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»Hier singen wir und musiciren wir und gehen
ins Theater und zu Strauss und stecken mit
ihm den Kopf in den Sand unsrer Gemütlichkeit ...«
Billroth an His in Basel. Wien, 21. Mai 1871.
Johann Strauß gehört nicht allein zur österreichischen Musikgeschichte. Als unbewußter Sammler, als absichtsloser Einiger auseinanderzerrender Kräfte spielt er eine noch unbeachtete naiv-politische Rolle.
Er war kein nationaler Herold wie Verdi, der sein Volk tyrtäushaft anfeuerte, dazu fehlte schon ein geschlossenes österreichisches Volk.
Aber wer einmal Österreichs letzte Tage beschreiben wird, kann nicht an dem liebenswürdigen Werber vorbei, nicht an dem scharmanten Kind des Volks, dessen Fröhlichkeit das ganze Reich ansteckte und Wien mit einem versöhnenden Goldschimmer umgab. Und hatte man geseufzt und sich weidlich ausgeschimpft, so fiel man Wien tränenden Auges doch wieder an den weichen Busen.
Wenige Wochen nach der Aufführung seiner »Wiener Chroniken« – April 1862 – wurde in einer eilig zusammengezimmerten Bude am Schottenring das »Schmerlingstheater« eröffnet, benannt nach Anton Schmerling, dem »Vater der Verfassung«. Der Volkswitz sprach vom ersten österreichischen Parlament als einem Theater, mit Recht, denn die ungarischen und slawischen Abgeordneten blieben aus und der Wiener Liberalismus hielt am Schottenring prachtvolle theatralische Redeübungen.
Das Wiener Großbürgertum, ein lauter Nachhall der idealistischen Aufstachler von 1848, hatte den Barrikadengeist längst vergessen. Nach den ersten Kindheitsträumen trat, wie immer, Umschlag ins Praktische ein, das Auge, bisher in die Wolken gerichtet, suchte den Boden, auf dem man verdienen konnte. Das Bürgertum legt seiner Stadt eine Prachtstraße um den Leib, es schafft Bahnen und Bauten, wird prasserisch und während es sich um eine Konstitution erregt, fügt es sich dem alten Hof- und Polizeistaat mehr denn je.
Das intellektuelle Wien entzückt sich an Rhetoren wie an Sängern, begeistert sich an Dr. Mühlfelds Napoleonkopf und Liebschaften. Die nichtdeutschen Abgeordneten kamen nicht? Störrische Exoten, die nur wegbleiben sollten! Wenn der Liberalismus die neue Ringstraße ansah, hielt er Österreich für ewig. Nur wenige erkannten die ersten Zerrungen und tödlichen Rucke im österreichischen Leib, die Vorzeichen der Zellteilung ... »Mich darum bewerben, in Österreich zu leben, das möchte ich doch nun nicht, nachdem die Neuzeit gelehrt hat, daß dieser Staat gar keine Lebensfähigkeit mehr besitzt«, schreibt Billroth (11. Dezember 1866 an Dr. Eiser in Frankfurt). Und als es zur Sonderung Ungarns kam, ernannte der allzeit witzige Bauernfeld bereits einen Grafen Finis Austriae ...
Die Buntheit der Nationen, die, getrennt, einander geduldet, ja wirtschaftlich gebraucht hätten, die, zusammengepreßt in eine Hausmacht, einander auffraßen, führte zum Krieg aller gegen alle. Ohne gemeinsames Fühlen und Wollen, innerlich ermattet, von Regierungen geführt, die unwahr im Handeln, veraltet im Denken waren, verliert Österreich seine letzten Einsätze wie ein verzweifelter Spieler. Es kommt 1859 Solferino, 1866 Königgrätz ... Am 4. Juli 1866 besucht Friedrich Schlögl den Weichselgarten, das Eldorado begeisterter Biertrinker, und findet die geräumige Herberge gepfropfter als je: drei Kälber wurden an diesem Tag verzehrt. »Welcher Appetit nach dem Nebel von Chlum!«
Die Gewohnheiten des Gehorsams und des Genießens, erzählt Friedjung in seinem »Kampf um die Vorherrschaft«, erfuhren keine Unterbrechung. Theater und Vergnügungen zeigten nichts von allgemeiner Trauer; die Konzerte von Strauß im Volksgarten waren, wie immer, gut besucht. L. A. Frankl, der Dichter, gerät in einen Wutausbruch, als er am Abend nach Königgrätz 2000 Wiener und Wienerinnen bei einem venezianischen Sommermaskenfest im Prater sieht: »Verdient solch elendes Gesindel nicht sein Schicksal?« (An Anastasius Grün.)
Nun, es gibt Blinde, die nicht Teiresias gleichen; und ein solcher Blinder war das Wiener Großbürgertum.
Es ist leicht, nachher den Sehenden zu spielen. Aber ein Mann, der den beginnenden Zerfall als Tragik seines Vaterlandes geahnt hätte, ein Mann, der nicht im Geist seiner Gesellschaftsklasse goldener, gläubiger Wiener gewesen wäre, hätte niemals das Lied von der Schönen blauen Donau angestimmt, niemals die Stimme erhoben zu »Eljen a magyar!«, zu »Ein Herz ein Sinn!«, nicht die Freudentänze einer Welt gegeigt. Und so hat der Leichtsinn, der Genialität gesellt, auch seine fruchtbaren Seiten.
Österreichs letzte Geschichte ist ein Verfall mit Musik. Der einzige Gesamtton Österreichs klingt aus den Straußischen Partituren, die jedem gleiche Rechte auf Seligkeit und glückliches Vergessen gaben, die köstlichste Verfassung dieses Staates und zugleich die Tafelmusik zu seiner Hochzeit mit dem Tod.
»Freut euch des Lebens!«