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Lily

»Wie Mancher glaubt, er sitze schon
Recht mitten auf dem Venus-Thron,
Da er sich doch zum Spott und Hohn
Selbst aufgesetzt die Schellen-Kron.«

Kurz-Bernardon.

 

In der Nacht vom 8. auf den 9. April 1878 wurde Frau Henriette Strauß-Treffz durch einen Schlaganfall dahingerafft. Sie starb an der Erregung, die der Brief eines ungeratenen Sohnes hervorrief.

Weniger als andere Menschen ertrug Strauß das Alleingelassenwerden; mehr als andere schmachtet er nach Zärtlichkeiten. Nach einem Streit mit Alexander Girardi schrieb er diesem die Bitte: »Sei mir gut und lobe mich!«

Sein kindhaftes Verlangen nach Gehätscheltsein griff nun ins Leere. Er mied die Wohnung in Hietzing, zog nicht in sein neues Palais, das nach Jettys Angaben gebaut war, sondern flüchtete auf neutralen Boden, ins Hotel Viktoria.

Jetty war der Glücksfall seines Lebens gewesen. Mehr als ein halbes Menschenalter mit ihr verbunden, lernte er von ihr zwei Dinge: sich selbst schätzen und seine Begabung nützen, soweit sich diese Dinge eben lernen lassen. Jetty übte sie für ihn: er brauchte nur das Talent zu haben.

Nun fiel er in Freudlosigkeiten, verglomm im Entschlußlosen, sah sich umringt von praktischen Nöten und Forderungen; Dinge, die er nie bedacht, verlangten ihre Ordnung und mit der Isolierung wuchs der Wert des Verlorenen.

Um diese Zeit machte ihn der Kapellmeister Proch mit einem Fräulein Angelika Diettrich bekannt. Sie gehörte der Bühne an, soll in Linz gesungen haben, wollte bei Proch in Wien weiterstudieren und ihre Stimme von Strauß prüfen lassen. Angelika oder, wie sie sich nannte, Lily stammte aus Köln am Rhein.

Quelle: de.wikipedia.org

Angelika (Lili) Dittrich.
Quelle: de.wikipedia.org

Im jähen Umschlag des Gefühls verlangt Strauß, der eben noch Jetty beweinte, nach ihr, ihrer gefahrvollen Anmut, ihrem nixengoldenen Madonnenhaar. Er vermählte sich mit Lily schon wenige Monate nach Jettys Tod, zog mit ihr ins Palais der Igelgasse, wohnte mit ihr auf dem Landgut in Schönau, einer Insel der Seligen in Niederösterreich, wohin er sich im Sommer entrückte.

Wenn er mit Lily durch die Straßen Wiens ging, drehten sich die Leute nach einer Melusine um, deren Zöpfe bis an die Knöchel fielen und die am Arm eines älteren Herrn ging.

Johann Strauß war 53. Männer sollen so jung werden, als das Weib ist, das sie erobern können, sagt Goethe, aber er schloß dennoch keine Spätheirat. Das Erobern mag Jugend geben, das Besitzen erfordert sie. Und Strauß konnte der Vater seiner Suleika sein.

Die junge Frau fühlt sich bald als leeres Prunkstück eines Mannes, der sie dennoch nicht entbehren kann, und geht, von Liebesgefühlen für ihn nicht überanstrengt, durch Überlegungen nicht gehemmt, den Weg der Untreue.

Der Immer-Siegreiche muß alle Ohnmachten des Besiegten dulden. Der Frauenvergötterte, der Liebling einer Welt, geringgeschätzt von einem Weib! Von einem, das er selbst erhöhte, mit seinem Namen schmückte!

Zum erstenmal erfuhr er's. Zum erstenmal ließ ihn jemand seine Runzeln, seine Jahre fühlen. Die Frau an seiner Seite wußte nichts vom frohen Ticken seiner Pulse, seiner künstlerischen Flugkraft, die ihn einer neuen Jugend, neuen Morgenröten zuriß. Zuletzt erlebte er noch schmerzlich die ironische Tatsache, daß Lily mit Franz Steiner, seinem Freund und Direktor, durchbrannte. Das Beste, was geschehen konnte.

Fünf Jahre dauerte diese Hölle, in der sich seine erste Ehe mit tragisch verkehrten Rollen wiederholte. Später ging Lily nach Berlin – sie führte dort ein photographisches Atelier – und als Strauß seine dritte Ehe schließen wollte, war sie es, die sich widersetzte, sich als die »Gattin« fühlte und in weiblicher Hysterie den Mann verfolgte, dem sie entlaufen war. Sie umstrich in eifernder Wallung den Park von Schönau, als sei sie die »Verstoßene«, bis ein Rechtsanwalt erschien und sie, zu den Tatsachen zurückgeführt, sich fügen mußte. Sie starb (1919 in Ungarn) vergessen, einen einsamen Tod und vermachte Erinnerungsgegenstände dem Strauß-Museum der Stadt Wien. In ihrem Alter erwachte versöhnend das Bewußtsein, einem bedeutenden Mann gehört zu haben.

Die Lily-Episode ist eine der wenigen tragischen Verdunklungen dieses Lebens, eine Niederlage des erotischen Siegers und verdient Erwähnung deshalb, weil an ihrem Anfang ein versagendes, an ihrem Ende ein vollendetes Werk steht, worin der Künstler sich wiederfindet.


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