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Freut euch des Lebens ...!

Ein Jahr nach dem Donauwalzer (1868) schrieb Strauß die »Geschichten aus dem Wienerwald«, ein Gegenbild zum Donauwalzer: die Lobpreisung der Wiener Erde. Das Stück wurde bei einem Fest des Fürsten Hohenlohe im Augarten zum erstenmal aufgeführt; als es Strauß 1872 in Baden-Baden dirigierte, konnte sich der alte Kaiser Wilhelm daran nicht satt hören. Doch war es weder Zufall noch persönliche Vorliebe.

Die »Geschichten« sind Catullismus im Dreivierteltakt. Sehnsuchtston eines städtischen Künstlers, der sein Sirmio sucht. Wien war das große »graue Steinmeer« geworden, das die Natur weit und weiter von sich drängte, der Wald ein verlorenes Paradies, das Ziel unzähliger Sentimentalitäten. Die »Geschichten« fallen in die Zeit des jungen Rosegger, des steirischen Rousseau, dessen Almg'schichten Deutschlands und Österreichs Städter mit Entzücken verschlangen und denen die Anzengruberschen Bauernkomödien folgten.

Die Einleitung ist Beschreibung. Pastorale Wirklichkeiten werden erzählt, die Dorfidylle wird gepriesen, das Linzer Ländlertum klingt nach, man kann an Waldmüller und sein Scherzendes Paar im Gebirge denken. Aber hiermit hört das naiv Deskriptive auf: nach dieser Einleitung werden keine »Geschichten« mehr erzählt –, mit dem ersten Walzer gelangen wir in seelische Sphären, hören die Geschichte einer Wonne. Ältere Bewunderer glaubten aus dem ersten Walzer ein »Flüstern und Kosen« zu hören: allein es flüstert weder noch kost es; weder rauschen die Wipfel Eichendorffs noch perlt Liszts Waldesrauschen. Der Walzer ist nicht die Landschaft, sondern deren Echo. Streng genommen ist die Landschaft ja starr; ewig anders, immer berückend der Künstler, aus dem sie als Stimme widerhallt. Eine zweite Empfindung noch bricht durch, ein Glückstrom rauscht durch das Herz des Einsamen, den dieser Wald aufnahm, daher ein zweites Motiv und wie sich im ersten Satz der Pastorale die befreite Brust in tiefen Atemzügen hebt, so erscheint hier als wonniges Behagen und Gelöstsein der Straußische Orgiasmus.

Kompositionstechnisch übertreffen die »Geschichten« die Blaue Donau, denn der Donauwalzer ist einmotivig gegliedert, während hier zwei Motive einander sowohl in der dachförmigen Linienführung wie in der rhythmischen Zeichnung, in Zwei- und Einstimmigkeit kontrastieren. Der erste Walzerteil gehört, vierundvierzig Takte umfassend, neben Bachs Aria, dem Largo von Händel, Schuberts Ave Maria, Wagners Winterstürmen, dem Thema der Siebenten Brucknerischen Symphonie zu den größten melodischen Längenmaßen der Tonkunst. Er zeigt die Fortentwicklung des Meisters in die melodische Endlosigkeit hinein. Auch den »Geschichten« wurden Texte unterlegt; aber die allessagende Musik triumphiert des ledernen Worts und sängen auch Koloratursängerinnen die kultivierten Verse Hans Müllers.

Vor den »Geschichten« steht das »Künstlerleben«, ihnen folgt 1869 abermals ein Chorwalzer: »Wein, Weib und Gesang«, Johann Herbeck gewidmet, der die Schöpfung am 2. Februar mit dem Wiener Männergesangverein im Dianasaal aufführt. In diese Zeit der anakreontischen Rufe des Künstlers gehört vor allem noch »Freut euch des Lebens!« (Werk 340), typisch auch darin, daß er anfangs wenig Widerhall fand und erst später durch einen ziemlich Lerchenfelderischen, keineswegs Goetheschen Text beliebt wurde.

Aus dem großen Füllhorn fielen noch Polken wie »Leichtes Blut«, die »Sängerlust« (abermals dem Männergesangverein gewidmet), »Ein Herz ein Sinn« und die den Ungarn gewidmete Schnellpolka »Eljen a magyar«, die Strauß beim Pester Nationalfest unter wahrem Nationaljubel aufführte.

Einige Jahre zuvor war das »Perpetuum mobile« (Werk 257) entstanden, ein musikalischer Schabernack, worin der Humorist Strauß eine Polka ohne Ende in flimmernder Instrumentation – Piccoli und Fagotte, Glöckchen und Kontrabässe – um sich selbst kreisen läßt, ein Merkbild nie endender Tanzlust.

Das Jahr 1870 bildet einen Drehpunkt im Leben des Künstlers. Am 23. Februar stirbt seine Mutter Anna. Die ganze Stadt trug mit an seinem Verlust und wie bei Trauerfällen im kaiserlichen Haus wurde ein Ball – der Studentenball – am Todestag abgesagt. Frau Strauß, im gleichen Jahr wie Lanner geboren (1801), überlebte ihren Mann, seine Zeit und vererbte ihrem Erstgeborenen, dessen Aufstieg sie miterlebte, den körperlichen und geistigen Gesichtsschnitt. Wenn man zu sagen pflegt, mit dem Tod seiner Mutter sei ein Mensch erst allein, so ist dies mehrfach wahr bei Johann Strauß. Er soll ihrem Leichenbegängnis ferngeblieben sein, er verwand in diesem Fall erst recht nicht seine Scheu vor metaphysischen Dingen und so unberührbar von allen Vorgängen des äußeren Lebens sein musikalisches Innenleben blieb – ein kleines Weltsystem für sich –, so scheint doch das Verstummen in diesem Fall die Tiefe des Erlebnisses anzudeuten. Seine letzten Walzergaben sind am 15. Januar »Freut euch des Lebens!« und am 18. Februar »Neu-Wien«. Die Reihe bricht ab, das Füllhorn bleibt leer.

Freilich hängt dies auch mit einer anderen Wende zusammen. Mit jenen Walzern hört der eigentliche Walzerkomponist Johann Strauß auf. Schon beginnt der Operettenkomponist, der neue Johann Strauß, der die Heiterkeit seiner Gesellschaft durch die Bühne spiegelte, der Wiens Rang als Operettenstadt begründen sollte.

Er schreibt Tanzmusik nicht mehr reihenweise wie früher, sondern in Rast und bei Gelegenheit: den Adelenwalzer (Werk 424), das Wiener Blut (Werk 354) oder die Gruppe der Alterswalzer: Kaiserwalzer (Werk 437), Groß-Wien (Werk 440) und den Brahms gewidmeten Walzer »Seid umschlungen, Millionen!« (Werk 443).

Ergeben die ersten drei Jahrzehnte seines Schaffens (von 1844 bis etwa 1872) fast dreieinhalbhundert Werke, so das letzte Vierteljahrhundert (1872 bis 1899) nur einhundertsiebenunddreißig. Doch gilt hier nicht Zahl als Maß, die Schaffenskraft ermattet nicht, wächst vielmehr an, denn Strauß schreibt sechzehn Operettenpartituren und gibt deren Tanzstücke einzeln heraus, als erstes die Shawl-Polka aus Indigo.

Mit den Operetten wächst er äußerlich über die vom Vater überkommene Form, sozusagen die Hausform der Strauße, hinaus. Alt-Strauß hat kein Bühnenwerk geschrieben, Lanner sich nur vorübergehend dem Theater genähert –, Strauß der Jüngere gibt der rhythmischen Verführung weitere Möglichkeiten und durch die Magie der Bühne sinnlich erhöhte Eindruckskraft.


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