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Karneval in Rom

Der tiefste Grund, der Strauß zur Operette zog, war ein echt künstlerischer, ja dämonischer, vielleicht ihm selbst kaum bewußt: die Vergrößerung seiner Berauschungsmacht. Nicht ein Dutzend Walzererfolge wog einen Operettenerfolg auf und nach der Indigopremiere mag er Jettys Instinkte gesegnet haben. Strauß war der narkotischen Bühne, die bald als Operette schillernd, bald keusch als Singspiel die Schmerzlosigkeit des Daseins herbeiführen will, nicht zugeboren. Um so bewundernswerter, was er in rascher Einstellung darin leistete, ein Erbe klassischer Musikgeschlechter, die auf allen Breiten der Tonkunst Früchte zogen. Bewundernswert auch in der Raschheit, mit der er von Offenbach los und zu sich selbst kam.

Offenbach machte in Wien rasch Schule, weil seine Parodien auf eine dafür besonders empfängliche Geistigkeit stießen. Neben den großen Mythologien der Barockzeit, neben Glucks Götteropern stand immer der Hanswurst, stand Stranitzky, stand Kurz-Bernardon und das Publikum, von Hypsipylens Schmerzen erschüttert, lachte sich an Kasperls mythologischer Stegreifkomödie gesund. Eine Bernardoniade wie »Die von Minerva beschützte Unschuld oder die Vereinigung der Liebesgötter«, worin Venus als Mannsbild auftritt, oder der berühmte, zuerst von Lady Montague in einem Brief an Pope erwähnte »Amphitruo« (1716), sind die Offenbachiaden des achtzehnten Jahrhunderts. Alois Blumauer travestiert zur Gluckzeit die »Äneis« und Nestroy schreibt einen »Robert der Teixel«, worauf er die berühmte Tannhäuserparodie losläßt. »Alles, was Offenbach in neuer, glänzender Form aus Paris brachte, war ... auf dem Wiener Volkstheater schon seit langem heimisch. Die Figuren, allen voran Jupiter und Orpheus, hatte man in den köstlichsten Situationen, Bekleidungen und Verkleidungen, mit den unpassendsten Attributen ausgestattet, unverfälschtesten Wiener Dialekt redend und in tausend Anachronismen verstrickt, wieder und immer belacht ... Ja selbst der Cancan, den die Götter Offenbachs in Paris vom Modetänzer Chicard erlernten, war auf der Wiener parodistischen Bühne durch den aus der italienischen Renaissanceoper übernommenen, ursprünglich selbstverständlich ernstgemeinten Göttertanz vorbereitet.« (Erwin Rieger: »Offenbach und seine Wiener Schule.«)

Die Verhöhnung der Olympischen ist natürlich Reaktion – hier wie dort – auf den Humanismus und den zuletzt in steife Würde verspreizten Klassizismus. Aber eines unterscheidet die spätere Wiener bürgerliche Operette von der Offenbachschen: der ihr fehlende Angriffsgeist. Ihr Mangel an oppositionellem Witz, der eben die Offenbachschen Grotesken durchpulst.

Das Wiener Bürgertum der Siebzigerjahre hatte, wir sahen es, seinen Behaglichkeits- und Verdienerfrieden mit den Staatsgewalten geschlossen, es scharte sich in Anbetung um den Thron, den imperialen Götterhimmel und hatte weder Kraft noch Neigung zu parodistischem Peitschenknall. Aus seiner Operette war jedes Wort verbannt, das nach Dynastie und Politik roch, alles geduckt vom großen »Pst-pst« der Selbstzensur. So kommt es, daß in einer von Talenten wimmelnden Stadt wie Wien nicht einer ein kongeniales Textbuch für Johann Strauß fand. Es gab genug Handwerker, die mehr oder minder geschickt eines zimmerten; aber keines, das nicht im Halben stecken blieb: der Lustige Krieg wurde keine Parodie des Militarismus und Methusalem keine des Monarchismus (obwohl er Pariser Urprodukt war).

Der einzige Geist, von dem man wünschte, er wäre Straußens Textdichter geworden, war Ferdinand Kürnberger. Er hatte schon einen verbindenden Text zu Schumanns Manfred geschrieben, er besaß die Faust des Oppositionsmanns, die satirische Zornader des großen Schriftstellers. Allein er stand außerhalb der Gesellschaft, gehörte nicht dem »Ring« der Librettisten und Zeitungsmenschen an und starb zu früh. Der tiefste Grund der notorisch schwachen Bücher von Johann Strauß lag also in der Mentalität seiner Klasse, ihrer opportunistischen und geduckten Haltung: dieser Gedanke ist Orgelpunkt in der Librettofrage.

Die nächste Operette des Meisters heißt »Karneval in Rom«, im Theater an der Wien zwei Jahre nach Indigo (1. März 1873) aufgeführt. Mit diesem Werk, das nicht eigentlich den Titel »Operette« verdient, rückt Strauß schon von Offenbach ab und setzt das alte schlichte Wiener Singspiel Schenks, Dittersdorfs und Wenzel Müllers fort.

Aus dem Vielfältigen eines musikantischen Künstlers tritt hier nicht der Tanzmeister der Sinnlichkeit ans Licht, sondern der Sänger, der eine schicksalsbewegte Melodik zu einfachen Dingen des Lebens, heiter und teilnehmend tönen läßt.

Dem erfolgreichen Mann ein Textbuch zuzusenden, fühlte sich nach dem Indigo jeder Wiener Librettist oder wer sich dafür hielt, für verpflichtet. Nunmehr aber ist Strauß kritisch geworden, er sucht und wählt, lehnt ab und prüft, bis Josef Braun, vom Direktor Steiner veranlaßt, ihm einen hübschen Stoff vorträgt. Braun, aus Pest gebürtig, studierte in Wien Medizin, wurde Journalist und zeigte viel Librettistenbegabung, denn auch er kam wie die Verfasser des Indigo auf Andrer Gedanken und entlieh den »Karneval« einfach dem »Piccolino« von Sardou. Schon vorher (1869) hatte de Lauzières eine komische Oper für die Vikomtesse de Grandval daraus gemacht. Und nachher (1876) diente Piccolino als komische Oper für Ernest Guiraud, war also ein ergiebiger Stoff:

Ein Maler, Artur Bryk, kommt auf einer Studienreise in ein Schweizer Dorf, malt ein Mädchen als »betende Sennerin« und verspricht ihr die Ehe. Er reist nach Rom und vergißt bei andern Frauen, was er der einen versprach. Marie reist ihm als Savoyardenknabe nach, wird unerkannt Arturs Lehrling, löst ihn aus erotischen Händeln, malt ihm die Köpfe der ungetreuen Weiber auf die Leinwand und triumphiert zuletzt als Meisterin des Meisters.

Wenn das auch nicht alles von Braun war, so war es doch sehr komponierbar. Der Wechsel des szenischen Kolorits, das idyllische Gebirgsdorf, die Romantik Roms, rauschende Atelierfeste und die fromme Kühle adeliger Damenstifte, das bunte Bacchanal des Karnevalone, worin sich alles löst –, das machte dem Musiker Lust. Der Held ist zwar nur Maler, welche Beschäftigung seit jeher holde dramatische Untätigkeit maskiert; die Heldin eine der zahlreichen Opernmarien voll List und ewiger Unschuld –, allein das Ganze stand in künstlerischer Sphäre, worin sich nicht nur Strohpuppen und Hanswurste bewegten.

Speidel erkannte sogleich: das Werk bestehe eigentlich aus zwei Werken, einer komischen und einer lyrischen Oper. Zwei Stile mengten sich. Allein »während im Indigo noch die Sucht vorwaltet, durch die unwiderstehlichen Walzermotive zu schmeicheln, durch prickelnde Tanzweisen zu blenden, zeigt die Partitur ein feineres und zarteres Vertiefen nach einer vielleicht nicht so populären, aber jedenfalls edleren Richtung.«

Die edlere Richtung ließ sich schon im Indigo erkennen und nun war eine Spieloper entstanden, keine Parodie, keine Narkose, sondern ein Werk, das sich neben der Regimentstochter, dem Postillon von Lonjumeau, dem Glöckchen des Eremiten mit allen Reizen seiner Gattung sehen lassen konnte.

Johann Herbeck trug sich stark mit dem Gedanken, den Karneval, den die Musikersprache bald die »Polkaoper« nannte, im k. k. Hofoperntheater aufzuführen, ein durchaus stilvoller Gedanke, dessen Ausführung leider von Herbecks verfrühtem Tod verhindert wurde.

Die Oper schien das Spieljahr zu beherrschen. Marie Geistinger entzückte als Marie durch ihre Schönheit und den Klang ihrer Stimme. Es war noch die goldene Zeit der Operettensängerinnen mit Stimme und wenn die Geistinger den Es-dur-Refrain der Introduktion sang: »Die Glocken, sie hallen, sie locken und schallen«, gab es Zuhörer, die bis zu Tränen gerührt wurden.

Am 1. Mai wurde die Wiener Weltausstellung im Prater durch den Kaiser eröffnet, eine Glanzzeit, ein zweiter Wiener Kongreß schien bevorzustehen – da, acht Tage später, barst eine Wetterwolke: die Börse brach zusammen; wie Kürnberger seiner Freundin schreibt, »unter der Überlast ihrer eigenen Verbrechen«. Die seit Jahren betriebenen Schwindelgründungen, die auf faulen Banken und Industrieunternehmungen aufgebauten Papiertürme stürzten ein und die Wiener Börse widerhallte von den Todesschreien der Geprellten und Betrogenen. »Es war an dem, daß der Baron Rothschild beinahe und der Baron Schey wirklich geprügelt wurde; daß eine Menge von Hunderten zu Hyänen gewordenen Menschen die schuldigsten Börsenhäupter totschlagen wollte, während diese wieder nach Polizei und Militär schrien ...« In den letzten Tagen waren die Preise stark in die Höhe gegangen, eine Wohnung wurde von 3000 auf 10 000 Gulden gesteigert, ein Laden auf dem Kohlmarkt von 1600 auf 8000 Gulden – nun, am »schwarzen Freitag« begann die Reihe der Selbstmorde der plötzlich Verarmten. Als die Burgmusik mit der »Schönen Blauen Donau« an der Börse vorbeimarschierte, riefen Stimmen den Musikern zu: »Spielts nur die blaue Donau: 's liegen schon Leut' drinnen ...!« Unter Schreckensszenen endete das Finanzdrama mit dem Ruin ganzer Bevölkerungsklassen.

Aber Wien ließ sich nicht entmutigen. Eisenberg erzählt, daß nur die Aufführungen des »Karneval« und die Produktionen der Kapelle Strauß die gedrückte Stimmung einigermaßen aufhellten. Und während dieser Danse macabre gab es eine beherrschende Tagesmelodie, die sogar die sangen, die ihr Hab und Gut verkaufen mußten, und das war das Couplet des Reliquienhändlers aus dem Karneval, der berühmte Zweivierteltakt: »Nimm sie hin, sie sei dein und mein Segen obendrein ...!« Auf alle möglichen Gelegenheiten angewendet, erhielt sich dies Zitat lange als ein Zeichen der unergründlichen Fähigkeit populärer Erfindung.

Das Werk eroberte weit mehr Bühnen (das ist: Menschen) als der Indigo und als Felix Weingartner es (Juni 1921) in der Volksoper zum Leben weckte, klang es halb wie trauliche Jugenderinnerung, halb wie eine Novität.

»Der Karneval steht Nicolais Lustigen Weibern viel näher als der modernen Operette ... Wie unschuldig und frisch wirkt Johann Strauß, wie naiv und herzensfroh seine Melodik, wie sauber und rein seine Instrumentation! Entzückend die Verwendung der Holzbläser, nobel und sparsam das Blech und Schlagzeug. Die melodischen Einfälle jagen einander vielleicht allzusehr, das bekannte Füllhorn wird nicht geleert, sondern dem Hörer direkt über den Kopf gestülpt, wodurch ein kaleidoskopischer Eindruck erzeugt wird ...« (Julius Bittner im Merker vom 15. Aug. 1921.)


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