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Pfingstmontag, den 22. Mai 1899 dirigierte Johann Strauß in der Hofoper die Ouvertüre zur Fledermaus in einer Nachmittagsvorstellung. Jedesmal, wenn er am Pult stand, vibrierte sein Körper und wenn er es verließ, war er in Schweiß gebadet. Dieser Erregung halber lehnte der Meister ab, die ganze Operette zu dirigieren. Nach den letzten Takten verschwand er rasch, um den Stürmen des Enthusiasmus zu entgehen, denn so oft seine schlanke, zierliche Gestalt, der dunkle Feuerkopf mit der buschigen Lockenmähne, den schwarzbraunen Blitzaugen auftauchte und die nervöse, magere Hand den Taktstock hob, erhob sich ein bedrängendes Gejauchz und am Schluß wollte jeder, koste es was immer, den Seltenen sehen.
Er fuhr nach der Ouvertüre in die Igelgasse. Als er in seinem Palais ankam, war seine Wäsche durchnäßt. Man frottierte ihn, er legte frische Kleider an und setzte sich mit seinen Freunden Leschetitzky und Bösendorfer zum Tarockspiel – nicht in den kleinen blühenden Garten, sondern aus alter Erkältungsfurcht ins anstoßende Zimmer. Er fühlte sich wohl, ging seiner Gewohnheit nach abends an die Arbeit, um die letzte Hand an das Aschenbrödel-Ballett zu legen, dessen zwei fehlende Schlußakte er in der Ischler Villa zu vollenden gedachte. Die Arbeit dauerte wie immer tief in die Nacht hinein. Nichts deutet auf Störung seines Befindens: bis dahin war der Vierundsiebzigjährige weder von Altersbeschwerden noch von Krankheit heimgesucht worden.
Am 26. fand in der Rotunde ein Modefest in einem »sezessionistischen Dorf« statt. Strauß war geladen und unterschrieb, des guten Zweckes willen, Fächer um Fächer. Tags darauf wird er von einem Schüttelfrost befallen. Fieber zeigt eine Krankheit an. Er geht zu Bett. Ballettmeister Haßreiter, mit dem er die Einrichtung des Aschenbrödels besprechen wollte, mußte unverrichteter Dinge umkehren. Doch tritt wieder Besserung ein. Professor Notnagel findet nur eine leichte Spur von Katarrh. Am 30. jedoch erkennt er ein Exsudat, seine ernste Miene verrät Gefahr. Fieber und Husten nehmen zu, beide Lungenflügel haben sich entzündet.
Die gefürchtete Krankheit war da. Doch nun glaubte Strauß durchaus nicht daran, wähnte an einer schweren Neuralgie zu leiden, war guter Dinge und fröhlicher Laune, – bis er mit einmal, in Phantasien verfallend, aus den chinesischen Verschnörkelungen des Ofenschirms Operettenfiguren herauslas und das Bewußtsein verlor.
Seine Kräfte nahmen ab. In einer der letzten Nächte (1. Juni) begann er plötzlich zu singen: »Scheint die Sonne noch so schön, einmal muß sie untergehn ...«, das Lied der Jugend aus Raimunds Verschwender. Er weilte in der alten Zeit, tauchte zur Gegenwart auf, verlangte die Partitur seines Aschenbrödels, die er Gustav Mahler übergeben hatte, weil ihm damals eine Ballettform mit Chor- und Sologesängen vorschwebte. Die Krankheit ließ sich nicht aufhalten, der Körper war verbraucht.
Am 3. erwachte der Meister am Vormittag und küßte seiner Frau die Hand. Sie war die schweren Tage und Nächte nicht von seinem Bett gewichen. Sie sagte: »Versuch' ein wenig zu schlafen!« Er antwortete: »Das werde ich unter allen Umständen tun ...«
Gegen ein Viertel nach vier Uhr am Nachmittag des 3. Juni 1899 hatte Johann Strauß vollendet. Der gefürchtete Tod kam rasch, ohne lange Qualen.
Am 6. Juni wurde der Meister an der Seite Franz Schuberts, neben Johannes Brahms in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt. Die Wiener Gesellschaft und das Wiener Volk folgten einträchtig dem Leichenzug, der sich in der Sonne eines herrlichen Frühsommertages durch die menschengesäumten Straßen bewegte. Wie üblich sagte man: die Stadt ehrte sich selbst durch diese Teilnahme und es ist wahr, alle standen in einer seltenen Gemeinsamkeit des Gefühls; allein, die Stadt, die an das Grab einer Heiterkeit trat, war unbewußt bewegt von Mitleid mit sich selbst, betrauerte in Johann Strauß ein Stück ihres Selbst, das nun verschwand wie ein teures altes Haus, ein schöner alter Wiener Garten. Eine Glückseligkeitszeit, die nicht mehr wiederkam, ging mit Johann Strauß zu Grabe und die alten Wiener, die zusahen, hatten in den Augen schwimmende Bilder töricht schöner Jugendtage ... beim Dommayer, beim Sperl, im Volksgarten ... wenn es hieß: heute spielt der Strauß ...!
Am Grabe wurden Reden gehalten (u. a. von Bürgermeister Lueger und Vinzenz Chiavacci), der Singverein sang »Fahr wohl!« von Brahms. Das Testament, das Johann Strauß schon lange früher, als er nach Amerika ging, errichtet hatte, setzte zu seinem Gesamterben nicht die Familie, sondern die Gesellschaft der Musikfreunde ein. Was seinen Grund darin findet, daß er und Jetty damals einander versprachen, ihr beiderseitiges Vermögen nicht ihren Verwandten zuzuwenden, sondern – um neutral zu sein – einer frommen Kongregation, etwa der der Barmherzigen Brüder, deren Heim der Straußischen Wohnung gegenüber lag. Später wurde an deren Stelle eine künstlerische Korporation gesetzt und so wurde die Gesellschaft der Musikfreunde Erbin, während die Gattin und die Verwandten bedeutende lebenslängliche Renten aus dem reichen, mehrere Häuser umfassenden Vermögen erhielten, zu dem noch die Einnahmen aus den Bühnen- und Tanzwerken traten.
Am Tag des Begräbnisses fand eine Gerichtsverhandlung statt, in welcher Johann Strauß als »Beklagter« erscheinen sollte. Ein Wiener Musikalienhändler klagte auf Zahlung von 20.000 Dollar, weil Strauß angeblich die »Göttin der Vernunft« für Amerika ihm und zugleich dem Direktor Conried verkauft hatte, der nun die Aufführung dort verbiete. Das Gericht stellte die Unwahrheit fest und wies die Klage ab. So blieb das Leben dem Heimgang des Meisters ein Schnörkel nicht schuldig.
Und wer es nicht wußte, konnte es in einem behördlichen Urteil lesen, daß Johann Strauß als Künstler wie als Mensch lauter und ehrenhaft dahingegangen war.