Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Und nun sehen Sie, wenn es einen Menschen gibt, den ich beneide, so ist es der Richard Wagner, und wenn es einen zweiten gibt, so ist das der Johann Strauß ... Diese Leute sind so situirt, daß sie nur thun müssen, was sie nicht lassen können, aber was sie lassen wollen, das müssen sie nicht thun. Bei mir ist das just nicht der Fall, ich muß manches, was ich lassen möchte.«
Anzengruber an Bolin, Wien, 20. Juli 1878.
Mit der Operette hatte Strauß die väterliche Sphäre überstiegen, dem Tanz höhere Formen der Auswirkung gegeben und hiermit an der Entwicklung seines Vaters, man könnte sagen: erfolgreich fortgearbeitet.
Der »Malefizbub«, der bei Dommayer begann, stand 30 Jahre später auf dem Hochpunkt seiner Lebenskurve, die fortan aus lauter Hochpunkten bestand. Der Liebling der Welt baut seine Villa in Ischl, er hat sein Wiener Palais in der Igelgasse, wird Wiener Hausherr wie Gluck und Haydn, er kauft Gut Schönau bei Leobersdorf, – er wird Grandseigneur.
Sein Leben wird ein ungehemmtes melodisches Strahlen. Er schafft den neuen Wiener Ton, der Kaiserstadtzauber sammelt sich in seinem Namen. 1873 wird das erste Strauß-Jubiläum gefeiert, das Andenken an die Gründung der Kapelle (1823) erneuert und daran reihen sich die Glieder einer langen Jubiläenkette. Strauß wandelt unter Triumphbögen, Ansprachen, Huldigungen, unter den Zurufen eines empfundenen, nicht offiziellen Stolzes, in Harmonie mit seiner Gesellschaftsklasse, deren Behaglichkeitsinstinkten er Ausdruck und Echo ward. Die Majestät wird anerkannt.
Mit Strauß arbeiten an der Wiener Operette gleichzeitig zwei mehr oder minder große Begabungen, Nebenbuhler, die größeres Handwerksgeschick dazu mitbrachten als er.
Der eine davon ist der martialische Franz von Suppé, der Wiener aus Dalmatien, der bis an sein Lebensende ein gebrochenes Deutsch sprach, wie fast alle Welschen ein leidenschaftlicher Koch war und den die Prager Studenten seines gewalthaften Schnurr- und Kinnbarts wegen für einen russischen General hielten. Suppé, ein Verwandter Donizettis, vielleicht auch sein Schüler, bringt den Donizettismus ins Singspiel: mit 22 Jahren schreibt er seine erste Bühnenmusik; das ist 1841, lange vor dem Dommayertag. Unter Pokorny Kapellmeister an der Josefstadt, liefert er Kantilene zu allem, was da kreucht und fleucht, zu Possen, Volkskomödien, Ausstattungsstücken, komponiert auch Opern, darunter ein ernstes Zaubermärchen namens »Tannenhäuser« (1852). Vom Donizettistil geht er zur Offenbachschen Schreibweise über.
Nestroy, 1858 Direktor des Carltheaters, läßt von seinem Kapellmeister Binder die »Hochzeit bei Laternenschein« nach dem Klavierauszug instrumentieren, ohne Offenbach auch nur zu fragen; er macht mit seinem Raub die glänzendsten Geschäfte, veroffenbacht sein Theater: ein Signal für Suppé, das Talent der Auswahl. Im Jahrzehnt 1860–1870, in dem Strauß noch mit Walzern befaßt ist, erscheint die erste Erfolgsreihe einaktiger Suppéscher Singspiele: Das Pensionat (1860), Zehn Mädchen und kein Mann (1862), Flotte Bursche (1863), Die schöne Galathee (1865), Banditenstreiche (27. April 1867, kurz nach dem Donauwalzer); und in das Indigojahr (1871) fällt bereits Suppés 30jähriges Künstlerjubiläum. 1875 erringt Suppé mit »Fatinitza« seinen ersten Welterfolg, und es ist Ironie des Schicksals, daß ihm dazu gerade Johann Strauß verhalf, denn dieser, von Jetty schlecht beraten (»das ist nichts für meinen Schani ...!«), lehnte das Buch ab, das der andere mit Vergnügen komponierte.
Suppé hatte 18 Jahre Bühnenpraxis hinter sich, als er seine erste Operette schrieb, wußte sich auf den Wiener Geschmack einzustellen, schrieb Kantilene, Parodie, Oper, Posse, Heurigen- und Kirchenton, welsche und deutsche Mundart. Er hat das Publikum auf die Wiener Eigenart der Operette eingestimmt. Fruchtbar bis in sein Greisenalter – im Todesjahr 1895 schrieb er noch »Das Modell« –, hat der Vielseitige auch eine Art Nationalhymne geschaffen: »O, du mein Österreich«. Dieser Marsch und Suppés Ouvertüre zu »Dichter und Bauer« wurden die Paradestücke aller Salon- und Regimentskapellen bis heute.
Der zweite ist Karl Millöcker (1842–1899), ein Mann, zu dem Hans von Bülow einmal sagte: »Millöcker, Sie haben die Melodie!« Er besaß sie auch und sie war liebenswürdig und kleinbürgerlich wie ihr Vater, der den Kopf eines Wiener Handwerkers trug. Dann besaß er noch die Erfahrungen einer langen Bühnenlaufbahn, war um 17 Jahre jünger als Strauß und begann früher als dieser mit dem Operettenschreiben.
Millöcker, geborener Wiener, kam nach Provinzjahren 1869 ans Theater an der Wien und wurde aus dessen Kapellmeister dessen Hauskomponist. Die Direktoren Franz und Max Steiner, Vater und Sohn, beschäftigten außer ihm noch Adolf Müller und Johann Strauß und ihr Beispiel regte den fixen Dirigenten an. Seine »Musik des Teufels« (1875), das »Verwunschene Schloß« (1878) fallen in die Fledermaus- und Methusalemzeit und Strauß ist es unabsichtlich, der Millöcker – wie Suppé – durch Ablehnung eines guten Buchs, des »Bettelstudenten« (1882), den ersten Welterfolg verschafft.
Außerdem erregte er Aufsehen mit: »Dubarry« (1879), »Apajune, der Wassermann« (1880), »Gasparone« (1884), der »Feldprediger« (1884), der »Vizeadmiral« (1886), die »Sieben Schwaben« (1887). Eine Zeitlang spielten alle Wiener Salonkapellen, Werkel und Klaviere: »Ach, ich hab' sie ja nur auf die Schulter geküßt« oder: »Ich bin der arme Jonathan«. Er unterhielt mit hübschen Einfällen, die zwischen lauer Kapellmeistermusik stehen. Die Zeitgenossen klaubten sie aus, sein Name wurde volkstümlich.
Er war der Sohn eines bürgerlichen Goldschmieds und sein Textdichter Hugo Wittmann macht einmal die feine, zutreffende Bemerkung: auch als Musiker war Millöcker Ziselierer, Schleifer und Feiler. Er machte sich's nicht leicht.
Mit Strauß gemeinsam hat Millöcker das Musikantische, die Anmut des Einfalls. Aber – Einfall und Einfall ...! In Millöckers »Feldprediger« klingt ein Walzermotiv fast nach dem Anfang der Morgenblätter; aber die eigenartige Fortspinnung bleibt aus und die Banalität besorgt das Ende:
Auch einer anderen Millöcker-Melodie dürfte es kaum gelingen, »neuer Gefühle lieblich Gewühle« wirklich in uns zu wecken: sie spricht davon im Kapellmeister-Ton:
Ja, Millöcker hatte die Melodie; aber nicht die Melodie allein entscheidet, sondern die Persönlichkeit, die eine Melodie erregt, das Schicksal, dem sie heiß entsprang, die Nebenvorstellungen, die sie eingibt. Denn Melodie und sei sie die eines Walzers, ist der Reflex innerster Lebensvorgänge. Millöcker, der sein Alter mit Rentenverzehren und Ansichtskartenschreiben in seiner Badener Villa zubrachte, versandete geistig. In seinem fünfzigsten Lebensjahr war er ausgeschrieben, in Jahren, die für Strauß die Schwelle einer zweiten Jugend wurden.
Es gehört zum Glück des Glückskindes Strauß, daß er diese Begabungen neben sich fand, sie ertrug, ja, von ihnen gestachelt, sie überholte und schlug. Erhöht durch sie, hat er mit der Fledermaus die Wiener Operette geschaffen.
Sein Nachfolger Franz Lehár ist der Typ einer anderen Generation. Er übernimmt von Strauß die Tanzeinlagen, erweitert sie ins Mondäne, überbietet Strauß an weicher Geschmeidigkeit der Linie, apartem Kolorit, nervösen Sensationen. Auf den wogenden Linien seiner sündschön schillernden Slawenwalzer, auf ihrem erotisch-sentimentalen Arom wiegen sich die Nerven des modernen internationalen Menschen. Kein Hotelhof der Riviera, kein Dachgarten Neuyorks, keine Wiener Bar hält Stimmung ohne Lehárweisen.
Nie hat Strauß mit den entfesselten Instinkten eines gereizten Akademismus zu kämpfen wie seiner Spätzeit duldende Genossen Bruckner, Wolf, der aufgehende Mahler. Ironische Lebensklugheit heißt ihn vor allem, die Presse gewinnen, und die Presse beeilt sich, mit dem Mann der Erfolge in ihren besten Vertretern Bündnisse durch Libretti zu schließen.
Von allen Wiener Künstlern ist Johann Strauß der einzige, der zwischen Lächeln und Huld der Wiener Lebensmächte seinen Weg nahm, ohne seine Größe unter achselklopfendes Gönnertum ducken zu müssen. Es lag in der besonderen Betörung seiner Kunst, im Walzer selbst, wohl auch im Unwiderstehlichen der Persönlichkeit.
Strauß malt nicht in watteauhafter Sehnsucht die versagte Grazie eines Lebens; er ist selbst Grazie und ohne sentimentalische Töne. Nur manchmal, ganz leise, hört man im Walzer und seinen Verzückungen die Träne.
In seinen Flug- und Schwungjahren gibt es keine Zusammenpralle mit der verletzten Welt; gegen ihn hebt niemand die Faust auf – das Spiel bleibt ohne Gegenspieler – und tragisch in diesem von ironischer Heiterkeit umblühten Leben ist nur seine ahnungslose Zuhörerin: die verfallsreife Stadt an der Donau, bestimmt, zu sterben, um neu zu werden.
Eine einzige Sehnsucht blieb als Rest: die Oper. Sie ist die magische Vision des fernen Landes, an dem alle Straßen vorbeiführen, der Triumphtraum, vor dem die Wirklichkeit des Triumphs verblaßt, der Erfolg, den kein Erfolg ersetzt, das letzte, was nach oben strebender Wille verlangt, und das erste, was dem Sonntagskünstler versagt blieb.
Seit dem Neu-Wien-Walzer sind, abgesehen von den Sonderausgaben der Operettenstücke, 25 Werke entstanden, selbständige Tanzstücke wie »Wiener Blut« (Werk 354), »Bei uns z'Haus« (Werk 361) und der Gesangswalzer »Wo die Zitronen blühn«, eine italienische Reiseerinnerung (Werk 364). Strauß übt sich für den Bühnenstil, seine Novitäten im Konzert werden seltener.
Er muß dabei die Übersegnung durch Einfälle irgendwie abreagieren, ja Kämpfe gegen den Ideenzustrom führen. Stürzt sich jedem Buch entgegen, es augenblicklich mit Musik zu beschütten. Entspannt sich bei Karten und Billard, verbirgt sich dort, als müsse er dem Einfallsregen entkommen, horcht mitten drin ins Ferne, geht weg, ein Motiv zu notieren. Er entkommt nicht. Von Saphir sagte Wien, er sei in Gesellschaft ein trocken-enttäuschender Patron gewesen, da er, besorgt um seine Scherze, vor dem Druck keinen preisgab. Strauß kennt nicht Sparsamkeit, die auf sich selbst eifersüchtig wäre; begreift nicht Komponisten, die zum Komponieren ein Klavier brauchen; er hat nichts »hervorzulocken«, benützt Augenblick-Notenpapiere wie Manschetten, Taschentücher, Hundertguldennoten, ja beim Simpliziuswalzer, dessen Erscheinen seine Nachtruhe störte, das Leintuch, das er mit Linien und Noten füllte.
Strauß ist Zimmer-, Salon-, Equipagenbewohner, nicht natursüchtig wie das moderne Fluchttier der Weltstädte, er kennt kein pathetisches oder schwärmendes Verhältnis zur Landschaft. Er bereist mit dem Langenbachschen Orchester zwei Monate lang Italien von Triest bis Neapel: kein Reisebrief, kein Tagebuchblatt ergötzt sich oder entlädt sich irgendwie romantisch. Er bringt den Zitronenwalzer mit, der Italien, die Welt überhaupt als melodische Stimme ausdrückte. Der Raum, der ihn umgibt, hat nur die Möglichkeit, zu tönen.
Es gibt beinahe zwei Dutzend Bearbeiter von Straußweisen (abgesehen von Albert Lortzing, der den Elisabethwalzer des Vaters für Singstimmen setzte). Die bedeutendsten sind die Umschreibungen von Karl Tausig (»Man lebt nur einmal«, »Wahlstimmen« und »Nachtfalter«). In die Liste gehören weiter: F. Th. Cursch-Bühren (Donauwalzer für gemischten Chor nach Gernerths Text), Godowsky (Symphonische Metamorphosen), Ed. Goldstein (1001 Nacht), Großmann (Donauwalzer), Grünfeld (Aschenbrödel und zahlreiche andere), Gumbert (Walzer-Rondo), Henselt (Phantasie), Albert Jungmann (Indigo), Moritz Käßmeyer (Musikalische Mesalliancen), Keldorfer (Accelerationen für Männerchor und Orchester: »Zeit ist Geld«) Emil Kühns (Tonbilder: Fledermaus für Klavier und Violine), Fritz Lange (L'Enfantillage), Louis Rée (Frühlingsstimmen für zwei Klaviere), Josef Schlar (Kinderstücke aus Pázmán), Schütt (zwei Hefte Paraphrasen, Kaiserwalzer-Capriccio), Schulz-Euler (Donauwalzer als Konzertstück), J. B. Wekerlin (Donauwalzer), Stefanie Wurmbrand-Vrabély (Geschichten aus dem Wienerwald). Zu diesen vorwiegend für Klavier gedachten Bearbeitungen kommen noch Orchesterstücke. So hat Robert Fuchs in seiner Serenade op. 55 (zum Strauß-Jubiläum komponiert) zwei Straußische Themen sinnvoll benützt und ähnlich Felix Weingartner im Finale seiner Es-dur-Symphonie und zwar mit Mollveränderung des Polkamotivs (aus der Fledermaus). Hanslick meinte von der Fuchsschen Serenade: »Es ist unglaublich, wie solcher Impfstoff das Blut verbessert«.
Was sonst an Einfallsgut aus Straußens Partituren in die von anderen überging und dort ohne übertriebene Schamgefühle stehen blieb, sei nicht dazugerechnet.