einem Galgen für arme Sünder
Zum Behuf ihrer und ihrer Kinder,
So daß man zu ewigen Zeiten dran
Nur Schildburger Bürger hängen kann;

Auch sonst der lieben Bürgerschaft zum Guten
Unverbrüchliche besondere Statuten,
Welche durch die Länge der Zeit
Gekommen außer Gebräuchlichkeit.

Es war ferner in dem Buche beschrieben,
Was sonst in Schildburg geschehen und betrieben,
Alles mit Tag und Datum aufgeführt,
Und durch fremde Hände kontinuiert.

Zum Exempel: Blutige Balgereien,
Bestechungen und andre Teufeleien
Bei Ratmannswahlen; item Hagelschlag;
Stadtprozesse und sonstige Landplag';

Die Erscheinung furchtbarer Kometen
Mit ellenlangen Schwänzen, welche als Propheten
Krieg, Pest, Seuchen und teure Zeit
Den armen Schildbürgern geprophezeit;

Viele schreckliche Sonn- und Mondfinsternisse,
Windstürme, Wasserfluten und Regengüsse,
Erdbidem, Mißwachs an Korn und Wein
Erzählte die Chronik umständlich und haarklein.

Auch waren darin keinesweges vergessen
Alle Schildburgische Kriminalprozessen,
Besonders wieviel Unholdinnen und Hexen man
Nach gehöriger Wasserprobe verbrann;

Merkwürdige Todesfälle und Ungelücken,
Reparierung der Kirchen, Toren und Brücken;
Verstorbener Betschwestern fromme Stiftung;
Der bösen Juden Brunnenvergiftung;

Mißgeburten, rathäusliche Dekreten,
Kluge Anstalten in allgemeinen Nöten
(Doch letztere eben nicht interessant)
Machte die Chronik gleichfalls bekannt;

Auch Scheibenschießen und feierliche Aufzüge,
Klage über erlittenes Drangsal im Kriege;
Feindliche Durchmärsche und Einquartierung,
Kontributionen und Fouragierung;

Auch Nachrichten von erfolgten Feuersbrünsten
Und berühmten Schildbürgern und erfund'nen Künsten
(Doch von letzten war Verzeichnis und Bericht
Weder lang, noch von sonderbarem Gewicht).

So ward denn auch, wie ich oben tat sagen,
Das erwähnte Wunder in die Chronik eingetragen,
Woselbst es jeder neugierige Mann
Noch jetzt folgendermaßen lesen kann:

»Im tausend siebenhundert und drei und achtzigsten Jahre
Starb ein Mann hieselbst und war auf der Bahre,
Woselbst er bis an den dritten Tag
Als eine leibhafte Leiche lag;

Man war schon mit ihm auf dem Gottesacker,
Da wurde er wieder lebendig und wacker
Und ward darauf völlig gesund durch
Einen geschickten hiesigen Chirurg.

Die klare Wahrheit dieser Begebnissen
Bezeugen unterzeichnete Subscripti auf Pflicht und Gewissen.
Lippel Schnack, erster Burgermeister und Schenkwirt.
Kunz Jack, zweiter Burgermeister und Schweinehirt.

Görgel Peter, erster Ratsherr und Blaufärber.
Michele Krummholz, zweiter dito und Gerber.
Hännsle Damm Hopfenhändler und Kamerar.
Mar Grunz, Lumpensammler und Archivar.«

Nota bene! es ware hiebevoren
Altissimum silentium bei allen Autoren
Von dieser höchstschätzbaren Antik,
Der noch ungedruckten Schildburger Chronik;

Ich habe also bei dieser Gelegenheit geeilet
Und der gelehrten Welt Nachricht davon erteilet;
Vielleicht macht nun irgendein Verleger sein Glück
Mit dem Drucke der Schildburger Chronik.


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