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Russische Sommer

»Ziehn die Lieder in die Weite,
Muß der Spielmann hinterdrein.«

Storm.

 

Die Direktion der Eisenbahngesellschaft von Zarsko-Selo schloß mit Johann 1854 in Gastein einen seltsamen Vertrag. Er sollte in Pawlowsk bei Petersburg Konzerte veranstalten, nicht einen, sondern jeden Sommer vom Mai bis Ende September, wovon die Gesellschaft eine Belebung des Verkehrs erhoffte. In Pawlowsk befand sich eine neuerbaute Musikhalle, Vaux-hall, mit kaiserlicher Loge, märchenhaftem Büfett und einer pompösen Estrade, worin schon Gungl seine Künste versucht hatte, aber, wie es scheint, ohne daß ein Russe mehr eine Karte nach Pawlowsk genommen hätte.

Die Gesellschaft bot Strauß freie Fahrt, Verpflegung, Wohnung und ein strotzendes Rubelhonorar, er kam mit neugeworbenen und geschulten Leuten 1855 und ging ans Betören der Russen. Die feinste Gesellschaft versammelte sich, Offiziere der privilegierten Regimenter, brillantenstrahlende Petersburger Schönheiten – im Toilettenglanz tauchten sogar die weißen Turbane asiatischer Emire auf – und die Untertanen des Zaren erlagen der rhythmischen Verführung noch williger als die Wiener. Einmal kam der Zar mit einem Großfürsten ins Konzert. Er bestellte sein Lieblingsstück, die Bauernpolka, die einen Beifallssturm hervorrief, »wie noch kein Beethovenscher Symphoniesatz ihn erhalten konnte, da selbst die Orchestermitglieder einstimmten und wie das Publicum, vergaßen, daß die Composition ein elender Schmarn ist. Ich glaube nicht, daß diese Polka so viel in Wien machen wird, als dieß hier der Fall ist. Das Publicum in Pawlowsk brennt förmlich auf dieses Zeug und macht solches zu einem Wunderding.« (An den Verleger Haslinger, 1. September 1863.)

Straußische Bescheidenheit sieht sich angenehm überschätzt. Immer gut, bei anderen mehr zu gelten als bei sich selbst. Aus dem hintersten Asien kommen seinem Verleger Bestellungen zu und er rühmt sich der Kunst, »für Asien schreiben zu können«.

Jedenfalls verrechnet sich die Eisenbahndirektion nicht. Der Fahrplan verdichtete sich und die Petersburger bekamen eine merkwürdige Reisesehnsucht nach Pawlowsk. Die Konzerte in Vaux-hall wurden gestürmt. Jeder wollte ein Autogramm des berühmten Strauß haben, die Gesellschaft ließ sein Bild samt Unterschrift in hunderttausend Abdrücken herstellen und verkaufte es im Petersburger Bahnhof um zehn Kopeken. Großfürst Konstantin, der Bruder des Zaren Alexander, war von Strauß so begeistert, daß er sich ausbat, als Cellist mitspielen zu dürfen. In jeder Woche mindestens einmal tobte sich russisches Gefühlsleben aus und nahm den Dirigenten auf die Schultern, um ihn »unter wüstem Gejauchz« in seine Wohnung zu tragen. Delirien, denen der Gefeierte nur aus Hintertüren und mit falschen Bärten entweichen konnte ... Sie erinnern an jenen Enthusiasten in Brescia, von dem Stendhal erzählt, er habe sich bei Höhepunkten schöner Arien die Stiefel ausgezogen und hinter sich ins Parkett geworfen ...!

Solche Stiefelstücke waren bei den Russen weniger die Walzer als die Polken, die Mazurkas in Moll und die italienischen Opernpotpourris. »Ich schreibe hier ... Fantasiestückel mit seufzendem, schmachtlockigem Cello und mit schwärmerisch gezupften Gattern. Den russischen Weibern sagt das Resolute, entschieden Markige weniger zu«, erzählt Josef, als er Jean 1862 vertrat. In der Woche fanden vier große und drei kleine Abende statt. Wenn die Glocke zum letzten Zug nach Petersburg ertönte, durfte der Dirigent aufhören; mitunter auch nicht: sie blieben in Pawlowsk.

Es soll in den russischen Sommern nicht an Sommernachtsträumen gefehlt haben, wo schwüle Elfen den schwarzen Zauberer umschwirrten. Später einmal saß Eduard Hanslick mit den »drei schönsten Männern Wiens«, mit Nikolaus Dumba, Johann Herbeck und Johann Strauß, beisammen und fragte Strauß, warum er denn nicht seine Denkwürdigkeiten schreibe. »Ich hab's versucht«, antwortete Strauß mit einem vielsagenden Blick, »und meiner Frau einiges diktiert ... aber es war unmöglich ... nein, das geht nicht!«

Die Olgapolka deutet eine der Beziehungen zu russischen Aristokratinnen an, die jahrelang andauerte. Einmal forderte ein russischer Offizier Strauß auf Pistolen, weil Strauß täglich Rosen von seiner Frau bekam. Er nahm die Herausforderung an, bat aber den Eifersüchtigen, ihm erst in seine Wohnung zu folgen. Hier öffnete Herr Leibrock, Straußens Sekretär, drei unmöblierte Zimmer, die nichts enthielten als die täglichen Blumenspenden, und lud den Offizier ein, die Rosen seiner Frau herauszusuchen. In schallendem Gelächter wurde die Affäre erstickt.

Eine andere endet wie eine Straußische Operette. Er kommt in eine Petersburger Familie, die Tochter verliert den Kopf; als er eines Tages vergnügt wieder erscheint, wird er den versammelten Verwandten als Bräutigam vorgestellt. Eulenspiegel sitzt fest. Der Hochzeitstag wird bestimmt, eine Wagenreihe mit Gästen jauchzt nach der Kirche – im letzten Augenblick entreißen zwei Freunde den hilflos Verzweifelten der Trauung und entführen ihn in ihrer Troika zur österreichischen Botschaft.

Zwölf Sommer brachte Strauß in Rußland zu und fühlte sich in der östlichen Provinz seines Weltreichs so wohl wie in Paris, der westlichen. In jenen Jahren entstand eine Reihe von Werken mit russischen Motiven, darunter die Walzer »Abschied von St. Petersburg« und »Königslieder«, die Polkas »L'Inconnue« und »Olga«, die russische Marschfantasie und die Klavierfantasie »Im russischen Dorfe«.

Goldüberflossen kehrte er nach Wien zurück. Die russischen Sommer bildeten die Grundlage seines Wohlstandes. Die Rubel ergaben ein hübsch erhöhtes Guldenvermögen und seine Tante Waber, die in Petersburg wohnte, bemühte sich erfolgreich, zu thesaurieren, was Johanns leichte Künstlerhand und Rechenunlust in alle Winde verstreut hätte. So konnte ihm die Mutter, als er seine erste Frau heiratete, am Tag der Hochzeit eine schöne Summe als »Mitgift« übergeben.


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