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Der Zigeunerbaron

»Ah, das is' ausgezaichnet ...«

Den Höhepunkt im Operettenjahrzehnt 1877-1887 erreicht Strauß mit dem Zigeunerbaron: Pettenkofens Szolnoker Markt in Musikform. Ein ungarisches Zeitgemälde, das zum guten Ende ins Barock-Wien Maria Theresias ausläuft, deren Majestät als Sonne im Hintergrund schimmert.

Zigeuner-, Soldaten-, Pußta-Romantik; freie Liebe, die »der Dompfaff« einsegnet; die steife Wiener Sittenkommission; magyarische Schwermut und Trunkenheit, gutmütiges Analphabetentum, schweinezüchtende Schwerenöterei, vergrabene Schätze, die entdeckt werden, Aufstiege ins Fürstliche, siegreiche Einzüge, – alle Bestandteile der typischen »Umschlagsoperette« sind hier lebendig geworden.

Und in der Mitte die tragende Prachtfigur: Zsupan, der Schweinekönig, der »Voter« einer »ausgezaichneten« Tochter, wie er überhaupt alle am Rand des Lebens auftauchenden Phänomene »ausgezaichnet« findet. Der miles gloriosus des Spanischen Kriegs, wo er Siege durch Uhren-Mitgehenlassen feiert, ein Original, geschaffen für Alexander Girardi. Denn diesem kongenialen Künstler lagen vor allem Figuren, die anscheinend über ihre Lage triumphieren, ihr aber nicht gewachsen sind, wie eben dieser dummschlaue Zsupan, den jeder Zigeuner betrügt. Der Stammvater aller Sichherauswinder bis zum neunzigjährigen Veteranen im Bruder Straubinger. Girardi bildete ein für allemal die dickwanstige Zsupansche Plastik und kein Zufall, daß er selbst als Kleinplastik in dieser Rolle verewigt wurde.

Mehrere Glücksfälle wirkten zur Entstehung des Zigeunerbarons zusammen. 1883 fährt Johann Strauß nach Budapest, wo sein »Lustiger Krieg« aufgeführt wird. Er hat seine junge Frau Adele bei sich und sie rät ihm, Moritz Jokai, den ungarischen Romancier, zu besuchen, vielleicht hat er ein gutes Buch. Wirklich, Jokai schickt einige Zeit darauf ein Libretto nach Wien, das, nach der Novelle »Saffi« entworfen, ein starkes Kolorit ausbreitete, keinerlei greifbare Aktion, dagegen viel Phantastik, u. a. ein geigenspielendes Skelett besaß.

Damit ließ sich wenig anfangen; aber der Zufall hatte den Mann bereit, der diesem Stoff und nur ihm gewachsen war. Schon früher (1882) suchte der in Wien lebende ungarische Journalist Ignaz Schnitzer, damals 44jährig, Strauß zur Komposition eines Librettos zu bestimmen, das er mit Franz von Schönthan verfaßt hatte. Die Sache zerschlug sich. Jetzt kam er – vielleicht durch Albert Strauß – aufs neue mit dem Meister in Berührung, der ihm seinen Stoff mitteilte.

Schnitzer besaß das typische Jounalistentalent, fremde Einfälle »ausgezaichnet« umzuredigieren; selbst nicht produktiv, wurde er u. a. ein vorzüglicher Übersetzer Petöfis und dann war er begeisterter Ungar. Die nationale Seite schwang also stark mit. Die Vorgeschichte spielt in jenem verklungenen Alt-Ungarn, das eben von den Türken geräumt war – ihr letzter Pascha hatte flüchtend Tochter und Schatz zurückgelassen –, einer Wildnis von legendärer Gastfreundlichkeit, durchströmt von feurigen Weinen, wie wir es aus den Memoiren des phäakischen J. F. Castelli kennen.

Endlich ist Schnitzer musikalisch – der Glücksfall unter den Glücksfällen –, hat Sinn für klingende Situationen, versteht einer gegebenen Melodie geschickte Verse zu unterlegen und kann dem Komponisten sogar Ratschläge geben.

Als ich ihn kennenlernte, kurz vor seinem Tod (1921), war er ein Greis von patriarchalischer Gebärde, salbungsvoll aus seinem Lehnstuhl dozierend, und ließ gern seinen übersteigenden Anteil an der Operette durchklingen. Mit zitternden Händen zeigte er am Klavier die Urformen des Schatzwalzers, die sich nach seiner Angabe gewandelt hätten, und Szenen, die er umstellen ließ, wobei Erinnerung und Selbstgefühl seine Rolle etwas gehoben haben mochten, – immerhin, wenn Strauß später dem Librettisten der Jabuka, Max Kalbeck, schrieb: »ein Komponist muß mit seinem Librettisten in einem Bett schlafen«, – so hatte er die Erfahrung aus der Schnitzerzeit.

Der Zigeunerbaron war Schnitzers großer Wurf. Er wiederholte sich leider nicht und alles folgende, eine Operette »Der Schelm von Bergen« (für Strauß), dann die Oper »Königsbraut« (für Robert Fuchs) blieben wirkungslos. Es scheint doch, daß es ein Jokaischer Schatz war, den Schnitzer fand und ausmünzte, obwohl Jokai, sehr bescheiden, erst gar nicht auf dem Zettel genannt sein wollte – so verändert sah seine Saffi aus –, bis er auf Zureden von Strauß dann seinen Namen hergab.

Endlich der letzte Glücksfall: Johann Strauß hemmte seine sich ergießende Begabung selbst, zwang seine Jähe zur Langsamkeit der Arbeit, ließ sich nicht durch Äußeres verführen, auch nicht durch Zureden Jokais, die Ungarn-Operette zur Tausendjahrfeier in Pest herauszubringen, er nahm sich fast zwei Jahre Zeit (von Anfang 1883 bis Ende 1884), um Einfallsfülle durch Überlegung ins Vollendete zu steigern, den Guß einer – vorschwebenden Oper zu vollziehen. Den dritten Akt arbeitete er in Ostende, machte es ganz wie Auber, der sich an einer neuen Partitur gesund arbeitete und schrieb ihn in wenigen Tagen, zumal da eine Hauptnummer, Zsupans Marschlied, aus dem zweiten Akt herübergenommen wurde und der dritte nicht viel mehr enthielt.

Strauß liebte die kurzen dritten Akte – man muß es sagen – mehr der Galerie als innerer Notwendigkeit wegen. Der alte Klavierauszug zeigt im zweiten Finale den Walzer »So voll Fröhlichkeit«, D-dur, wie er in den ersten Aufführungen ziemlich sinnlos gesungen wurde. Erst später, des Erfolges einmal sicher, wagte Strauß den brillanten zweiten Schluß, worin sich Werbelied und Rakoczymarsch rauschend durchdringen. Als er mit Girardi das Marschlied »Von des Tayo Strand« studierte, fragte er ihn selbstironisch: »Nun, ist dir das ordinär genug?« Was einen Blick in die Psychologie des Gesellschaftskünstlers öffnet, der seine Ebenen niedriger legt, als ihm gefällt, weil er die Ermutigung des Erfolges braucht. Hiervon hängt seine Produktion ab und diesem Glücksgefühl, der Wonne sich verbunden zu sehen, bringt er alle intellektuellen Opfer. Ein streitbarer Musiker hätte unter allen Umständen Höhe gehalten; aber, wer seinen Fuß ins Land der Operette setzt, begräbt das Schlachtbeil und harrt des Lächelns der Zeit ...

Bezeichnend für Strauß, den intuitiven Musiker, ist die Form, in der er den Zigeunerbaron komponierte. Er arbeitete die Musik nach dem Szenarium, nicht nach dem ausgeführten Text. Er goß seine Tonformen über die noch unbewortete Fläche der Handlung, sie im voraus gliedernd: hier wird ein Duett, hier wird ein Walzer, drei Partien, stehen. Schnitzer mußte hinterher dem Vorkomponierten nur Worte unterlegen: und alles saß. Strauß, der nicht gerne wartete, schrieb also frei vom Wortbefehl die Szene und traf, im musikalischen Ausbruch dem Dichter zuvorkommend, die allgemeine Bühnenstimmung.

Und dann war Strauß unbedingt Tontreffer. Mit den ersten vier Takten klingt der Akkord der Ungarnwelt, beginnt das Mollreich der Synkopen, der Zweiunddreißigstelroller, der Fermaten, freien Kadenzen, beginnt das Czimbalhafte, Rhapsodische, die wilde Pußtenmelancholie, wozu als Gegensatz das Wienertum tritt.

In der Ouvertüre sind die beiden Farben gebunden und steigern einander in komplementärer Wirkung wie Rot und Grün. Die beiden Hälften der Monarchie, in ewige Ausgleichskämpfe verstrickt, wurden vom Musiker spielend verschmolzen. Er machte aus zankenden Nachbarn eine Gemeinsamkeit, die viel zum Erfolg beitrug, auch in dem zur Abspaltung stets geneigten alten Ungarn.

Die Sachcharakteristik ist stärker als die Personenzeichnung. Sandor Barinkay erzählt von seinen Abenteuern in der Fremde mit dem Schwung eines Walzers (»Ja, das alles auf Ehr'«), Zsupan von seinem idealen Lebenszweck (»Borstenvieh und Schweinespeck«) in einer Tänzelpolka; kein magyarischer Laut betont den magyarischen Dickwanst. Dagegen stehen Saffi, Czipra und die ihren in einer melodischen Zigeunerluft. Die Oboeneinsamkeit, die den schönen Schifferchor einleitet, das d-moll-Lied »O, habet Acht« mit dem ausjauchzenden Dur-Schluß, das Andantino »Hier in diesem Land Eure Wiege stand« gehört zur ungarischen Musiklandschaft, zur tönenden Pußta. Ebenso die Originalmelodie des Werberlieds »Her die Hand, es muß ja sein«, die Jokai als Erinnerung aus dem Freiheitskrieg von 1849 Strauß mitteilte. Ebenso endlich der Rakoczymarsch, dessen Feueratem nach Berlioz und Liszt zum drittenmal für die Kunstmusik entdeckt wurde.

Akzentuiert wie immer ist Strauß als Finalekomponist, wobei er seine Erfahrungen als Walzerkomponist anwendete. Das erste Finale erhält von Saffis Andantino (»Hier in diesem Land«) den ersten Antrieb – von da an reißt es sich vorwärts und steigt in Chormassen auf. Das zweite Finale ist der Typ des großen Walzer- oder Marsch-Finales, wie es Strauß in Karneval, Nacht in Venedig und später im Waldmeister anbringt. Seine Grundlage bildet das Werbelied, durch Figurenwerk ins Wilde getrieben und durch den Rakoczymarsch ins Grandiose entflammt. Das Finale entscheidet über den Akt derart, daß Librettistengeschick den Akt vom Finale her anlegt. Hier hält Strauß am Rand der Oper und pfropft der Operette einen fremden Stil auf.

Procházka hebt in seiner Biographie die Griffe des Meisters in den Malkasten der modernen Harmonik hervor; aber bezeichnender ist, wo Strauß sie anwendet: nicht ad libitum, sondern an Stellen hoher Affekte, beim Trennungsentschluß des liebenden Barinkay oder beim erregten Befremden Saffis: (»Dein Weib, du treibst auch heut noch Spott!«), dort wo Umschläge von Es nach H, nach D ihren Sinn, d. h. ihren Stil haben.

Wieder drängt sich in der Partitur die zarte Zeichnung der Opernlyrik (Saffis G-dur-Andantino »Kaum kann ichs fassen«), ihr Duett mit Barinkay (»O Blick in Blick«), während die berühmteste lyrische Episode, das Duett »Wer uns getraut«, durch allzuhäufige Wiedergabe abgedroschen wirkt.

Und dann die aufschließenden Freuden- und Wonnenwalzer! Deren schönster, der Schatzwalzer, nur durch Zufall nicht vernichtet wurde. Denn als Strauß ihn Max Kalbeck auf dem Harmonium vortippte, sang Kalbeck nach den ersten Takten allein weiter, worauf Strauß das Blatt zusammenknüllte und ärgerlich in den Papierkorb warf: »Also schon dagewesen!« Bis Kalbeck den um seine Originalität bangenden Meister endlich beruhigen konnte: er habe den Walzer schon früher – von Strauß selbst – im Sommer vorher gehört!

siehe Bildunterschrift

Johann Strauß
Ölgemälde von C. R. Huber, 1894

Franz v. Jauner, damals Direktor des Theaters an der Wien, gab sich uneingeschränkter Meiningerei hin, um das neue Werk mit Ortsfarben bunt und blendend zu füllen. Er fuhr nach Raab, studierte ein Zigeunerlager, brachte das blinde Originalpferd samt Wagen, brachte die Originalkostüme mit, wonach er die Chöre kleidete, kurz: Jauner trug die Wirklichkeit ins Operettentheater. So zwar, daß der immer bescheidene Strauß, nach dem Kopfschütteln der »Autoritäten« noch bescheidener geworden, die Möglichkeit eines Erfolgs nur noch in der Aufmachung erblickte ...

siehe Bildunterschrift

Karikatur auf Johann Strauß als völkerversöhnende Macht. 1894

Ja, die Generalprobe, die sehr ins Säuerliche verlief, mag ihn darin noch bestärkt haben: es ist nichts, es ist wieder nichts ...! Die Sache nahm bedenklichen Verlauf und wie die Theaterleute davon dachten, merkte Strauß auf dem Rout, den am Tag der Generalprobe die Mitdirektorin des Theaters, Frl. v. Schönerer, gab. Strauß wurde in Erwartung des Durchfalls von der Gesellschaft geschnitten ...

Aber schlechte Generalproben sind die besten Wetterzeichen. Am nächsten Abend (24. Oktober 1885, einen Tag vor Strauß' 60. Geburtstag) ging der Zigeunerbaron in Szene und wurde an diesem Abend nicht einmal, – fast dreimal gespielt: man ließ alles wiederholen, das Wiederholte von neuem singen und diesmal zitierte das ununterbrochen zitierende Wien: »Ah, das is' ausgezaichnet ...!« Fünfundachtzigmal hintereinander wurde der Zigeunerbaron in diesem Spielwinter gegeben, die gute Witterung der Theaterleute bestätigte sich unerwartet und der »geschnittene« Komponist rieb sich die Hände: »Ah, das is' ausgezaichnet ...!«

Die Namen der Darsteller dürfen genannt werden: Joseffy (Homonay), Friese (Carnero), Streitmann (Barinkay), Frl. Reißer (Arsena), Frau Schäfer (Mirabella), Frl. Hartmann (Czipra), Frl. Collin (Saffi) und vor allem: Girardi. Sein brauner Schnürrock mit den silbernen Knöpfen, das platte Hütchen, das kugelige Wänstchen, der Hakenstock, die gespreizten Beine, im dritten Akt der scharlachfarbene Seressanermantel, der waffen- und uhrenstarrende Gürtel und die speckige Ungarnmundart wurden vorbildlich für jeden Zsupan bis heute. Die alte Mozartische Theatererfahrung bewährte sich: schreibt Rollen nicht ins Leere, sondern für bestimmte Darsteller!

Strauß zählte sechzig Jahre, als der Zigeunerbaron aufgeführt wurde. Aufjauchzt eine unermüdete Musik, deren Vater man nicht auf der Schwelle des Greisenalters suchte: er trat in eine neue Jugend ein.

Der Zigeunerbaron ist nicht ort- und zeitlos wie die Fledermaus; nicht Gesellschafts-, sondern Exotenbild; eine der Aufnahme in die Operntheater würdige Operette, aber keine allgemein gültige heitere Menschenangelegenheit, vielmehr eine nette Begebenheit, die ein guter Gesellschafter scharmant erzählt.


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