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»Der Vulkan mit dem steifen Fuß
Tanzt mit der Venus zum Beschluß,
So macht die Götter, alt an Jahr'n,
Der Lanner oben noch zum Narr'n ...«
Schluß des Gelegenheitsgedichts »Lanner im Olymp«, gesungen in Daums Elysium.
Josef Lanner, der Urwiener, hat Wien außer zu Spritzfahrten kaum verlassen. Er fuhr einmal nach Mailand, aber nur deshalb, weil dort eine Wiener Hoffestlichkeit stattfand. Dieses weiche Sonntagskind der Musik besaß nur den Ehrgeiz einer Lerche, und die Lerche hat keinen Dämon. Voll stiller Mitfreude an der Welt bevölkert er das Leben mit sanften Walzern wie Ferdinand Raimund mit Feen und guten Geistern: Wiens 1001 Nacht.
Lanner wurde nie Weltmann; er blieb Naturkind, ein Papageno mit blondem Schopf und Stumpfnase. Als er bei einem Hofball nach einem langen, exakt ausgeführten Menuett einer Erzherzogin sein durchschwitztes Hemd zu zeigen versuchte – sie sollte sehen, wie er sich geplagt hatte – fiel er in Ungnade.
Er wurde in einem dunklen Biedermeierhäuschen (Nr. 5) der Mechitharistengasse, am Neubau, geboren, unweit vom Geburtshaus Ferdinand Raimunds, der Handwerkersohn war wie er. Und starb am Währingerspitz bei Döbling, in einem einstöckigen gelben Häuschen, einem Vogelbauer, der vier Fenster in der Front, ein Vorgärtchen und als luftblauen Hintergrund den Kahlenberg und den Leopoldsberg besaß. In Döbling ging, den Zimmermannsblei in der Tasche, Beethoven umher und irgendwo zwischen Raimund und dem Beethoven der Pastorale liegt der Klang Josef Lanner.
Es gibt eine Akustik der Landschaft – die Erde tönt aus ihren Menschen in eigenen Klangfolgen – und wie die Altdöblinger Landschaft sieht Lanners Walzerparadies aus: Dreiviertelgesänge von weichen Nachdenklichkeiten; Monologe eines blonden Mannes, der sich an den Rand der Stadt mit seiner Freundin zurückzog, um sich zwischen Weinglas und Tabakspfeife unbehelligt auszusingen. Er ging im Zimmer auf und ab und komponierte, auf der Geige phantasierend; schrieb dann in seiner sauberen, zierlichen Schrift diese Improvisationen nieder, deren Terzen, Vorschlagsketten, Tonwiederholungen, kapriziöse Sechzehntelfiguren bequem liegende Geigenfiguren sind, wie die Keckheit der Themen mit Pausen dem am Frosch angesetzten Bogen entspringt. Die Gegenwart, der Blick einer Frau erregte ihm Musik von herzigen Einfällen, man meint oft, in dem Manne schlägt selbst ein Frauenherz, und wenn man in den »Hymen-Feierklängen« plötzlich das »So leb denn wohl, du stilles Haus« hört, ist man ganz gerührt.
Spielt man Lanner nach langer Zeit (obwohl das Klavier seinen Geigenzauber nur unvollkommen wiedergibt), so hört man den Frühling der Wiener Volksmusik. Eine sentimentale Melodie, die die Werkel einst unter den Haustoren drehten, entpuppt sich als eine Partie aus den »Vorstädtern«, den »Romantikern« oder seinen berühmten »Schönbrunnern«. Und wie ein Bild Peter Fendis, ein alter Garten, ein stehengebliebenes Vorstadthaus, so erregt Lanners Walzer die Vision Altwiens.
Manchmal glaubt man noch die Linzer Musikanten durchzuhören, denn bei Lanner ländlerts. Während der Altwalzer vier, acht, sechzehn Dreivierteltakte zusammenfaßt, bindet der Ländler gern Gruppen von drei, sechs, zwölf Takten: dies und nicht das Zeitmaß macht den Unterschied. Die erste Partie der »Steyerischen Tänze« ist zwölftaktig – echter Ländler – die zweite ist schon walzerig. Außerdem gibt's noch einen Programm-Musiker Lanner, der im »Schwärmer« ein erlebtes Sittenbild des karnevalierenden Wien hinterläßt.
Aber bald nimmt man Abschied; diese Walzer haben eine willenlose Schönheit, Musik, die die Flügel hängen läßt, wo man eben den Aufschwung erwartet, nichts will sich zur Größe spannen, nirgends wühlt der Dämon – keine Loreley-Rheinklänge wie beim alten Strauß. Man begreift sehr gut, daß die alten Wiener aus Lanner eine Bitte zum Tanz hörten, aus Strauß einen Befehl. Der liebliche Lanner mit seiner zierlichen Schrift und seiner Blondheit ist das Gegenbild zum streng streichenden Strauß: der milde (»patzweiche«) und der harbe Wiener.
Sie ergänzten einander vortrefflich, solange sie beisammen waren, und köstlich erscheint die simple Art ihres Betriebes, die so holde Früchte zeitigte. »Das Componiren war offenbar damals eine leichtere Kunst, als heutzutage. Zur Hervorbringung einer Polka durchstudirt man jetzt die gesammte Musikliteratur und vielleicht auch noch einige philosophische Systeme. Früher gehörte zum Componiren nur Eines: ›Es mußte Einem was einfallen‹, wie man sich populär auszudrücken pflegte. Und merkwürdigerweise ›fiel Einem auch immer was ein‹. Das Selbstvertrauen in dieser Richtung war so groß, dass wir Alten häufig eine Walzerparthie für einen bestimmten Abend ankündigten, von welcher am Morgen desselben Tages noch keine Note vorhanden war. In einem solchen Falle erschien zumeist das Orchester in der Wohnung des Compositeurs. Sobald dieser einen Theil fertiggestellt hatte, wurde er vom Personale für das Orchester hergerichtet, copirt etc. Inzwischen wiederholte sich das Wunder des › Einfallens‹ beim Compositeur bezüglich der übrigen Theile; nach einigen Stunden war das Musikstück fertig, wurde durchprobirt und am Abend vor einem in der Regel enthusiastischen Publicum zur Aufführung gebracht.
Lanner – der leichtblütige, leichtlebige – producirte beinahe nie anders. Da widerfuhr es ihm, dass er eines Morgens sich sehr leidend und arbeitsunfähig fühlte, während für den Abend eine neue Walzerparthie angekündigt war, von der natürlich noch kein Takt existirte. Er schickte zu meinem Vater mit der einfachen Botschaft: › Strauss schauens dass Ihnen was einfallt!‹ – Am Abend gelangten die neuen Walzer – selbstverständlich als Compositionen Lanners – zur Aufführung und fanden außerordentlichen Beifall. Dieser Umstand sowie seine in dasselbe Jahr fallende Verheirathung veranlassten meinen Vater, sich selbständig zu machen ...« So Strauß der Sohn in der Gesamtausgabe der Vaterswerke, da er von der Trennung beider erzählt.
Auch eine Lerche hat Feinde und Altwiens Musiker waren ein streitbares Geschlecht. Die Kluft zwischen Lanner und Strauß wurde durch geschäftige Hände zur Nebenbuhlerschaft erweitert und bald hieß es: »Hie Lanner – hie Strauß!«
Jeder besaß seine Mitläufer wie der spanische Stierkämpfer seine Aficionados. Der Hofrat Schilling setzte schließlich in seinem »Musikalischen Europa«, einer Sammlung von »durchgehends authentischen Lebens-Nachrichten« (1842), Lanner über Strauß: »Lanners Tanzmusik hat ungleich mehr Geist und Seele als die Strauß'sche, und geht nicht ausschließlich darauf aus, bloß die Füße, sondern auch das Herz und Gemüth zu bewegen.« Ein Urteil, das Vater Strauß nicht schlecht gewurmt haben wird, wenn er's überhaupt gelesen hat.
Da stirbt Lanner 1843, wenig über Vierzig alt. Die Stadt singt ihm ins Grab nach: »Der Lanner oder Kaner!« Johann regiert allein weiter – aber kaum anderthalb Jahre. Schon weiß das Schicksal einen neuen Nebenbuhler. Die Stufen seines Throns steigt behend ein junger Mensch hinauf: Hebe dich hinweg von meinem Platz! Gunst und Huld des »hochverehrten Publikums« fliegen diesem zu, dem Jüngeren, dem Jungen, dem eigenen Sohn. Am 15. Oktober gibt Johann, den die Familie französelnd Jean, Jeanny und, vorstädtisch gesprochen, Schani nennt, das erste eigene Konzert.
»Jetzt will der Bub, der Schani auch Walzer schreiben, wo er keinen Dunst davon hat und es mir Mühe macht, in zwölf oder acht Takten etwas Neues zu bringen ...« Ein Seufzer aus tiefer Kunst- und Lebensangst. Der Selbsterhaltungstrieb des Künstlers ist rücksichtslos gesteigert, man möchte sagen: saturnhaft; er verzehrt, kommt's nur drauf an, das eigene Kind.