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Josef

»Für Menschen, nur durch Menschen, wird
der Mensch.«

Grillparzer.

 

Josef, zwei Jahre jünger als Johann, war das dunkle Gestirn unter den Brüdern. Langes Zigeunerhaar schattete um mönchische Magerkeit des Gesichts. Ihn begleitet ein trüber Dämon wie Johann ein lichter.

In Josefs Kopf flackerte die Phantasie der Familie nach allen Richtungen aus. Er schrieb Dramen, Gedichte, zeichnete, malte, war Techniker und wurde Musiker. Einige seiner Züge sind auf die Brüder gestreut, das Zeichentalent auf Johann, das Talent des Sonderlings und Eigenbrötlers auf Eduard.

Schon als Kind musisch gerichtet, wehrt er sich mit Leidenschaft gegen den Vater, der ihn, vielleicht in guter Absicht, in Kaisers Rock stecken will. Josef, in dem die Ideen der Revolution brennen, weigert sich, Genie-Offizier zu werden, und der Achtzehnjährige schreibt einen Absagebrief von reifer Entschlossenheit: »Ich will nicht Menschen töten lernen, will nicht durch Jagdmachen auf Menschenleben ausgezeichnet werden ... Besser gleich den Tod suchen, als ein solches Bewußtsein mit sich nehmen  ... Lassen Sie mich, wo ich bin; lassen Sie mich, was ich bin ...!«

Er machte das Gymnasium, das Polytechnikum, ließ sich als Lehrling der Maurer- und Steinmetzzunft freisprechen und wird mit 23 Jahren Bauzeichner; leitet das Jahr darauf den Bau einer Wasserwehr im Triestingbach, wird dann Ingenieur in einer Maschinenspinnfabrik am Tabor und lenkt die Aufmerksamkeit des Wiener Magistrates durch die Erfindung einer Straßenreinigungsmaschine auf sich. Für den Sommer 1853 war ihm die Leitung zweier Neubauten übertragen, er gedachte den Kurs über Wasserbau zu hören und das Diplom des Ingenieurs zu erwerben.

Da, mitten in heftigem Tun und Planen, überrascht ihn Johann: er, Josef, der Mann mit dem elegischen Straußkopf, Josef, der Versunkene, soll ihn, Johann, den Verführer, den Mann mit dem Rattenfängerblick vertreten. Es ist ja rein lächerlich: Josef und Dirigieren! Aber auch die Mutter redet ihm zu. Sie ist in dem Betrieb, was einst der Lamperlhirsch für den Vater war: der Schatzminister, die Seele des Geschäfts. Und dringt darauf, daß Johanns Vertretung bei einem Strauß bleibe, daß kein fremder Name verunziere, was die Familie zu Ehren brachte.

Josef hat als Knabe Musik betrieben, war Vierhändiger mit seinem Bruder, fühlt sich aber nicht im Traum zur Leitung einer Kapelle berufen. Er hat keine theoretischen Studien, kann nicht einmal geigen. Und ein Kapellmeister mit dem »Staberl«, nicht mit dem Geigenbogen war bei den Wienern unmöglich.

Er sträubt sich lange und mit der Hartnäckigkeit des Bescheidenen; aber auch aus einem rührenden Grund: weil er sich zu häßlich schien, zu wenig elegant für Publikumsaugen. Allein umsonst: Josefs chaotische Veranlagung wird durch Schicksal und Familienrücksichten in die musikalische Richtung gezwungen.

Gewiß zu seinem Glück. Aus sich allein wäre Josef niemals zu sich selbst gekommen, hätte, eine scheue Natur, im Urteil anderer hangend und ohne Selbstvertrauen, nie den Mut zur Musik gefaßt, womit er einen seltenen Künstlertyp darstellt: nicht den seinen Beruf erkämpfenden, sondern den hineingenötigten Musiker.

Was Josef begann, begann er mit Inbrunst. Einmal zur Musik entschlossen, studierte er Tag und Nacht: Theorie bei Professor Dolleschal, Violine bei Amon und kann nach drei Jahren die Tänze mit der Geige leiten. Als er zum erstenmal beim »Grünen Zeisig« auftritt, arbeitet er mit dem verpönten »Staberl«, erschreckt das Publikum durch sein blasses Gesicht, verdirbt jedoch nichts.

Am 28. August 1853 trägt er jedoch im gleichen Lokal seine erste eigne Komposition vor: den Walzer »Die Ersten und Letzten«. Der Titel umschreibt in ängstlicher Bescheidenheit die Versicherung: »einmal und nicht wieder« und mangelnde Selbstsicherheit schielt nach dem Ingenieur zurück. Allein Johann sah nach seiner Rückkehr von Neuhaus die Walzer an und war überrascht: »Du bist an' echter Strauß!« Es bangte ihn nicht mehr um die Kapelle.

Es gibt Menschen, die nur von Lob und Erfolg entwickelt werden. So schloß sich Josefs Talent auf wie ein Blumenkelch am Morgen. Den »Ersten und Letzten« folgten bald die Zweiten, die den noch immer entschuldigenden Titel führten: »Die Ersten nach den Letzten«, wie er überhaupt einer von denen war, die sich immer entschuldigen zu müssen glauben, niemandem im Weg stehen wollen anstatt zu fragen: Was kost' die Welt?!

Den Walzern folgten Klavierstücke, Orchesterfantasien aus Meyerbeers, aus Verdis, aus Wagners Opern; es entstanden die »Dorfschwalben aus Österreich«, deren Komponist nicht ahnte, daß ihm eine Walzer-Unsterblichkeit gelungen war; vor allem aber die »Brennende Liebe« (Werk 129), dann »Aus der Ferne« (Werk 270), die typischen melancholischen Mazurken. Im Gegensatz zu Vater und Bruder, die »Dur-Komponisten« waren, fühlte sich Josef in Moll-Tonarten wohl ...

Hätte Josef nichts geschrieben als die »Delirienwalzer«, er wäre ein echter Strauß gewesen, ein Erhöher des väterlichen Gedankens wie Johann, würdig eines ersten Platzes im Parnaß der Österreicher neben Schubert. Nicht allein der Einleitung wegen, worin Fieber von Wagners Fieber wühlt, was die seltsame Vorliebe der Strauße für Wagner bezeugen mag, sondern des ersten Themas wegen, das den Dominantknäuel zu einem langen silbernen Melodiefaden auswickelt und worin sich der Schubert- und Chopinton mit dem persönlichen Josefston zu einer wunderbar liebenswürdigen Dur-Melancholie mischen. Ein Stück, dessen Anmut schwer ist und das den Namen eines männlichen Tränenwalzers verdient.

Aber Josef hat noch die »Sphärenklänge« geschrieben, die »Perlen der Liebe« und die »Transaktionen«, die Alfred Grünfeld zu spielen nicht müde wurde. Selten hat ein so börsenhafter Titel – »Transaktionen« – eine so poesievolle Musik gedeckt. Sie zweigt von den Schubertschen Impromptus und ihrer Modulationspracht ab. Das Thema gleitet über Tremoli durch die Einleitung, im Halbton von Fis-Dur zum übermäßigen Dreiklang, nach g-moll und wie mit ausgebreiteten Schwingen in kühner Alteration und auf kühnem Vorhalt nach fis zurück.

Qualis artifex! Das Hauptthema der »Transaktionen« tritt in der Einleitung auf, dann etwas abgeändert und umgestaltet als Tanz und nochmals in der Coda. Von hier war nur ein Schritt zur »symphonischen« Walzerform, von der schon der Dichter der Loreley-Rheinklänge allerlei ahnte. Josef wäre der Mann hierzu gewesen: er stellt eine Symmetrie des Baus, einer Bogenwölbung her, wie sie nur einem Architekten einfiel: nicht umsonst war Josef Techniker.

Und dann war Josef von allen Brüdern der, in den Wagner wirklich einging. Die »Perlen der Liebe« zeigen in der Einleitung (einem Nachklang des ersten Wagnerrausches, 1857) rienzihaft aufrührerische Entladungen. Josef ahnte das Prinzip: den Ausdehnungsdrang der Harmonie in romantische Fernen, ein Prinzip, das seiner Natur die rechte Entfaltung bot.

Josef, von den Musikern uneingeschränkt geliebt – sein früher Tod gab ihm Märtyrerhaftes – ging tief ins Volk; wenn nicht auf dem geraden Weg, so doch auf einem Umweg der Berühmtheit. Eine Belebungsoperette »Frühlingsluft« ließ Possendummheiten von seiner Musik begleiten. Manche seiner Motive wurden als Gassenhauer mit Texten versehen, die dem Kulturmenschen den Magen umdrehen. Zur Jocuspolka sang man: »Der Mensch is' ka Krowot, er lebt net nur allani von Salot!«, zu den »Wiener Fresken« ertönte die Weisheit: »Wer's glaubt, wird selig« und die »Transaktionen« sagten noch das beste: »So a strudliger, mudliger Walzer von Strauß!« Auf Fünfkreuzerblättern stand eine Unsterblichkeit im Gewand eines Pülchers.

Josef leitete in Abwesenheit Johanns – der dritte Bruder, Eduard, war noch zu klein – die Hofballmusik; er vertrat ihn später in Rußland, wohin Johann alle Jahre zu reisen pflegte. Und vertrat ihn endlich im Volksgarten. Ein liebenswürdiger Genie-Entdecker feierte die beiden Brüder in einer so gleichmäßigen Weise, daß keiner sich zu beklagen hatte. In einer Untersuchung über den »Stand der Wiener Tanzmusik« (Klemmsche Zeitschrift für Theater und Musik, 1856) heißt es schmeichelhaft: »– – – Als Dirigent gibt sich Hr. Strauß viel Mühe, ohne doch seinem Orchester eine besondere Energie und ein schwungvolles Markiren des Tanzrhythmus mittheilen zu können. Was aber sein Bruder, Hr. Josef Strauß, im Sinne führt, wenn er sich vor das Orchester hinstellt und einige phlegmatische Handbewegungen macht, – das haben wir noch nicht ergründen können ...«

Josef war der Romantiker, der Poet unter den Brüdern. Er trug, wie Lenau, »um die wunde Brust geschlagen den Mantel der Melancholei«. Tiefe Depressionen mischten sich mit übermütigen Himmelfahrten, Lachen mit Weinen, Tränen mit Jauchzen. Er betrat das Podium in schwarzem Frack und weißen Hosen; und wenn sein blasses Gesicht auftauchte, flüsterten die Damen: »fesch ist er nicht ... aber sehr interessant ...« Josef war eine Romanfigur.

Ein Todgezeichneter, wußte er um sein frühes Sterben und sprach davon ohne Koketterie. Er schrieb den Walzer »Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust« und er beschleunigte sein Ende. Er arbeitete, er rauchte sich zu Tod. Er rühmte sich, den Stephansplatz ein Jahr lang nicht betreten zu haben. Er mied Natur und Menschen, litt an Ohnmachten, an Krämpfen, die Haare fielen ihm aus – die Lust und Lieb', die er gern gelebt hätte, zeigt sein sentimentalischer Walzertyp.

Als er in Warschau (»Schweizerthal«, Juli 1870) dirigierte, kam es zum Zusammenbruch. Ein unverläßlicher Primgeiger hat das verabredete Sprungzeichen nicht beachtet und spielt weiter; Josef hört das Chaos im Orchester voraus, seine Dirigentenehre ist bedroht – ein Stoß des Bluts, ein Nervenschock und bewußtlos taumelt er vom Dirigentenpult.

Ein äußerer Anlaß hat die Zerstörung beschleunigt. Er wird sterbend von seiner Familie nach Wien gebracht und verlischt hier nach fünf Tagen, erst 43jährig, an der Berstung eines Neugebildes im Gehirn. Legende rankte sich um seinen jähen Tod. Er hatte viele Gaben, nur nicht die, lang zu leben und sich auszuwirken.

Viele halten ihn für den Begnadetsten der Brüder. Peter Cornelius, der ihn 1861 im Dianasaal hörte, nennt ihn den kultivierteren Musiker als Johann. Er war's vielleicht. Ihm fehlte nur der Himmel voller Geigen, die Leichtigkeit des Herzens, der weltmännische Impuls, der Kranz Anakreons und der naive Glaube an die Erde, der seinem Bruder die Schwingen gab.

»Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust ...«


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