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Das Spitzentuch

Das Verhängnisjahr 1878, das Strauß die Gefährtin entriß und ihn mit dem gefährlichen Gewinn der zweiten Gattin beschenkte, stürzte ihn auch in eine künstlerische Krise und nach vier Erfolgen widerfuhr ihm der erste Mißerfolg.

Die Ursache wird dem Textbuch von Rudolf Kneisel zugeschrieben, also mittelbar dem Komponisten; doch besaß Strauß im Rausch der ersten Lily-Tage weder Klarheit noch Muße, ein Buch zu prüfen und, an eine Beraterin gewöhnt, griff er, sich selbst überlassen, eine Niete.

Kneisel, als Verfasser vieler Lustspiele geschätzt, ließ als Librettist vollkommen aus. »Blinde Kuh« ist eine Heirats- und Erbschaftsangelegenheit von spießbürgerlichem Verlauf und »allgemein wurde bedauert, daß Strauß seine melodischen Zauber an eine Langweile verschwendete«. Die schöne Ouvertüre fand (schon vorher, in einer Akademie der »Konkordia«) ihren Beifall; der Blinde-Kuh-Walzer blieb das einzige freudige Ergebnis des Abends, ein Stück, das durch die begleitende Operette nur gestört wurde und ohne sie fröhlich weiterlebte, als hätte es nie dazugehört. Die Musikkapellen spielten den Walzer, das Theater blieb leer, »Blinde Kuh« eroberte nur wenige (7) auswärtige Bühnen.

Strauß, dem man nachsagte, hierbei »eine Binde vor den Augen« gehabt zu haben, also gewissermaßen selbst »Blinde Kuh« gewesen zu sein, mußte dieses negative Ergebnis schließlich als inneren Gewinn betrachten lernen. Nun ging er, vorsichtig und gewitzigt, vor allem dem guten Buch nach und der glückliche Zufall bescherte es ihm sogleich.

Wenige Wochen nach dem Durchfall der »Blinden Kuh« erreichte Suppé den größten Erfolg seines Lebens mit Boccaccio, der am 1. Februar 1879 im Carltheater aufgeführt wurde. Lächelnd genoß er einen Triumph, den auch nicht die Kritik beeinträchtigte, die ihm die »unverkennbare« Benützung Verdischer, Meyerbeerscher Motive, Offenbachschen und Straußischen Geistes nachsagte. Im Mai fuhr Suppé mit seinem Boccaccio nach Preßburg und bat den Direktor des Preßburger Theaters, Heinrich Bohrmann, um einen neuen Text. Bohrmann, unter Laube Generalsekretär des Wiener Stadttheaters, dann Direktor der Komischen Oper, nebenbei Verfasser des effektvollen Schauspiels »Verlorene Ehre« – sagte zu und schrieb für Suppé eine witzige Sache: »Das Spitzentuch der Königin.« Als er mit dem Entwurf einige Wochen später nach Wien kommt, hörte er jedoch, Suppé arbeite bereits an – Zell und Genées »Donna Juanita«, und so geht er mit seinem Text zu Johann Strauß.

Bohrmann liest seinen Entwurf vor, entzückt damit den Meister, der sofort zugreift, und händigt ihm überdies als Probe seiner Verskunst das »Trüffelcouplet« ein, das Strauß augenblicks in Musik setzte. So führte der Erfolg Suppés in operettenartiger Verschlingung zu einem Erfolg Johann Straußens.

Die Aufführung des Spitzentuchs fand am 1. Oktober 1880 im Theater an der Wien statt und nach der Wiederholung erklärte die glückliche Direktion, sie habe die größte Einnahme seit sechs Jahren erzielt. Das Fürsttheater im Prater beeilte sich mit einer Parodie »Das Schnupftuch des Königs« von Doppler, Musik nach Johann Strauß, während die neue Operette Genées, Nisida, die das Carltheater als Antwort herausbrachte, bald verschwand.

Die Zuhörer des »Spitzentuchs« ließen nicht weniger als fünf Nummern wiederholen und was Girardi als Sancho sang, bezog man auf Strauß: »Er kann die Sterne rebellisch, die Jungfrau und den Bär verrückt machen ...«

Die Dichtung war nur »Genée«, nicht Genie. Der geschickte Genée, im Zeitgeist befangen, reckte sich über die Theatermode nicht einen Zoll. Kurz nach der Aufführung wurde auch schon eine neue Textbearbeitung für Berlin (durch Julius Rosen) angekündigt.

 

Auf ihr Spitzentuch schrieb die portugiesische Königin die Worte: »Eine Königin liebt dich, doch du bist kein König!« Sie beziehen sich auf den jungen König, der nicht großjährig ist (Hosenrolle), weshalb der Premier für ihn regiert. Cervantes, der Dichter, veranlaßt, daß der König statt der Thronrede seine eigene Großjährigkeitserklärung abliest. Es geschieht, aber die Worte des Spitzentuchs werden nun vom Premier auf Cervantes gedeutet. Wodurch ein Verwirrungsfinale entsteht und der König seiner Frau einen bösen dramatischen Blick zuwirft. Cervantes, auf den sich »Genie, verkanntes« reimt, wird verbannt. Aber im Kampf mit der Staatsgewalt bleibt das Genie Sieger. Zuletzt bringt es als Wirt einer Posada das Paar zusammen und zwar durch die berühmte Trüffelpastete, des Königs Hochzeits- und Lieblingsgericht ... Also: die vergeblich verhinderte Großjährigkeit oder: Dichter und Minister oder: die Liebe durch den Magen. Oder: die übliche Genéesche Pastete.

 

Die Kritik, die Cervantes nur als Dichter des Don Quixote kannte, gestand, daß ihr etwas »spanisch zu Mute« geworden sei, als sie Cervantes am portugiesischen Hof erblickte, und eine kritische Hand zerlegte die Genéesche Pastete in ihre Bestandteile: »Nehmt aus dem Boccaccio den Freimut des Worts, aus dem Othello das verhängnisvolle, vom Schnupfen nicht berührte Taschentuch, nehmt aus dem ›Le roi l'a dit‹ den Tänzer des Rokoko und vom König Bobèche die Politik, nehmt endlich aus Mozarts Weibertreu Despina als Arzt – dann habt Ihr das Spitzentuch in seiner merkwürdig verschlungenen und doch so durchsichtigen Arbeit ...«

Von der Musik wurde behauptet, sie zerfalle in zwei Teile, einen operettenhaften und einen possenhaften, am besten seien, so sehr sich Strauß auch sträube, es zu hören, die Tanzformen und im ganzen fließe der »melodische Born« nicht mehr so reich.

Jedoch floß der »Born« sogar etwas reicher.

Von den 19 Nummern der Partitur sei das Auftrittslied der Königin (Andante, 2/4) genannt, das in schwärmerischer Linie empordringt: ein chromatischer Zwischenleiteton cis, ein köstlicher Sprung in die Süße der Non d, ein Drängen in den unaufgelösten Vorhaltston e. Eine Grazie, deren Humor aus rein musikalischen Quellen fließt:

Noten

Das berühmte Trüffel-Couplet gehört zu den Strauß eigentümlichen Marionettenwalzern (Morgenblätter). In den ersten 4 Takten die starren Hopser, die Kasperlpausen der Linie; worauf plötzlich (Takt 5-8) die menschliche Wärme der Melodie das Vorhergehende aufhebt – »Alles war nur Spaß« –, dann der munter abträllernde Schluß, der nach soviel Humor schwer zu finden war.

Noten

Ein Gegenstück dazu ist Nr. 12, die Tenor-Romanze des Cervantes »Lichter Glanz«, später wiederkehrend als »Wo die wilde Rose erblüht«: ein ständchenhaft süßes Umwerben von Frauen, eine Melodie, die Ton aus Ton hervorspinnt, und einer der ersten langsamen Gesangswalzer der Straußischen Operette. Als lyrische Einlage hemmt sie den dramatischen Fortfluß eher als daß sie ihn beflügelt, aber sie gibt dem Sänger ein delikates und erfolgsicheres Vortragsstück und vom Sänger – wir werden es sehen – hängt die Operette immer stärker ab:

Noten

Die Instrumentation erhöht die Delikatesse des Einfalls, zu dem sie mit gehört: die 1. Violine, gedämpft, führt die Melodie, die Harfe berührt deren Umrisse, 2. Violinen und Violen, gedämpft, haben die Begleitung; ein hoher Hornton, as, klingt wohlig haltend durch; Harfentöne klingen ins Nachspiel hinein.

Das zweite Finale wiederholt in neuen Einfallsreihen die Fledermaus-Technik: einen szenischen Vorhang in eine Walzerpartie zu fassen, gleichsam damit zu ummanteln. Strauß blieb bei dieser gewohnten und erprobten Form und zum Finale, auf das er Gewicht legte, fiel ihm auch immer etwas Hübsches und Ergiebiges ein:

Noten

Strauß hat die Walzer des Spitzentuchs zusammengefaßt und unter dem Titel »Rosen aus dem Süden« herausgegeben, der ihrer noblen Natur auch besser entspricht. Es klingt wie Ironie, daß »der Born« diesmal nicht so reichlich geflossen sei: gerade diese Partitur zeigt die verschiedensten Walzertypen: den kapriziösen, den kantilenenhaften, den weitbogigen Finalwalzer und in Eduard Schütts Bearbeitung funkeln deren Linien im Buntlicht einer modernen Harmonik. Selbst in einer leichten Operette versagt die Anmut im Geben oft vor zuhörender Schwerfälligkeit.

Das Spitzentuch erfordert, was es heute kaum noch gibt, ausgezeichnete Sänger. Die Bühnen pflegen die moderne Tanzoperette, besitzen ein paar Sterne, nach deren Eigenart und Kaprizen der Spielplan sich richten muß, nicht Sänger, die sich mit dem Studium von Gesangsrollen befassen; auch halten die Bühnen, schon der Kosten wegen, keinen Chor mehr. Moderne Operettenkomponisten umgehen diese Schwierigkeiten und schreiben chorlose Werke mit Tanzeinlagen, die freilich, ihrem Wesen nach, von – Johann Strauß stammen.


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