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Cagliostro

Das nächste Bühnenwerk hieß: Cagliostro in Wien. Vielleicht dachte Strauß, aus Italien zurückkehrend, an eine frohe welsche Figur, einen Schalk, wie er ihm selbst im Blut saß. Auf einem Gesellschaftsabend kurz nach der Fledermaus wurde wieder der Gedanke laut, die delikate Wiener Note seiner Begabung für einen Altwiener Stoff zu nützen. Schließlich wurde Camillo Walzel, Genées Mitarbeiter – ihn hatte Offenbach mit der deutschen Bearbeitung der Schönen Helena betraut – damit beauftragt, auf einen Gedanken zu kommen ...

So ging er denn mit Genée daran und richtig fanden sie das Nötige: Cagliostros Abenteuerlichkeiten in Wien. Sie durchforschten die Archive und Bibliotheken und es entstand eine sehr artige Sache, eine intrigenerzählende Operette mit historischer Hauptfigur und offen bekanntem Lokalpatriotismus.

Die Aufführung fand am 27. Februar 1875 im Theater an der Wien statt und war das dritte Ereignis, das in die beiden großen Sensationen dieser Tage fiel. Die eine davon hieß Richard Wagner. Der Meister führte im Musikvereinssaal zum erstenmal den Kaisermarsch und Bruchstücke aus der Götterdämmerung auf, ein Konzert, das das musikalische Wien begeisterte, soweit es jung, und erschreckte, soweit es alt war. Von Lorbeerkränzen fast verdeckt, stand Richard Wagner am Pult, Fanatismus und Hohn lagen einander seinetwegen in den Haaren. Aus der Samstagprobe stahlen sich viele zur Cagliostro-Aufführung, um »aufzuatmen in Wiener Luft«.

Das zweite Ereignis war der Prozeß Ofenheim, der einen vollen Monat lang die Nerven Wiens beschäftigte und der an diesem Tag zu Ende ging. Auf den Straßen schrieen die Leute einander das Ergebnis zu, rissen die Türen der Kaffeehäuser auf, um es hineinzurufen. Es handelte sich um einen Typ der Zeit, um einen Vertreter der Gründermoral, dessen Prinzip lautete: »Mit Sittensprüchlein baut man keine Eisenbahnen«. Der liberale Kapitalismus, der dieses Motto verstand, sprach den Mann frei, dessen Lemberg-Czernowitzer Bahn ebenso schleuderhaft wie gewinnbringend gebaut war, und das Ofenheimfieber zittert noch in den Berichten über die Aufführung des Cagliostro nach, dessen Hauptfigur ein Schwindler aus dem alten Wien war ...

Ungefähr dieselbe Gesellschaft, die eben noch im düsteren Gerichtssaal saß und dem Wahrspruch der Geschworenen entgegenzitterte – tua res agitur –, saß nun im Theater und ließ sich von Strauß unterhalten und entführen.

*

Auf der Türkenschanze feiert das Rokoko-Wien den 100. Jahrestag der Türkenbelagerung und des Entsatzes der Stadt (1683). Große Stimmung: Festessen, Festtrinken in Buden und Buschenschenken, Lied auf die Tapferkeit der Vorfahren. In dieser Wein- und Gugelhupfwelt tritt der Graf Cagliostro, der die stets naiven Wiener blufft: er habe dem seligen Gutenberg den Gedanken der Buchdruckerkunst beigebracht, habe an dem Mahl teilgenommen, wo das berühmte Ei des Kolumbus verzehrt wurde, habe mit Luther, ja mit Vater Noah verkehrt und dergleichen Tollheiten mehr, die ihm das Gegenspiel – Graf Fodor und Baron Lieven – übelnehmen, zwei Offiziere, bei denen auch die ewige Liebe eine Rolle spielt. Im zweiten Akt steht Cagliostro als Witwenverjünger und Goldmacher samt seinen Helfershelfern, der Lorenza Feliciani und seinem Diener Blasoni – im Laboratorium. Im dritten suchen die guten Wiener, denen inzwischen ein Licht aufgegangen ist, den Zauberer einzufangen, werden aber von ihm so lange an der Nase herumgeführt, bis er ihnen entwischt; auch sie hängen keinen, bevor sie ihn haben.

Der Text, amüsant und geschickt, gab Strauß freilich nicht Anlaß, das romantische Individuum im Kampf mit der Gesellschaft zu schildern, gab ihm aber die Möglichkeit, nach Herzenslust wienerisch zu sein und seinen inneren Schelm auszusingen. Das Buch umgeht auch die Gefahr, die in der Figur lag, denn »der Abenteurer im Stil Cagliostros ist ein Schwindler ohne Idee, er lebt auf Kosten der anderen, findet immer die Dummen, die er braucht, ein Ziel, zu geringfügig, um Teilnahme zu erwecken« (Franz Blei: Das Rokoko). Cagliostro erweckte aber Teilnahme, schon durch das zufällige Anklingen an ein großes Zeitereignis – wovon starkes Theater ja immer lebt –, zu einem volkstümlichen Stück fand sich der volkstümliche Musiker und die »Pilgerschaft nach dem Theater an der Wien und seinem Cagliostro« nahm kein Ende, obwohl Richard Wagner sein Konzert am 14. März wiederholte, weshalb Eduard Strauß »in anerkennenswerter Pietät« sein übliches Promenadekonzert verschob, und die Stadt einem vierten Ereignis ausgeliefert wurde: im Stadttheater gastierte Friederike Goßmann als Grille ...

Bei der Aufführung mußte der Walzer zwischen der verjüngten Witwe und dem Spitzbuben Blasoni (Girardi) dreimal gesungen werden, das Publikum zeigte Lust, ihn noch ein viertes Mal zu hören, und es schien, als wollten sich beim zweiten und drittenmal »das ganze Parkett und die Logen erheben, als wollten die Galerien herabsteigen und alt und jung und reich und arm sich umschlingen und im Kreis herumdrehen, und es fehlte nicht viel, die Szene auf der Bühne hätte im Saal lebendige Nachahmung gefunden ...« (Neues Wiener Tagblatt.) Johann Strauß verstand sich auf soziale Versöhnung: sein Walzer hob die Unterschiede zwischen Aktionären und Ausgebeuteten, zwischen Schwindlern und Beschwindelten auf und alles versank im dionysischen Rausch von:

Noten

Zu gleicher Zeit mit Cagliostro entzückte die reizende Toni Link als Lecocqs Angot im Carltheater. Im März 1875 inszenierte Herbeck Goldmarks Königin von Saba – das glühende Kolorit der Aufmachung spiegelt den Wiener Makartismus wieder – in der Komischen Oper, die Heinrich Bohrmann leitet, gastiert die Patti als Lucia. Und die Josefine Gallmeyer verschleudert in einer freiwilligen Versteigerung, zu der sie genötigt war, ihre Habseligkeiten.

Ein Theaterereignis, das wir erwähnen, weil die Figur der Gallmeyer für das Wiener Jahrzehnt 1870–1880 und sein Ausleben der Sinnlichkeit repräsentativ bleibt.

In dieser seiner babylonischen Glanzepoche, wo Österreich noch Macht genug ist, eine eigene Nordpolexpedition auszurüsten, entstehen, halb noch im Geheimen, die Symphonien Anton Bruckners – die Romantische Symphonie fällt gerade zwischen Cagliostro und Methusalem – und hier kommt die andere, zu spät erkannte Seite der österreichischen Volkskraft zum Vorschein.

Vom Grafen Sandor, dem Vater der Pauline Metternich, einem Wiener Gesellschaftstyp, wird erzählt, er habe den Wagen einer Freundin durch einen Griff ins Rad am Abfahren verhindert und aller Anstrengungen der Pferde gespottet. Eine Episode, sinnbildlich für die Selbstvergeudung Österreichs: eine herkulische Kraft, verschwendet an spielerische Dinge. Noch fehlt der Balzac, der dieser großen Rauschzeit Geschichte schrieb, rings um Figuren wie den jungen Hugo Wolf, den diese Atmosphäre mit ihrer Wiener Unhygiene früh vergiftet, und um Johann Strauß, der ihre feinste Floreszenz und Triumphgestalt ist.


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