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Im Hirschenhaus

1831 ist in der Familie ein neuer Walzerkomponist, Johann, damals sechs Jahre alt. Die Großmutter besaß in Salmannsdorf, einem Wiener Vorort, ein gemütliches, efeubewachsenes Landhaus und hier, auf dem Sommersitz der Familie, fand sich ein altes Tafelklavier, worauf der Erstgeborene, wie er es wohl gesehen hatte, ein Stückchen zusammensetzte. Ein Walzer, etwas hinkend, der Auftakt in den schweren Taktteil geschoben, eine Neigung zu ungeraden Perioden – aber in allem Schiefen und Vertrackten unverkennbare straußische Blitzer. Die Mutter schrieb das »Werk« ab und ohne ihren Stolz zu überanstrengen, glaubte sie doch, daß wenige Sechsjährige so nette Gedanken äußern, weshalb das Stück später – mit dem Titel: »Erster Gedanke« – erschien.

Überhaupt krümmten sich die Häkchen beizeiten und die Straußischen Söhne lernten früher Musik als »Bildung«. Es gab im Hause reichlich Kinder: Johann (geb. 1825), Josef (1827), und Eduard (1835); dazwischen noch Netti, Therese und den zweijährig verstorbenen Ferdinand (1834). Die Familie wohnte zuerst in der Lerchenfelder Straße 15, wo Johann zur Welt kam, dann beim »Weißen Wolfen« an der Donau, auf dem Karmeliterplatz im »Einhorn« und zuletzt im »Hirschenhaus«. Dieses Haus lag in der Taborstraße, besaß 77 Wohnungen und einen riesigen Hofraum, worin die Werkelmänner ihre unendlichen Melodien drehten und Kinderscharen spielten, und bot zwei Familien gleichen Namens, nicht gleichen Blutes, einen dauernden Aufenthalt. Die Familie Strauß wohnte hier von 1834 bis 1886 und trat in nachbarliche Beziehung zur Familie des Bankiers Albert Strauß, der der Sachwalter Johanns und dessen Schwiegertochter Adele, später Johanns dritter Frau, wurde.

Sehr gemütlich scheint es in diesem Stück Altwien nicht immer hergegangen zu sein. In der Regel hing ein Gewitter in der Luft, der Vater schleuderte Blitze und die Ursache war Johanns heimliche Musik. Eduard, der jüngste Bruder, hat später (in seinen »Erinnerungen«) leidenschaftlich bestritten, daß in diesem Musikerheim je ein Mißtönchen zu hören und der Vater Despot gewesen sei, der die Söhne irgendwie gezwungen habe. Allein Eduards Ahnenverehrung hat viel Kokettes, er bestritt überhaupt gern, was seinen größeren Bruder betraf; der Herrenton der Walzer des Altstrauß läßt andere Schlüsse zu und so wenig Bestimmtes wir wissen, das wissen wir aus Johanns eigener Überlieferung, daß seine Jugend mehr in düsteren als in hellen Farben glänzte und er von ihr nicht als seines Lebens Rosentagen schwärmte.

Vater Strauß wohnte abgesondert von der Familie in einem eigenen Zimmer. Sein Geschäft entführte ihn. Er beschäftigte im Fasching oft drei Kapellen, fuhr von einer zur anderen, dirigierte ein paar Stücke und überließ dem Konzertmeister das weitere. Dann blieb er noch mit Freunden sitzen. Er nahm nicht teil an pantagruelischem Saufen; aber mit aufgewühlten Nerven geht kein Musiker zu Bett.

So ging der größte Teil der Nacht hin; er schlief bis in den Morgen. Dann kamen Besuche. Dann ging's ans Komponieren – jeder größere Ball forderte einen großen Walzer – geplagt und gehetzt, fand er weder Zeit noch Stimmung für die Familie, wußte oft gar nicht, was dort vorging, war gereizt und »z'wider«, bei jedem Anlaß schoß er in die Höhe, verfluchte das Musikantendasein und hörte von anderen, was für Genies seine Buben seien.

Er ließ ihnen Unterricht geben, dem Johann und dem Josef; aber sie sollten studieren und das andere nebenbei treiben. Schließlich klimperte alles in Wien, sogar der Kaiser Franz vertrieb sich die Zeit mit Violintrios, wenn er auch von Apollo nicht besonders gesegnet war.

Aber der Alte drängte die Buben wieder in die musikalische Sphäre. Sie hörten ihn bei den Proben mit Bogen und Stimme kommandieren, bis der wacklige Dilettanten-Rhythmus sich zur Höhe eines messerscharfen Wiener Takts erhob, bis jedes Zeichen saß und die Geigenmelodie mit »Schmiß und Schmalz« gespielt war. Das machten sie ihm nach.

Dann war er plötzlich verschollen, auf langen Reisen, während Gerüchte und Briefe Fabelhaftes aus fernen Ländern erzählten. Bis er eines Tages wieder erschien, um die Buben, ungewollt, aufs neue anzufachen.

Der Verleger Haslinger brachte dem Alten einmal bei, was für Vierhändigspieler die beiden seien; da mußten sie denn zu ihm hinüber samt dem Flügel – er hielt nur ein Tafelklavier – und als es stramm klappte, freute er sich doch: »Das spielt euch niemand nach, Buben!« Aber deshalb sollten sie sich nur nicht einbilden, sie dürften Musiker werden. Mit seinem Willen nie! Und wenn die Mutter ihnen die Stange hielt, würde sie sehen ...!

Ein angenehmer Herr war der Alte zu Hause nicht. Seine rosigen Seiten leuchteten beim Sperl: da konnt' er sündig-schön lächeln, da hatt' er den Rattenfängerblick.

In Heimlichkeit, mit Angst vor dem Vater, dem er's nachmachte, lernte Johann Violine spielen. Ein Tanzmusiker muß geigen oder er ist keiner. Sein fröhliches Raffinement verschaffte ihm das Geld. Er gab Klavierunterricht, einem Schneiderssohn, einer Nachbarstochter, sechzig Kreuzer die Stunde, und der Primgeiger Amon von der Straußkapelle wurde sein Lehrer. Nur der Alte durfte nichts erfahren; sonst hätte er dem Amon heimgegeigt.

Dieser Amon verstand sein Geschäft auch von der praktischen Seite. Ein Stehgeiger ist ein eleganter Verführer. Vor dem Spiegel muß man üben: nur so bekommt man Noblesse der Haltung und Bogenführung. Jemand, der mit seiner ganzen Person musiziert, sich sozusagen ausstellt, darf nicht wie ein Diurnist oder Kirchendiener aussehen.

Daran hielt sich Johann Strauß bis in sein Alter. Er trug später die lockigen Haare steif gebrannt, am Handgelenk ein goldenes Armband, und färbte vordringliches Grau ins Mohrenhafte zurück: er war immer tip-top gekleidet, gepflegt und elegant selbst in Hauskleidern und der Fall seiner Modehose bildete ein Problem seines Schneiders, der nur für Kaiser Franz Joseph gleich behutsam arbeitete. So wunderlich ist die Kunst – es kann jemand sehr gut angezogen und doch ein großer Künstler sein, selbst mit Bügelfalten bezaubernde Einfälle haben, während der noch so nachlässige Samtrock nicht immer ein großes Thema verbürgt ...

Die kultivierte, ja überkultivierte Erscheinung gehörte überdies zur Uniform des Tanzmusikers, eine holde Notwendigkeit des Berufes und was das Publikum dem Künstler auferlegte, wurde seine Gewohnheit. Vielleicht aber zittert darin die Wiener Angst vor dem Altern, der Ferdinand Raimund unsterbliche Gestalt gab: Man lebt nur einmal, weshalb sie nicht Abschied nehmen darf, sie, die im rosa Atlaskleid auf goldenem Wagen fährt: die Jugend.

Eines Tages übt der Kleine wieder den eleganten Bogenstrich – da öffnet sich die Tür und er sieht im Spiegel »den Herrn Vattern«.

»Wie, du spielst Geige?«

Der Alte entsetzt sich – der Bub will am Ende Musiker werden! – und nimmt ihm die Geige weg. Wobei sich eine längere Szene abspielte, die der Sohn später im Umriß als »unerquicklich« bezeichnete, die aber doch einen versöhnenden Abschluß fand wie im Lustspiel. Denn die Hand der Mutter steckte dem Ratlosen, der zwischen Gehorsam und Wut schluchzte, heimlich ein neues Instrument zu, und zwar soll es die Geige des – Vaters gewesen sein. Darauf konnte man den eleganten Bogen weiterüben.

Trotz diesen Zeichen bleibt der Alte starr und taub. Er hat einen harten Kopf, einen viereckigen Dickschädel, wie ihn Luthers Bild zeigt. Und hat einen steifen Gedankengang: Niemand ißt so bittere Bissen wie der Musiker. Ein Tränenbrot, auf Betträndern verzehrt. Das ist von heut auf morgen. Jedes Lorbeerblatt von einem Dornenbaum gepflückt. »Es brauchen nur zwei Werke mißfallen, zwei Walzer zu mißglücken – gleich heißt's: dem Strauß fällt auch nichts mehr ein!« Er kannte seine Wiener.

Das soll dem Sohn erspart sein. Er lenkt ihn bürgerlichen Zielen zu, dem Ideal des Österreichers, dem Beamten mit Pension. So drängt er zwischen guter Absicht und Befehl Johann seiner müden Wünsche letzte Wunschlosigkeit, seine eigene, tiefe Friedenssehnsucht auf.

Sein Rechtbehaltenwollen artet zu Rechthaberei aus, väterliche Gewalt zu Gewalttätigkeit. Im Hirschenhaus stritten lebhafte Stimmen um die Führung einer Lebenslinie: Mann und Frau, Sohn und Vater, bis die zugeschmetterte Tür die Dissonanzen abschloß.


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