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»In stiller Nacht ist der Mensch in seiner
Einsamkeit mehr als in der Wüste, mehr als
auf der weiten See mit sich selbst allein;
dann schaut er in seine eigene Tiefe.«
Popper-Lynkeus.
Er gehörte zu Wiens populärsten Figuren und durfte sich wie der alte Goethe beklagen, er sehe, zum Überdruß, seinen Kopf auf Pfeifenköpfen und Tassen. Jeder kannte den Johann Strauß.
Er selbst war ein Walzermensch: bezaubernd durch Humor, der nie verletzte, verführend durch Charme und echte Bescheidenheit, als gesellschaftliche Erscheinung der vollendete Weltmann.
Seine Umgangsformen wurden vom musikalischen Geist bestimmt. Er wollte und konnte niemandem Grobes, Mißklingendes sagen, denn er gehörte zu den Naturen, die aus instinktivem Zwang, nicht aus Eitelkeit einen harmonischen Eindruck ihres Wesens zurücklassen möchten.
Und wie fast jeder Schaffende konnte er zuweilen keine Menschen sehen, auch solche nicht, die ihm nahestanden oder sympathisch waren.
Eigentlich stand er wie Richard Wagner – und er gebrauchte sogar den gleichen Ausdruck – immer »in Brunft«. Eine Zigarrentasche, die ihm jemand als Geschenk schickte, wurde Anlaß zu einem Einfall. Der Einfall ist sein Herr, ein unberechenbarer, eifersüchtiger, launenhafter, unzufriedener Herr, der Tag und Nacht, Rast und Vergnügen des Dieners in Anspruch nimmt.
Natürlich, daß ihm der Künstler zu entkommen sucht, zur Kartengesellschaft flüchtet, sich anderweitig beschäftigt stellt, Taubheit und einen freien Tag vorschützt –, der Herr kommt und holt ihn erbarmungslos aus der Gesellschaft. Kann ein Künstler wie ein Buchhalter sein? Berechenbar und eingeteilt?
Strauß freute sich kindlich über gelungene Streiche. Jemanden hineinzulegen, beim Kartenspielen einzuseifen –, war ihm höchstes Vergnügen. Die Schelmenfiguren seiner Musik spiegeln diesen Geist, worin er sich mit dem Verdi des Maskenballs (Spottchor, 3. Akt) berührt.
Von Franz von Bayros gibt es ein Akademietableau, Stil der Neunzigerjahre, das Johann Strauß »im Kreise der Seinen« darstellt, eine rauschende Sache mit gestellten Figuren, deren Mittelpunkt »Er« ist. Dies Bild gibt einen falschen Strauß vor. Der würdig am Flügel Thronende verschwand lieber ins Gemütliche, ins sogenannte Kaffeehaus seiner Wohnung, wo es ein ehrliches Paar Wiener Würstel, ein Glas Gumpoldskirchner und nach dem Nachtmahl eine sanft angerauchte Meerschaumspitze gab. Wo man, erlöst von »Kreis« und »Salon«, seine Laune wie einen bunten Vogel flattern und ein pikantes Herrenspäßchen einflechten konnte, dem die Damen mit zugehaltenen Ohren entflohen ...
Hatte der Vater sein Leben auf romantischer Kurve hingeführt, so fand der Sohn den Ausgleich, lebte in drei Ehen einen signorialen Stil.
Es gab nur einen kleinen Kreis, dem er sich öffnete. Zu ihnen gehörte der Bildhauer Viktor Tilgner (1844-1896), ein Urwiener, der aus dem Burgenlande stammte, der alle bedeutenden Schauspieler, alle berühmten Schönheiten Wiens etwas verzierlicht porträtierte, seinen großen Freund Jean sogar viermal. In seiner Wohnung gab es reizende Zusammenkünfte. Wo Tilgner mit seinem aufgezwirbelten Schnurrbart und seiner dicken Nase erschien, entstand eine Altwiener Sphäre und wo eine Altwiener Sphäre war wie bei den Schrammeln in Nußdorf, erschien Tilgner und brachte seinen Freund mit.
Zu ihm kam noch Batka aus Preßburg, der aus einem gelehrten Kontrapunktiker und einem brennenden Wagnerenthusiasten bestand, dann der gütige Karl Goldmark, der, selbst verkannt, soviel Verständnis für Strauß hatte, dann Leschetitzky, der Pianist, und Ludwig Bösendorfer, ebenfalls Urwienertyp im geschichtlichen gelben Überzieher und Stößer, der sich in bescheidenem Handwerksstolz »Klaviermacher« nannte.
Diesen Kreis schließt Alfred Grünfeld, der zu Johann Strauß gehört wie Michael Vogl zu Schubert. »Meine Walzer sind gar nicht so schön, wie du sie spielst«, pflegte der überbescheidene Meister ihn zu rühmen. Grünfeld, der Spezialist des Schubertschen Forellenquintettes, durfte auch als Straußischer Spezialist und Apostel gelten. Er entdeckte Josefs Walzerpoesie für das Klavier und hat Johann in Phantasien und Transskriptionen durch die Konzertsäle aller Welt getragen. Sein Walzerspiel war vorbildlich: die melodischen Akzente rein und ungetrübt über einem kristallklaren Baß (der berühmte Grünfeldbaß); kein Pedal, das die geistvolle Grazie des Spielers trübte. Sein bewundertes Meisterstück waren die »Frühlingsstimmen«, die Vision junger Mädchen, die barfüßig auf blühenden Wiesen tanzen. Ein Scherz von Oskar Blumenthal sagt die Wahrheit:
»Mit Flügeln des Gesanges trägt uns der Dichter empor;
Mit dem Gesang des Flügels berauscht deine Kunst das Ohr.«
Hier muß auch ein Mann erwähnt werden, der, außerhalb des Straußkreises stehend, doch dazugehört und dessen Straußverehrung halb rührende, halb groteske Formen annahm: Faster, der Hamburger Dirigent und Komponist. Er wurde der »deutsche Strauß« genannt und hat als Oscar Fétras manch hübschen Walzer (»Mondschein auf der Alster«) geschrieben. Schlank, elegant und zierlich, sah er Johann Strauß zum Verblüffen ähnlich, ja man vermutete, er habe sich aus schwärmender Verehrung ihm ähnlich gemacht. Sein Kult hieß Strauß. Fétras kannte die Werke, nein, jede Note der Werke von Lanner, Alt-Strauß, Johann und Josef. Ein Takt, ihm vorgesungen, genügte; er gab die Jahres- und die Werkzahl an und da Lanner über 200, Alt-Strauß und seine Söhne zusammen über 1000 Werke hinterließen, so leistete sein Gedächtnis Fabelhaftes. Sein Pietätsgefühl trieb ihn nach Wien; eine Pilgerfahrt zu Strauß. Er will das Hirschenhaus, will die Wohnung sehen, worin Johann aufwuchs. Aber er kann sie nicht betreten, denn in den gleichen Räumen übt ein Zahnarzt seine Kunst mit Rad und Zange. Rasch entschlossen bekommt Herr Faster Zahnweh und opfert einen Zahn. So kommt er in die unbetretbare Wohnung, entdeckt dabei eine Fensterscheibe, in die Johann am 4. Juni 1850 seinen Namen ritzte, schneidet sie aus, eilt damit zum Meister, läßt sich die Echtheit bestätigen und kehrt, um ein gläsernes Autogramm reicher, um einen gesunden Zahn ärmer nach Hamburg zurück. Ein Enthusiasmus, der, in seiner Ehrlichkeit selten genug, die volle Straußische Faszination widerspiegelt.
Niemand war so echt bescheiden wie der Liebling der Welt. Die Biographie von Eisenberg, die ihm überreicht wurde, hat er wohl gar nicht aufgeschlagen. Vielleicht, weil es ihm peinlich war, sich vom grausamen Operationsmesser des Biographen bis auf die Eingeweide bloßgelegt zu sehen; gewiß aber, weil er sich selbst nicht für so wichtig und bedeutend hielt wie der Biograph.
Die Baumeister Solneß-Geistigkeit war Strauß ganz fremd. Von seinen Sachen redete er nicht, mochte davon in Gesellschaft auch nicht hören. Es waren Dreivierteltakte; nun ja, die große Kunst lag anderswo. Er ließ sich leicht einen Tadel an einem Werk gefallen; der Vorwurf schlechten Tarockspielens kränkte ihn tief. Auf seinem Gut Schönau bei Leobersdorf befand sich ein kleiner Anbau, worin die Lorbeerkränze und Schleifen hingen: »Die Rumpelkammer meiner Berühmtheit!«
Er hat wie Josef auch ein Maltalent und lernt beim Maler Hlawaczek zeichnen. Es entsteht eine Mappe von lustigen Blättern: Karikaturen von Dienern und Stubenmädchen. Wo er sein Inneres öffnete, sprang der Wiener Humor heraus.
Die starke Lebensfreude hat in der Krankheitsfurcht ihre Schattenseite. Namentlich die Altwiener Angst vor Zugluft und Erkältung beseelt ihn, – immer drohte die »Lungenentzündung« –, Überbleibsel treuherzig unhygienischer Großmutterzeiten. Wenn er vom Klavierspielen kommt, nimmt er einen Schal um; Krankheiten, von denen er hört, bemerkt er plötzlich bei sich selbst. Die Natur kommt ihm als drohende Gewalt, nicht als harmonisch umfangendes All entgegen. Der Künstler, ganz unmetaphysisch gerichtet, scheut triebhaft die Auflösung, ja selbst die Wortabklänge davon. Der Tod ist nicht Erfüllung, nicht der Sinn des Lebens, das neuem Leben weichen muß: der Tod ist Dissonanz. Ganz zuletzt, als Richard Epstein, der Gatte seiner Stieftochter Alice, ihm einmal Bach vorspielt, wird er vom Ewigen berührt und ahnungsvoll gestimmt: »Schöner kanns im Himmel auch nicht sein!«
Alles sank von ihm, wenn er in die Nacht flüchtete. Er dunkelte die Welt ab, gehörte sich. Kein Horcher sollte in die Werkstatt des Geistes blicken. Fremde durften überhaupt bei ihm unvorhergesehen nicht eintreten: es erschreckte ihn und was der Nervenkraft schadete, schadete der Produktion. Robert Fischhof erlauschte als Knabe, der Straußischen Villa benachbart wohnend, die ersten Fledermausklänge. Bei einem Besuch, den er mit seinem Vater bei Strauß machte, spielte er auf Wunsch des Vaters einiges daraus vor –, Strauß war buchstäblich sprachlos. Dann schnauzte er den Malefizbuben an, gab ihm Namen, die nicht im Kalender stehen, und sorgte, daß ihm das Horchen an der Wand verging: er ließ sein Klavier in ein anderes Zimmer stellen.
Er mochte mit Homer denken: »Viel Schlaf ist beschwerlich.« Halb war es Berufsgewohnheit, halb Anlage: bis in die letzten Lebensjahre hatte er ein geringes Schlafbedürfnis und die Sehnsucht nach der summenden Arbeitslampe. Allerdings pflegte er in den Nächten meistens zu instrumentieren; aber bei der überfallsartigen Natur seiner Einfälle war er vor dem Komponieren nicht sicher. Er rauchte dabei, schrieb inzwischen wichtige Briefe, pausierte ein wenig beim Billard. Arbeitete vormittags wieder, bis die bürgerliche Essensstunde kam, machte nachmittags seine Karambolpartie der Bewegung halber, allein oder mit Freunden, wartete auf den Abend, auf die Nacht.
Lieb war ihm dabei ein Mensch, der seine Nachteinsamkeit mit ihm durchatmete: seine Frau Adele. Er wollte allein, aber nicht alleingelassen sein.
Strauß war derart melodisch veranlagt, daß er die schönsten Verse, die Textdichterschweiß erzeugte, nicht behalten konnte. Seine Frau mußte ihn, mit ihrem Gedächtnis dienend, die Texte soufflieren, wenn er sie vorsang. Er wußte nur die Selbstlaute, die Tonkerne der Worte, nicht den Sinn und trug seinen Zuhörern oft das sonderbarste Kauderwelsch vor. Einmal setzte er einen Besucher durch folgende Strophe, die er mit Klavierbegleitung sang, in Verwunderung:
»Wer fort is', bewundert von Stein zu Stein?
Die Hetz schließt mit Hunde, schlüpft Eisen und Bein!«
Der Zuhörer war einigermaßen erstaunt, als er die Übersetzung in den »Urtext« vernahm:
»Was frommt es, bewundert von allen zu sein?
Das Herz schließt nicht hundert, schließt einen nur ein!«
Wenn Strauß sich am Fenster seines Palais in der Igelgasse zeigte, entstand auf der Straße ein Menschenauflauf. Seine Popularität kannte keine Grenzen. Und doch war er – wie jeder Schöpferische – nie mit sich zufrieden. Von der Umwelt »stets bewundert und immer verkannt.«