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»Mich beim Dirigiren wiegen,
Mit dem Fiedelbogen fliegen,
Alles dieses gern tät i,
Rutschte freudig hin und her,
Wenn ich nicht der schöne Edi,
Wenn ich Bruder Johann wär ...«
Anonymes Spottgedicht auf Eduard Strauß, als nicht er, sondern Johann zum Dirigieren in der Pariser Weltausstellung eingeladen wurde (1867).
Auch den dritten Bruder, Eduard, gewann Johann für die Kapelle; auch er mußte der Straußischen Linie folgen. Obwohl er immer abseits stand und sich gern als Außenseiter bekannte.
»Ich zog meine bereits angemeldete Candidatur bezüglich der Aufnahme in die Orientalische Academie, um die man sich schon zwei Jahre vor dem Abschlusse der Gymnasialstudien zu bewerben hatte, zurück. Es geschah nicht ganz leichten Herzens; ich war, meiner Wünsche eingedenk, fleißig gewesen und, obgleich man in den Fünfzigerjahren, nach Einführung des Graf Leo Thun'schen Gymnasial-Lehrplanes in der Analyse der Classiker sehr pedantisch vorging, las ich doch meinen Cicero überaus gerne, und hatte mich in Latein und Griechisch vervollkommnet, ohne nebenbei die anderen romanischen Sprachen: Französisch, Italienisch und Spanisch in irgend einer Weise zu vernachlässigen ...«
So erzählt Eduard selbst in seinen »Erinnerungen«, nicht ohne die Bildung zu betonen, die er für den Beruf des Konsularbeamten sammelte.
Als er sich für die Kapelle entschieden hatte, studierte er bei Gottfried Preyer und Simon Sechter, dem Lehrer Bruckners, Theorie; bei Amon Violine und – auf Anraten Johanns – Harfe bei Parish-Alvars und Zamara. Danach spielte er in Johanns Kapelle und trat am 5. Februar 1859 zum erstenmal als Dirigent im Wintergarten des Dianasaals auf. Es war ein Monsterball, ein dreifacher Ball: an einem Abend 14 Walzer, 10 Quadrillen, 9 Polka françaises, 8 Polka Mazurka, im ganzen 50 Tänze unter dem Motto: »Karnevals Perpetuum mobile oder Tanz und kein Ende.« Drei Orchester spielten, jedes von einem anderen Bruder geleitet; bei der Monster-Quadrille spielte jedes eine andere Tour; beim Finale auf ein Zeichen Johanns alle drei zusammen!
Bis 1870 leitet Eduard in Gemeinschaft mit Josef die Kapelle und entlastet Johann. Dann stand er bis in sein spätes Alter allein an der Spitze des Orchesters und trug den Namen Strauß ehrenhaft durch zwei Erdteile, in Deutschland viel häufiger Reisegast als im heimatlichen Österreich, das in seiner letzten Zeit lieber ins Tingeltangel ging ... In Eduards Händen ruhte die Strauß-Überlieferung. Johann dirigierte ihm die Walzer vor und zwar mit dem ausdrücklichen Verbot eines zu schnellen Zeitmaßes, weshalb Eduard den echten Strauß spielte, zum Unterschied von den zahlreichen Militärkapellmeistern, die ihn schablonisierten und für den Massenkonsum anmutslos abwerkelten.
Eduard besaß den Zauber des vibrierenden Vorgeigers wie sein Bruder, mochte er auch bisweilen »Feschität« markieren und die Königin Viktoria von England erinnerte sich bei seinem Anblick des genialen Vaters, der zu ihrer Hochzeit spielte. Ergreifend ist die Entschlußfestigkeit, mit der der alte Mann, dessen mühsam erspartes Vermögen von der Familie verschleudert wurde, von neuem auf die Wanderschaft geht, um neues Vermögen für die Greisenjahre zu erwerben. Bis er zuletzt, 1901, das weltberühmte Orchester Strauß auflöst – – –
Aber, was den anderen Brüdern gegeben war, blieb ihm versagt: die schöpferische Macht. Seine Werke sind zumeist Straußische Phrase. Zieht man von Johann das Genie ab, so kommt Eduard heraus.
Dennoch komponierte er fort, nicht gehemmt durch vergleichende Bedenken. Die Namen aller drei Brüder findet man auf den Titeln einiger Kompositionen vereint, so auf dem Trifolienwalzer und der Schützenquadrille, während Johann und Josef zusammen die Pizzikatopolka, den Vaterländischen Marsch, die Monstre-Quadrille und die Quadrille »Hinter den Kulissen« schrieben.
Eduards bestes Werk sind seine (1906 erschienene) »Erinnerungen«. Ein Ton von Streitlust und zwar nicht von großanpackender liegt über dem Buch, als gebe es in seiner Seele geheime Verwundbarkeiten, die an jedem Gegenstand zu bluten, und Verbitterungen, die bei jedem Anlaß zu greinen begännen. Johann hätte das Buch gewiß humorvoller und harmloser, Josef es weicher und tiefer geschrieben und keiner von beiden hätte dem Dritten kleine Stöße unter dem Tisch gegeben, wie es Eduard mit Johanns Menschlichkeiten macht. Wenn Eduards schrullige Vorliebe die Katakomben von St. Stephan, die Pestgruben und Leichname aufsucht, so darf sie sich nicht über Johanns Abneigung gegen die Verwesungssphäre lustig machen: Johann flüchtete zu lichten, lachenden Vorstellungen, weil sie seine Produktion steigerten. Und Sache des Künstlers bleibt es, alles zu verstehen, sogar an seinem Bruder.
Immer hält von Eduards Buch Unbestimmbares ab: nicht sein Stilgeholper und der Mangel kultivierter Darstellung, sondern vielmehr, was man hinter diesen Mängeln vermutet: der Mangel eines großblickenden Auges, einer stark in sich selbst ruhenden Natur. Er hat viel erlebt und sein Stoff trägt die Erzählung wie ein gutes Textbuch eine schwache Musik. Man hört viel, aber nirgends den Schlag des Künstlerherzens, nirgends geht der Trichter des Gefühls einmal weit auseinander. Eduard ist immer etwas beleidigt. Es gibt Menschen, die an allem leiden: wenn sie einen neuen Hut tragen, so regnet es, und wenn sie traurig sind, scheint die Sonne, und der, den sie nicht ausstehen können, hat Glück. Endlich kommt man darauf: Eduard war einer, der Mozart nicht den Don Giovanni und seinem Bruder nicht die Schöne blaue Donau verzeihen konnte.
In der elfenbeinernen, exotischen Landschaft seines Gesichts brannten aus schwarzen Gruben die Straußischen Augen; seine Promenadekonzerte machten ihn in Wien populär. Jedes Mädel kannte den wohlfrisierten Herrn mit den lichten Handschuhen und mit dem gelben Überzieher, der zwei Seelen umschloß, eine frömmelnde und eine kokette. Ein fröhliches Zerrbild zeigt ihn mit einem Bein auf der Spitze der Rotunde, das andre ausgestreckt über Wien. Manchmal scherzte sein großer Bruder Johann mit Eduards Popularität und bat bei Einkäufen in Geschäften: »Bitte, schicken Sie mir die Sachen nach Haus, ich bin der Bruder von Edi Strauß ...« Die Ironie des Zufalls aber wollte, daß Eduard, dem kein Denkmal erstand, von den Fenstern seiner letzten Wohnung, Reichsratsstraße, gerade auf seines Vaters und Lanners Denkmal im Rathauspark blicken mußte.
Eduard schloß (1869) mit Josef einen Gesellschaftsvertrag, dessen mysteriöser Anhang bestimmte: der Überlebende habe alle Orchesterarrangements des Verstorbenen zu vernichten. Die Noten sollten nicht in fremde Hände fallen, die Namen der beiden Autoren nicht gefälscht werden. Und Eduard Strauß verwirklichte am Ende seines Lebens den grotesken Einfall. Er ließ (1906) das ganze Material der Kapelle Strauß in der Fabrik eines Wiener Ofenfabrikanten – es waren Wagenladungen von Musikalien – verbrennen: er verbrannte damit ein Stück Geschichte Wiens, beraubte seine Vaterstadt um unersetzliche musikalische Schätze und es entschuldigt ihn nicht, daß er es unter mancherlei Seelenbewegung tat.
So schied Eduard, 81jährig, mit einer Schrulle aus dem Leben. Und Schrulle war es, daß er zuletzt bei einem Festspiel zu Ehren seines Bruders das Auftreten von Schauspielern in der Maske seiner Eltern verbot: eine Angst vor Profanation, die nur Mitglieder des Kaiserhauses für sich beanspruchten ...
Er war ein vortrefflicher, bis ins Nervöse genauer Orchestererzieher und darin echter Strauß. Aber dem sauertöpfischen Mann fehlte Straußischer Humor und sein heimliches Leiden hieß: Johann. Das frohe Herz, das in jedem Walzer Johanns sang, besaß er nicht.