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Der Walzer und die Philosophie? Hat er überhaupt eine?
Es gibt höher gelagerte Geistigkeiten, die es leugnen und Unehrerbietiges reden, als sei der frohe Walzer Apostel der Flachen und Hofnarr der Immervergnügten.
Doch – der Walzer hat eine Philosophie; allerdings ist sie kurz und besteht aus drei Worten: »Heut' ist heut'!« Worte, die sich mehrfach erweitern und verändern lassen, ohne einen besseren Sinn zu ergeben: »Man lebt nur einmal!« oder: »Nach dem Tod freut einen das Leben nicht mehr ...«
Das ist nicht viel, sogar etwas irdisch und unmetaphysisch und in der Tat: die Geistigkeit des Walzers hat die Dauer einer Ballnacht. Seine Ekstase endet im Katzenjammer und der stete Umgang, der ausschließliche Verkehr mit dem stets Beflügelten verödet die Seele. Wer von der Musik nur die Dreiviertel liebt, ist der anderen Taktarten nicht wert.
»Und doch ist der Walzer etwas Hübsches und Entgegenkommendes, denn er macht ein Dutzend Menschen auf eine Stunde glücklich«, sagt ein alter Welt- und Menschenkenner, Theodor Fontane. Und der Dichter wußte aus der Güte seines Herzens, daß die Menschheit es in ihrem Jammer nicht aushält und daß sämtliche Schriften der Kirchenväter das Gemüt nicht so hell und rein fegen und sonntäglich stimmen wie ein kleiner liebenswürdiger Walzer.
Der Walzer ist die Jugend, von der auch ältere Semester gern ein prickelndes Privatschlückchen nehmen, um sich von Würde und Salbung zu erholen, in der man leicht verschimmelt. Ein Walzer braucht nicht mehr zu sein als die Rose im Wasserglas, die morgen welkt, aber heute erfreut.
Und ist es nicht ein schönes Verdienst, wenn er Witz und Geist auf kleiner Fläche tummelt, wenn er früher endet als das Vergnügen, das er bereitet? Vom Hörer nichts verlangt, nicht einmal Vorbildung und Partiturstudium; vom Hörer auch nichts erwartet, weder Mitarbeit noch priesterliche Strenge, sondern nur schenkt und schenkt?
Und merkwürdig, wie viele durch den Straußwalzer erlöst wurden, ohne daß sie vorher nach einem »Weltbild« fragten! Marie Geistinger wurde tief in Amerika vom Heimweh überfallen, als sie plötzlich Straußische Walzerklänge vernahm, brach mitten im Tanz in Tränen aus und nicht anders ging es Paul Lindau im Hotel Lafayette, am großen stillen See von Minnetonka ...
Man sieht, welche magischen Kräfte sich im Walzer binden. Ein hübsches Märchen will wissen, daß es ursprünglich nur ein Geschlecht sündiger Menschen auf Erden gab, welches aber durch höheren Eingriff in zwei gespalten wurde, die nun einander ewig suchen, bis sie aich – im Walzer finden und ans Herz drücken. Wie hübsch!
Auf der Rechnung des Straußischen Walzers stehen mitunter auch gewichtige Dinge: er kann Ehen stiften und hat dies reichlich besorgt – wieviel durchlöcherte Ballschuhe zeugen davon! Der Mensch braucht seine Saturnalien, wie er den Aschermittwoch und den Ostertag braucht.
Es gibt Bäume, die ihre Wurzeln im Himmel haben und der Erde zuwachsen, das sind die vier großen B: Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner, von denen drei zu Wien gehören. Und es gibt andere Bäume, die im Boden wurzeln und dem Himmel zustreben, und von dieser Art ist Johann Strauß. Sein Walzer ist irdisch, unmetaphysisch, will von Tod und Jenseits nichts hören –, aber irgendwo treffen, einander die beiden Künstlertypen und eine olympische Stimme sagt vom irdischen Genius: »Er ist doch der musikalischeste Schädel in Europa ... es leben unsere Klassiker von Mozart bis Strauß ...!«
Dies war die Stimme dessen, der den Parsifal schrieb. Der selbst ein Straußisches Tänzchen gerne hörte, mitunter auch eines dirigierte. Der die Blumenmädchen durch einen Dreivierteltakt Verführung üben und das goldene Johannisfest im Dreiviertel sich auswalzern ließ.
So wird der Walzer von allen geliebt, weil er der Liebe Form gibt. Ja, er spricht ihr Prinzip in einer Gesellschaft aus, die der Haß oder die Gleichgültigkeit zusammenhält.
Geliebt wird, wer die Freude der Welt erhöht.
Gönnen wir dem Walzer diese seine Philosophie!