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Mit Verehrung steht man vor der Oper »Pázmán«, dem Werk des 66jährigen.
Die Komposition des Pázmán beginnt gewissermaßen schon mit dem Simplicius; aber was dort, zur Einheit nicht geordnet, aneinanderstößt, will die Ruhe eines Reifen hier ausgleichen. Man fühlt die Bemühung, Takt für Takt einen neuen Stil zu gewinnen und sich der Oper halb mit Bedacht, halb mit Vertrauen zu bemächtigen, als sei sie eine ernste Krönung seines Operettenwerkes. Vergleichsweise denkt man an den greisen Bruckner, der umgekehrt die Schwere eines Lebens in die elfenhaft ausschwebende Leichtigkeit seines letzten Scherzos – der Neunten Symphonie – erlöste.
Ergreifend an dem alten Strauß, daß er erkannte, er müsse sich das Leichte schwer machen, seine Linie am Ende steiler hinanführen, und keuchen, wo andere sich beruhigten und behaglich verschnauften.
In ähnlicher Beschwernis hatte auch Peter Rosegger zum Drama emporzusteigen – und im »Tag des Gerichts«, zweiter Akt stehen große Dinge.
Die Alterswerke Verdis sind die des »gelernten« Opernkomponisten, der er immer war und der, gewiß in unerhörter Selbststeigerung, sich Letztes entriß. Noch unerhörter aber ist die Energie, mit der sich Strauß zum Sublimem emporhob, Strauß, der einst an Wirtshaustischen auf Speisekarten Walzerpartien für den nächsten Ballabend entwarf.
Wenn je in einem Meister der Ringer sichtbar wurde, der Sankt Georg vor dem Widerstandsdrachen, dann wurde er es in dem so leicht begnadet scheinenden Johann Strauß, in diesem Künstler des Unbeschwerten, der mit Einfällen wie mit Federbällen spielte.
»Strauß war wie einer jener alten Schwärmer, die in die Wüste gingen, um sich auf eine bedeutende Aufgabe vorzubereiten. Seine Vorbereitungen flößen uns vor dem Mann, der kein Jüngling mehr ist, den tiefsten Respekt ein ... Die Oper erscheint uns bewunderungswürdig durch die in ihr enthaltene ernste Arbeit, durch den in ihr mit Energie festgehaltenen Stilcharakter. Diese Oper ist mehr als ein ästhetisches Werk, sie bedeutet eine Selbstentäußerung des Komponisten, sie ist eine wahrhaft sittliche Tat und nötigt uns, auch wenn sie uns nicht gefallen sollte, die größte Hochachtung ab.« So der tapfere und selbst sittlich fühlende Ludwig Speidel im Fremdenblatt vom 3. Januar 1892 und 17. Oktober 1894.
Auch Pázmán hat ja die Straußische Buchkrankheit, die typische textliche Rückgratschwäche. Und keine Musik auf Erden kann muskulöse Musik um ein Skelett herum bilden, das immerfort zusammenfällt. ... Man versteht seinen abgrundtiefen Seufzer: »Für ein exzellentes Buch wäre ich imstande die größten Opfer zu bringen ...«
Wo war es?
Strauß beklagte oft, daß die Natur ihn nicht zum Dichter, zum poetischen Vollender seiner Musik krönte; aber Lecocq und Genée schrieben sich selbst Texte, ohne zum Gesamtkunstwerk der Operette vorzudringen. »Um allen Faktoren einer Operette Rechnung zu tragen, müssen beide Autoren im Angesicht ihres Schweißes Tag und Nacht arbeiten, um ein erfolgreiches Resultat zu erzielen. Jetzt noch plage ich mich wie ein Hund mit Partiturenschreiben in der Operette ...«
Dieses Bekenntnis richtete Strauß an Max Kalbeck, den Textdichter seiner »Jabuka«. Eben Kalbeck war es, der Strauß einen Entwurf »Viola«, eine komische Oper nach Shakespeares »Was Ihr wollt«, übergeben hatte. Das Stück regte Strauß im Burgtheater stark an – er wollte los vom Wust und Qualm einer Kunstart, die so behangen war mit Unkunst, daß außer den Autoren noch Darsteller und Direktoren mitarbeiteten.
Und nun wird Viola von Pázmán verdrängt. Ein junger Ungar, ein liebenswürdiger Legationsrat und Poet aus Pest, Ludwig Dóczy, hatte mit einem Verslustspiel »Der Kuß« viel Erfolg am Burgtheater gehabt. Strauß lernt ihn kennen, seine Hoffnungen heften sich an den Mann, der Goethes Faust ins Ungarische und Madachs ungarischen Faust (»Tragödie des Menschen«) ins Deutsche übersetzt hatte. Dóczy liefert ihm auch ein Buch. Eine Ballade des Ungarn Aranyi, ins Dramatische übersetzt. Oder vielmehr ins Undramatische.
Was sollte Johann Strauß und seine Berauschungskunst mit der Geschichte vom alten Pázmán anfangen, der seine Ehre gekränkt sieht, weil der König seine Frau einmal auf die Stirn küßte! Und der nun dafür die Königin auf die Stirn küssen darf, – worüber wieder der König erbost ist. Mit Recht machten sich die Witzblätter über eine Komödie ohne Komik lustig und mit Recht sagte Hanslick: Diese Handlung mußte Strauß eher hemmen als beflügeln.
Wieviel Bemühungen verschwendeten Textdichter, um Girardi oder Pallenberg gutsitzende Rollen wie Hosen anzumessen! Niemand fand es der Mühe wert, einem Johann Strauß sein Buch zu schreiben. Niemand plagte sich mit dem Gedanken, Strauß zu dienen, seiner Ekstatik die letzten Entfeßlungen zu bieten, – und so ging Strauß einsam durch Jubiläen und Bewunderungen, saß einsam zwischen denen, die mit ihm Tarock spielten und ihn »Walzerkönig« nannten. Immer ist der Künstler abgetrennt und unauffindbar.
Die Oper Pázmán, die den Text durchkomponiert, fordert zum Vergleich mit der Widerspenstigen von Götz und dem Falstaff von Verdi auf, Werke subtiler Technik, die ebenfalls keine Bühnendauer errangen. Strauß bleibt wie Verdi homophon, was die Gewichtlosigkeit der Musik, die Deutlichkeit des Worts befördert. Aber er versagt sich wiederkehrende Tonsymbole, was die Disposition und den Aufbau erschwert, den Eindruck des Mosaiks ergibt. Die Handlung allein entriß dem Künstler wahrlich nicht den Blitz des technischen Einfalls.
Hanslick witterte sogleich die verhaßten Meistersinger und ihren »Arioso-Stil«; aber wie weit war Strauß von Wagner, dem er wohl erstaunt nachsah, nicht folgte.
Rühmenswert, daß die sittliche Tat, von der Speidel spricht, sich auch in schöner Musik äußerte. Viele geschlossene Stücke funkeln aus der Partitur: das erregende Trinklied des Königs, ein lyrischer Bogen über leicht hintippenden Sechsachteln: die Baßromanze des alten Pázmán mit ihrem selbstironischen Ton, manche Illustrations- und Situationsmusik, vor allem aber die große Ballettmusik. Hier hört man den Atemzug des Befreiten: »Endlich allein!«
Erlöst vom Textdichter, hat seine Ekstatik endlich Raum und schwingt sich in echten Theaterwalzern und Polken aus, bei deren zierlichen Notengetrippel man die Pas der Ballerinen sieht. Die Pázmánpolka wurde, abgelöst von der Bühne, berühmt wie der Pázmánwalzer, in dessen Wiener Grazie (im Des-dur-Teil) ein chopinhafter, tiefromantischer Ton mitklingt. Die Ballettszene war die einzige, mit der die Oper Strauß die Möglichkeit Straußischer Faszination bot: die Musik schob damit den Höhepunkt aus der Handlung heraus, man hörte ein Ballett, um das eine Oper herumkomponiert war. Aber die Oper ist wie die Symphonie ein Bauproblem und davon muß der Dichter etwas wissen ...
Gustav Mahler plante später, Pázmán neuzugestalten und aufzuwecken. In seiner impulsiven Art – ein schöner Brief an Strauß spricht davon – sucht er den Willen des Komponisten zu beeinflussen. Er konnte diese Absicht nicht ausführen, die aus sich selbst heraus unausführbar war. Auch Simplicius erlebte eine Umarbeitung durch Ludwig Dóczy: vergebens wie fast alle Belebungsversuche.
Historisch gesehen, war Simplicius Vorläuferwerk. Was er in steifer und ungelenker Ahnung versuchte, hat geschmeidige moderne Operettentechnik nach beiden Seiten hin vollzogen: sie ging vom »Ernst« in die Sentimentalität, in die hochfrisierte Operettentragik mit dem typischen Mißverständnis-Schluß des zweiten Aktes; und ging von der »Lustigkeit« in die getanzte Exotik ...
Vom Pázmán geht man mit dem Eindruck des Experiments, das dicht vor dem Gelungensein hält. Die Oper kann ohne weiteres Vergleiche mit Wolfs Corregidor, dem Falstaff, der Widerspenstigen, den Königskindern von Humperdinck vertragen.
Pázmán wurde nach neun gutbesuchten Vorstellungen in der Wiener Oper abgesetzt (Januar 1892), wanderte dann nach Prag, nach Berlin, nach München, ohne auch dort zu wärmen oder zu zünden. Die kritischen Begleittöne klangen mitunter recht häßlich. Strauß verwand die Kritiken. Sie warfen ihm viel vor. Nur nicht, was ihn getroffen hätte: Trivialität. Er fühlte das Gleichgewicht einer guten Tat: »Ich hab's gewagt!«