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In die letzten zwanzig Jahre des Meisters fallen vier große Jubelfeiern, sofern diese Jahre nicht selbst ein großes Jubiläum sind.
Am 6. April 1873 wird der Jahrestag des fünfzigjährigen Bestehens der »Straußischen Produktionen« durch ein Wohltätigkeitskonzert gefeiert. Das Leben des Vaters wird entrollt durch: die Täuberln, sein erstes, die Soldatenlieder, sein letztes, durch den Radetzkymarsch, sein populärstes Werk. Das Leben Josefs in gleicher Weise durch: Die Ersten und Letzten sowie die Rudolfsklänge. Woran sich »ein Strauß von Strauß« schließt, ein Altwiener Tonbild, das ausklingt in den Einzug Kaiser Ferdinands bei der Krönung 1835. Das Schlußwort hatten die Lebenden, Johann und Eduard.
Am 15. Oktober 1884 wurde der vierzigjährige Gedenktag des Dommayertages, des ersten Auftretens von Johann Strauß, gefeiert. Unfaßbar, was Johann Strauß an diesem Tag, zu dem unheimlich »gerüstet« wurde, auszuhalten hatte: Deputationen der Stadt Wien unter ihrem Bürgermeister Uhl, des Theaters an der Wien, der Gesellschaft der Musikfreunde, des Wiener Männer-Gesangvereins; Telegramme, Wünsche, Gedichte, Adressen der deutschen Theater Europas, der tanzenden Jugend Wiens, der Schriftstellervereine, seiner Freunde und Bewunderer, darunter: Bauernfeld, Billroth, Brahms, Millöcker, Suppé, Verdi. Dann Festvorstellung im Theater an der Wien, wobei er die Indigo-Ouvertüre dirigierte, die Blaue Donau – hiervon jedoch nur ein paar Takte, denn das übrige ging in einem Freudenlärm entfesselten Massenrasens unter –, dann das eigentliche Festspiel: der zweite Akt Fledermaus, wobei Orlofsky sämtliche Straußischen Operettenfiguren als Gäste begrüßte, zuletzt einen ungarischen Herrn, der sein Zuspätkommen damit entschuldigte, er sei eben erst fertig geworden: der Zigeunerbaron ... Dann das Festbankett im berühmten Hotel »Goldenes Lamm« (Leopoldstadt), wobei Konfetti vom Karneval in Rom und Schill aus der Schönen blauen Donau serviert wurden –, kurz: ein Gewitter von Huldigungen aus einem medaillen- und diplomregnenden Himmel, das Straußische Bescheidenheit als »Überschätzung« empfand.
Im September 1885 veranstaltete das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater zu Berlin eine dreitägige Straußfeier, wobei der Meister am 15. die 300. Aufführung des »Lustigen Kriegs«, am 16. die 50. Aufführung der »Nacht in Venedig«, am 17. die 400. der Fledermaus dirigierte.
Und ists schon manche Jahre her,
Sein Tonschatz, der wird nimmer leer!
Ein Notenmillonäre!
Wer nennt den Wundermusikant'?
's ist Johann Strauß, wie weltbekannt!
Drum sei ihm Lob und Ehre!
Das hat kein Goethe g'schrieb'n, das hat kein Schiller 'dicht', könnte man mit dem Wiener Volkslied sagen; aber das Theater, das dieses Gedenkblatt veröffentlichte, brachte in lobenswertem Enthusiasmus im Frühjahr 1887 einen sechs Wochen währenden Zyklus von Straußoperetten heraus; dieser Huldigung konnte der Meister allerdings des Simplicius wegen nicht persönlich beiwohnen.
Die stürmischeste aller Feiern war die des »Fünfzigjährigen künstlerischen Wirkens« (15. Oktober 1894). Kaskaden von Blumen, Geschenken, Briefen – viele nur mit der Anschrift »Dem Walzerkönig« oder mit seinem Bildnis auf dem Umschlag – ergossen sich in die Igelgasse, darunter Glückwünsche von Nikisch, Schuch, Goldmark, Rubinstein, Leoncavallo, Adalbert v. Goldschmidt, Angelo Neumann und anderen. Die Schüler des Konservatoriums führten dem Meister eine Serenade von Robert Fuchs unter dessen persönlicher Leitung vor, die im Finale zwei Themen aus der Fledermaus verarbeitet. Dann Deputationen, Deputationen, Deputationen ... die Wiener Philharmoniker, der Wiener Männer-Gesangverein, die Gesellschaft der Musikfreunde, um nur die Hauptvertreter des musikalischen Wien zu nennen. Das Hofoperntheater führte in einem Ballett Straußische Walzer auf und erstickte die Blaue Donau in einer Blumenhuldigung, die amerikanischen Künstler schickten einen silbernen Lorbeerkranz, dessen 50 Blätter 50 Werke nannten. Und ihr Gruppenbild sandte als Widmung die Hawaische Kapelle in Honolulu. Man sah: Strauß war wie kein anderer österreichischer Künstler in Fernen der Welt gedrungen und nur Peter Rosegger mit seinen australischen Verehrern konnte sich eines kilometrisch gleich ungeheuren Wirkungsradius rühmen.
Am 14. mittags fand ein Festkonzert im Großen Musikvereinssaal statt, am Nachmittag ein Promenadekonzert unter Eduards Leitung. »Was Freitag im Theater an der Wien, Samstag in der Hofoper und mittags im Musikvereinssaal an Enthusiasmus geleistet wurde, nahm sich gegen die nachmittägigen Stürme wie Kinderspiel aus. Alles erhob sich von den Sitzen und brach in Jubelrufe aus – ein Toben, ein Tosen, ein Delirieren ... Schwerlich hat je ein Künstler ähnliches erlebt ...« Johann Strauß, bleich vor Erregung bei diesem elementaren Ausbruch, mußte auf Schleichwegen das Haus verlassen, um nicht auf der Straße Opfer der berauschten Mitbürger zu werden. Wien feierte in Johann Strauß unbewußt sich selbst.
Bei dieser letzten Gelegenheit hat Strauß zweimal gesprochen, zweimal bedeutungsvolle Dinge seines Inneren gesagt: »Die Auszeichnungen, die mir heute zuteil werden, verdanke ich meinen Vorgängern, meinem Vater und Lanner. Sie haben mir angedeutet, auf welche Weise ein Fortschritt möglich ist ... Meine Verdienste sind schwache Versuche, die Form zu erweitern, die ich von meinem Vater erhalten habe. Ich bin außerordentlich glücklich, fühle aber, daß ich zu sehr ausgezeichnet werde, ja man tut mir zu viel Ehre an – es ist schon genug!«
Ebenso natürlich variiert er das Hans Sachssche »Mir macht ihrs schwer« beim Schlußbankett, wo er eine Rede vom Papier ablas, vorher aber in die tiefgefühlten Worte ausbrach: »Es ist schrecklich ...!« Dann sagte er: »Könnte ich meine Gefühle in Musik offenbaren, dann ginge es vielleicht besser, sie ist mir immer beigestanden ... Wenn es wahr ist, daß ich einiges Talent habe, so verdanke ich dessen Ausgestaltung meiner geliebten Vaterstadt Wien ... ihr gilt mein Hoch: Wien blühe, wachse, gedeihe!«
Eine humoristische Wochenschrift, der Figaro, zeigte als Nachklang ein Bildchen des erschöpften, in den Schlafrock gehüllten Meisters und legte den kreuzunglücklich Dreinschauenden in Anspielung auf sein immer schwarzes Haupt die Worte in den Mund: »Na, wenn ich nach diesen Anstrengungen und Aufregungen noch immer keine grauen Haare bekomme, dann geb' ich die Hoffnung auf ...«