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»Ach, von Zweifeln werd' ich schon geplagt,
Mir bangt vor dieser Ehe Glück,
Doch leider hab' ich Ja gesagt,
Ich kann nicht mehr zurück.«
Violetta im Lustigen Krieg.
Mit traurigem Herzen schreibt Johann Strauß als 56jähriger den Lustigen Krieg. Ein Titel, der nach den Enttäuschungen einer verunglückten Ehe fast wie Ironie klingt; aber »trauriges Herz« ist schon zu viel gesagt, denn Strauß komponierte nie seine seelischen Neuralgien; – seine innerste Fröhlichkeit ist unberührbar.
Das Buch von Zell und Genée behandelt das italienische Rokoko mit militärischem Einschlag, verbindet wie in Karneval, Cagliostro und später in der »Nacht in Venedig« den südlichen mit dem Wiener Ton, kommt also dem Doppelklima der Straußischen Seele entgegen.
Wenn Friedrich II. von Preußen die Barbarina mit diplomatischen Gewaltschritten aus Venedig nach Berlin lotste, so kann im Operettenland Massa-Carrara sehr gut ein Krieg mit Genua einer Tänzerin wegen ausgebrochen sein, die der Doge von Genua und der Fürst von Carrara einander wegengagiert haben. Wenn dann die Tänzerin mit einer dritten Macht, einem holden Tänzer, durchgeht, so ist das Streitobjekt verloren und aller Grund zum Frieden vorhanden. In diesem unblutigen, meist von Damen betriebenen Krieg spielt eine Hauptrolle Violetta, die einen Herzog von Limburg heiraten soll, um mit seinen Truppen die Genuesen zu schlagen. Der genuesische Kommandant Umberto macht sich auf dem Papier zum herzoglich Limburgschen Stellvertreter und kann Violetta erst per procura, dann, worauf es ankommt, wirklich heiraten. Die notwendige Verwechslungstechnik führt ein niederes Paar ein, den holländischen Tulpenhändler Groot samt Gattin. Er dient so lange als Herzog, bis man ihn nicht mehr braucht. Das Stück ist so gut wie die Glocken von Corneville oder Fatinitza oder Boccaccio oder Angot, mit der es eine Lauschszene im dritten Akt gemeinsam hat.
Die Aufführung ging im Theater an der Wien am 25. November 1881 vor sich. Kaum vierzehn Tage später brannte das Ringtheater nieder. Am 8. Dezember sollten dort Hoffmanns Erzählungen von Offenbach in Szene gehen; aber in einem mystischen Zusammenhang hauchte Doktor Mirakel den Tod ins feiertägliche Haus: vor Beginn flog plötzlich der brennende Vorhang empor, Hunderte fröhlicher Menschen verkohlten in dem alten mausefallenartigen Winkelwerk. Mit Recht, aber zu spät, empörte sich Wien eines tödlichen Leichtsinns wegen, der es an den einfachsten Sicherungen fehlen ließ; alle Vergnügungen wurden abgesagt, die Feuerangst mied alle Theater, jahrelang waren »Hoffmanns Erzählungen« von den Wiener Bühnen verbannt.
Nur der Lustige Krieg überdauerte das Ereignis, das zum Sturz verschiedener Würdenträger, auch des Wiener Bürgermeisters, führte, und obwohl die Bergung der Leichen Wochen in Anspruch nahm und die Stadt einer dunklen Faszination unterlag, triumphierte die Sensation, die Johann Strauß und Alexander Girardi im Theater an der Wien boten. Während der Uraufführung kniete im Parterre ein junger Musiker beim D-dur-Quintett »Kommen und Gehn« in hemmungsloser Begeisterung nieder: »Es gibt nur einen Strauß ...!«
Wie üblich wurden die älteren Strauß-Operetten auf Kosten der neuen gelobt und die Kritik erkannte rasch die Oberflächen des Buches. Als ob die »Welt, in der man sich langweilt« oder »Krieg im Frieden«, die Repertoirekomödien des Hofburgtheaters, besser gewesen wären! Freilich eine ewige Satire auf den miles gloriosus wurde der »Lustige Krieg« nicht; wäre er's, er lebte noch heute.
»... es bleibt ein ewiges Geheimnis, warum ein Musiker vom Schlag eines Johann Strauß in der Beurteilung dessen, was seiner musikalischen Erfindungsgabe, seiner ureigenen Spezialität zugemutet wird, nicht mit mehr Sicherheit urteilt. Man sollte denken, einer Feder, der die Fledermaus gelungen, und der Karneval in Rom, und Methusalem, und das Spitzentuch und wie diese prächtigen Sachen alle heißen, an denen sich nicht nur Wien, an denen man sich allenthalben, wo man den Begriff Operette kennt, ergötzt, einer solchen Feder, sollte man denken, müßten jahraus, jahrein Hunderte von Texten zuströmen. Und aus diesen Hunderten müßten sich dann wenigstens zehn und aus den zehn müßte wieder eins gefunden werden, das gerecht befunden wird in den Augen der Urteilsfähigen. Aber dem scheint nicht so zu sein, oder aber Johann Strauß ist ein Mann fester Traditionen, der nicht gerne mit der Vergangenheit bricht und sollte diese auch nicht die besten Libretti bringen ... Oder ist vielleicht Johann Strauß so sorglos in der Wahl seiner Stoffe, so wenig skrupulös, weil er in sich die Kraft fühlt, mit den Zauberformeln seiner Musik auch den dürren Stab blühend zu machen? Möglich, wahrscheinlich, ja gewiß. Der Komponist der Fledermaus hat schon so viele Siege über ungünstige Vorbedingungen erfochten, daß ihm alles leicht werden muß ...« (Neues Wiener Tagblatt, 26. November 1881.)
Von der Musik erhielt sich noch lange jenes Quintett des zweiten Aktes »Kommen und geh'n ohne zu seh'n«: ein Sopran, drei Tenöre, ein Baß einander nachahmend, leise Tonsenkungen, die Grazie chromatischer Durchgänge, darüber das Tremolo hoher Violinen.
Jahrzehntelang war noch lebendig Balthasars Lied »Wir machten zusammen aus Holland die Reise« (Es-dur, 2/4), eine stillhumorige, etwas tapsig-weinerliche, selbstparodistische Lyrik. Dann das Kinderstubenduett mit dem Ton seiner C-dur-Unschuld, den alpinen Terzen des »silberhellen Kinderlachens«; die klassische Violettapolka, der C-dur-Walzer mit seiner lustvollen Bewegungslinie.
Von unverwelklicher Frische ist der Humor des liebenswürdig-koketten »Was ist an einem Kuß gelegen?«, sogar das falsch deklamierte »einem« entzückt dabei.
Und dann der Naturwalzer.
Als der lustige Krieg fertig war, verlangte Alexander Girardi noch eine Solonummer für sich. Von seinem Standpunkt aus nicht mit Unrecht. Der Partitur fehlte außer dem zweiten Finale der große Reißer oder Schlager.
Strauß will zuerst nicht darauf eingehen, seine Partitur scheint ihm durchaus geschlossen, er kommt in Streit mit Girardi, wendet sich an Karl Swoboda in Berlin und, da der absagt, wieder an Girardi, sucht ihn umzustimmen und gibt, als es vergeblich ist, endlich nach. In seiner Lade waren Stapel von Walzerthemen, rasch notierte Einfälle, der eiserne Vorrat für Jahre. Daraus wird eine Melodie gewählt und ihr ein Textchen unterlegt. Aber Girardi ist noch immer nicht zufrieden. Der Text muß exquisit sein wie die Musik, seine Nase sagt ihm das.
Er wendet sich an Franz Wagner, der alles war und alles konnte – Musikalienhändler, Volkssänger, Librettist, Schauspieler – und der auch für Ziehrer dichtete (»Susette, ach wie nett!«). Und Wagner, das Faktotum der Poesie, fand die Verse:
»Nur für Natur
Hegte sie Sympathie,
Unter Bäumen
Süßes Träumen
Liebte Gräfin Melanie.«
Daran knüpfte sich eine Eheirrungsgeschichte, die zwar nicht schlagend, aber – Girardi fühlte es – auf ihn zugeschnitten war. Und er verstand Couplets zwischen den Zeilen zu singen. Unnachahmlich! Mit einem Ruck des Auges, mit seinem parodistischen Wortklang, auf einem unbeachteten Akzent plötzlich in den Hohlraum der Burgtheater-Pathetik fallend, kurz: mit dem singulären Girardi-Ton, der mit ihm lebte und starb. Und er behielt Recht. Das Stück mußte dreimal wiederholt werden; auch als Entr'acte des Orchesters. Es lief mit dem Publikum auf die Gasse, am nächsten Tag wurde in allen Musikalienhandlungen der Naturwalzer verlangt und allen Melanien und Cousins trällerte es ironisch nach: »Nur für Natur hegte sie Sympathie ...« Wien wurde davon besessen. Girardi hatte die beziehungslose Rokokogeschichte des Lustigen Kriegs in eine Wiener Angelegenheit, ein Stück Operette in ein parodiertes Stück Leben verwandelt. Daher die Wirkung.
Mit dem Naturwalzer wurde Girardi, bis dahin ein Mitglied des Theaters an der Wien, auch der Komiker Wiens. »Der Girardi«. Der Mitarbeiter. Auf ihn wird alles zugeschnitten, auf seine Wünsche stellen sich die Librettisten ein. Für ihn muß ein Auftrittslied, für ihn der große Gesangswalzer eingelegt werden. Und damit verändert die Operette ihren Typ. Damit unterscheidet sich der Lustige Krieg und der Zigeunerbaron von der Fledermaus. Und dieser Typ blieb der Herrschende.
»Herr Girardi ist mit der Rolle des gut angelegten, aber nicht mit großer Vorliebe durchgeführten und stets alles ausplaudernden ›Marchese‹ nicht sehr glücklich bedacht. Aber dieser Künstler weiß überall wirksam zu retouchiren, wo ihn das Libretto im Stich läßt, und so ist denn auch aus dem Marchese ein Bijou liebenswürdiger Komik geworden.«
Die kritische Stimme, die solches aussprach, hatte so unrecht nicht. Sie traf sogar den Nagel auf den Kopf. Denn Girardis ganze Operettentätigkeit besteht fortan in einem »Retuschieren« der Stücke, im Ausfüllen von Umrissen, bei denen es die Librettisten bewenden ließen: »Der Xandl wird's schon machen!« Und der Xandl »machte« es. Er bildete Menschen, die seinen Buchdichtern nie vorschwebten, hob Seichtigkeiten in Höhen, verwandt seinem Kompagnon Johann Strauß, der aus jeder Plattheit Musik beschwor. Der dicke O. F. Berg, Verfasser ordinärer Vorstadtpossen, sagte einmal in ungehemmter Selbstbewunderung zu Girardi: »Was täten Sie ohne mir? I bin Ihner Schüller!« Worauf Girardi sehr treffend abwehrte: »Ja, der O. F. Schiller, für den ich der Sonnenthal bin!«
In dem Schlossergehilfen aus der Grazer Leonhardstraße floß alpines Blut, woher seine Lust zur Parodie kam, und italienisches, woher der Stegreifspieler kam. Girardi war eine geniale Nachblüte der Hanswurstzeit; aber auch ein Künstler, den Mißverständnis anbetete. Wer nur den Jokulator und Narren sah, kannte ihn nicht. Wenn er als Karinger in den »Reichen Mädchen« von Weidling am Bach schwärmte, als Invalide im Bruder Straubinger die Brückenkopfgeschichte fabulierte, als Zsupan im Zigeunerbaron von seinem Analphabetismus erzählte, unterlag Oberflächenbetrachtung einer polcinellhaften Heiterkeit. Allein wer seinen alten Schuster Weigl gesehen hat, der mit zwei Fingerspitzen die tränenden Augenwinkel berührte, durch eine einzige Geste einen Adel des Unglücks andeutend, das er verbergen will – der weiß: Girardi war Komiker auf tragischem Grund. Dies war Johann Straußens Mitarbeiter vom Blasoni im Cagliostro bis zum Waldmeister.
*
Mit dem Gelächter des Lustigen Kriegs schließt die Angelikazeit. Man kann nicht sagen: Strauß befreite sich damit. Seine Musik »reagierte« nicht. Im Kerker Florestans, in den Leiden des Armen Heinrich, in den Flammen des Fegefeuers hätte er den Mund zu einem Walzer gespitzt. Leichter natürlich, wenn er sich in Harmonie fühlte, – aber immer ruhte er in sich selbst. Während des ersten Weltkrieges wurden die Stimmungen der Mittelmächte durch nichts so bezeichnet als durch das bekannte Wort: »Berlin ist hoffnungsvoll, aber ernst; Wien verzweifelt, aber lustig ...!« Eine Lebenslust, die sich an sich selbst emporreißt und in Johann Strauß ihre noble Verkörperung gefunden hat.
Unmittelbar nach der Uraufführung des Lustigen Kriegs erschien (am 1. Dezember 1881) im »Kikeriki«, einem Volkswitzblatt, ein Poem, das Johann Strauß von dieser Seite her bewundert:
»Beneidenswert der Mensch, der nicht zu sprechen,
Zu debattieren nicht, zu kämpfen braucht,
Und seine Feder stets – nicht sich zu rächen,
Um zu erfreun nur in die Tinte taucht!
Dich Friedenbringer, dich Gemütserwärmer,
Dich stürzt man nicht von deinem Piedestal,
Du hast bloß Freunde, konsequente Schwärmer,
Du bist ein Glücklicher im Jammertal!«