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Für den 10. Februar 1871 kündigte das Theater an der Wien »unter persönlicher Leitung des Kompositeurs« eine komische Operette in 3 Akten: »Indigo und die vierzig Räuber« an, Musik von Johann Strauß. Nicht Walzer, Polka, Quadrille – eine Operette von Strauß.
Sensationslust stürmt die Kassen. Entfesselte Börseninstinkte beginnen einen Kartenhandel. Ins ausverkaufte Haus, die Geburtsstätte des Fidelio, drängten Wiens Musiker, Schriftsteller, Schauspieler, Zeitungsleute und Dabeiseinmüsser. Die Direktion Geistinger und Steiner, dem angenehmen Zwang gehorchend, ein Heidengeld zu verdienen, errichtete Notsitze und Notlogen. Der Direktor der k. k. Hofoper Johann Herbeck thronte auf einem Verlegenheitsplatz im Orchester.
Der Erreger dieser Nöte, Johann Strauß, erscheint, sieht so schwarz und teuflisch aus wie immer, hat sich durch das Operettenschreiben gar nicht verändert, hebt den Taktstock wie im Tanzsaal, flammt Befehle mit den Augen – alles dies und allgemeine Beliebtheit gibt Grund zu einem wahren Beifallssturm.
Seit Jahren schon beunruhigten Gerüchte die Stadt, Strauß arbeite an einer Operette. Er dachte nicht daran; hielt sein Talent für ungeeignet; gute Freunde wußten es besser: vielleicht kam er den Gerüchten durch Taten nach. Ein anderer Antrieb ging von seiner Frau aus. Jetty kam vom Theater her und dachte von seinem Talent unbescheidener als er selbst. Mit dem Raffinement der liebenden Frau geht sie zu Werk und gibt ihrem Stolz auf den Mann die Form einer – List. Sie zieht heimlich Tonstücke aus seinem Pult, gibt sie dem Direktor des Theaters an der Wien Maximilian Steiner und dieser läßt vom Hausdichter des Theaters Texte unterlegen und die Stücke probeartig aufführen. Strauß wird ins Theater geladen, hört zu seiner Überraschung seine Musik von der Bühne und findet, die Sache mache sich ganz gut. Vielleicht doch ...?
1864 war Jacques Offenbach in Wien. Als er einmal mit Strauß beim Goldenen Lamm in der Taborstraße plauderte, sagte er unversehens: »Sie sollten Operetten schreiben! Sie haben das Zeug dazu!« Vielleicht entfuhr ihm das Wort nur zufällig; aber es war einmal gesprochen und Worte haben Macht. »Sie sollten Operetten schreiben« – es wirkte in Strauß hinein, als habe er mit Walzern nicht genug getan, sei seinem Talent noch höhere Formen schuldig. Und so wurde Offenbach ahnungslos der Urheber der Wiener Operette, die seine eigene verdrängen sollte.
Von allen Seiten rief es: Operette! Operette! Das verführte zu Mut und Entschluß. Wenn alle an uns glauben, fangen wir schließlich selbst damit an. Offenbach beherrschte drei Wiener Bühnen, der Kapellmeister Suppé war sein Wiener Nachtreter – alle Suppéschen Noten reichten nicht an einen Straußischen Walzer heran. Und er sollte nicht können, was der Große und der Kleine konnten? Seine Chorwalzer streckten schon einen Fuß auf die Bühne. Nur ein Schritt noch: statt befrackter Herren kostümierte Sänger und es war geschehen! Seine Walzer kamen dem Wiener Kantilenen-Instinkt entgegen: er hatte ja selbst gehört, wie natürlich sie aus Sängermund erklangen.
Strauß drängt nicht zur Bühne wie Offenbach, der mit 26 Jahren unbedingt an die Komische Oper will. Der sich als Cellist durchbeißt, als kleiner Kapellmeister herumstoßen läßt und der sein eigenes Theater gründet, um sich aufzuführen. Der in einem Alter, wo Strauß anfing – mit 46 Jahren –, längst obenan war; der, um einen Wagnerschen Ausdruck zu gebrauchen, aus seiner Not heraus eine eigenartige Form fand. Die Pariser Theaterbehörde erlaubt ihm nicht mehr als vier Personen? Also wird er damit sein Auslangen, damit den Triumph der kleinen Zahl finden, das Publikum mit Vieren kitzeln, als seien es Vierhundert!
Strauß wird gedrängt. Er wuchs nicht als Theaterkapellmeister auf, die Bühne ist nicht sein Urtraum von Jugendtagen her. Wenn das Schicksal will – – vielleicht! Man kann es versuchen.
Und er versucht es, verhandelt schon vor dem Donauwalzer mit Direktor Ascher, der ihm (7. Oktober 1866) mitteilt, Anton Langer, der Volksschriftsteller und Schulfreund Johanns, sei bereit, ihm ein Buch zu liefern. Anton Langer (gest. 1879), der Bäuerle des Nachmärz, war ein Lebenskünstler und kaninchenhaft fruchtbar; er schrieb bühnenkräftige Possen (»Ein Wort an den Minister«, »Die Vereinsschwester«, »Zwei Mann von Heß«, später »Strauß und Lanner«); er übersetzte u. a. Lecocqs Angot und wäre der geeignete Mann für Johann Strauß gewesen. Es blieb beim Bereitsein.
Der nächste Versuch heißt »Romulus«, von dem Strauß allerdings nur einen Akt vollendet ...
Endlich macht das Schicksal Ernst. Josef Braun, der Textdichter Suppés, bringt ein Libretto zustande: »Die lustigen Weiber von Wien« und wirklich –, Strauß komponiert sie. Er verpflichtet sich dem Theater an der Wien, übergibt ihm die Partitur – und sieht sie nie wieder. Die Gallmeyer, Primadonna an der Wien, übersiedelte zu Carl Treumann ins Carltheater, der Weihrauch war ihr zu Kopf gestiegen: ohne Primadonna keine Operette, die Lustigen Weiber verschwanden in ein Archiv, von dessen Grund kein Taucher sie bis heute holte, und selbst ein ruhmbestrahlter Komponist wie Johann Strauß muß seine erste Bühnenerfahrung machen: daß es beim Theater immer anders kommt. Aus dem Libretto machte Braun später einen Roman.
Direktor Steiner ließ nicht locker. Offenbach, der Tyrann der Direktoren, wurde ihm irgendwie unbequem, er ließ das Original in seiner Pracht dahinfahren und setzte seine Hoffnungen auf Johann Strauß. Womit er – aus geschäftlichen Gründen – den neuen Operettentyp, die Wiener Marke ins Leben rief.
Er besaß ein gutes Buch: »Indigo und die vierzig Räuber«. Zwar sind mehrere Schriftsteller Wiens dessen Väter und der Theaterwitz nennt sie die vierzig Räuber der Weltliteratur; doch Steiner zeichnet verantwortlich, nimmt alle Schuld vor der fernen Nachwelt auf seinen Namen und so kommt Strauß zu seiner ersten Operette. »König Indigo und seine Oberpriester glichen schlechten Kopien von Offenbachs König Bobêche und Kalchas und der ganze orientalische Zauber war von Lerchenfelderischem Idiom stark durchsetzt. Die dilettantische Mache schrie zum Himmel: die Taten der agierenden Strohpuppen berührten nicht den naivsten Theaterbesucher ...« (Fritz Lange.)
Maximilian Steiner wurde von einem ganz richtigen Instinkt geleitet: in Wien, wo Humor und Musik zu Hause war, auf dem witzgebeizten Boden, dem die großen Hanswurste des achtzehnten Jahrhunderts Stranitzky und Prehauser und die volkstümlichen Parodisten Meisl und Nestroy entwuchsen; hier waren alle Bedingungen für eine Operette vereint, die aus dem Geist der Wiener Musik hervorsprang, ein originales, volksblütiges Gewächs, das den Pariser Import überflüssig machte, ja überbot.
Aber wie alles in Österreich halb geschah, so auch dies: man machte nicht daraus die Operette des Wiener Bodens, die Parodie des Wiener Lebens, sondern ließ es bei der alten Selbstglorifizierung bewenden und sparte, wie gewöhnlich, am unrichtigen Ort: bei den Librettisten. Halévy und Meilhac kannten die Persönlichkeit und Absichten Offenbachs ganz genau und die Instinkte aller drei waren aufeinander eingespielt wie bei einer Börsenoperation. Von den Buchmachern, die für Strauß arbeiteten, kann dies nicht einmal die weitestgehende Höflichkeit behaupten. Und dieser Vorgang bleibt typisch für das Straußische Operettenschaffen, mit wenigen Ausnahmen.
Man wurde nicht einmal über den Titel einig, die Sache hieß nacheinander: Indigo, Fantaska, Die 40 Räuber, Ali Baba und abermals Indigo. Aber Steiner verrechnete sich nicht. Die Hauptprobe verlief verheißungsvoll, er rieb sich die Hände und der einzige Zweifler war der Komponist selbst. Am Tag der Uraufführung fährt er mit einem Freund durch die Stadt – plötzlich fällt er bleich und nervös in die Wagenpolster zurück: er hatte auf den Anschlagsäulen die Theater-Plakate und das Riesenwort »Indigo« wie eine drohende Anklage gesehen ...
Es wurde ein Sensationserfolg. Und, worauf es Steiner ankam, ein Sieg ohne, ja über Offenbach. Die Hörer erlagen der Straußischen Faszination. Man fühlte sich nicht im Theater – »man glaubte im Volksgarten oder in den Blumensälen zu sein, als in der Ouvertüre der erste Walzer auftauchte; bei der Glanznummer des Abends, bei dem Gesangwalzer ›Ja so singt man, ja so singt man in der Stadt, wo ich geboren‹ brach das ganze Haus in einen Schrei aus«, erzählt der Schriftsteller Wimmer als Ohrenzeuge. Die Menschen in Parkett und Logen gerieten in tanzende Bewegung, die Galerie kam in Ekstase: »Man glaubte, jetzt müsse Strauß dem nächsten Primgeiger die Violine aus der Hand reißen, sie ans Kinn schwingen und wie beim Sperl, beim Zeisig, beim Dommayer, Unger und Schwender zum Tanz aufspielen.«
Marie Geistinger war Fantaska, die erste Fantaska, wie sie erste Marie im »Karneval in Rom«, Rosalinde in der »Fledermaus«, Lorenza Feliciana in »Cagliostro« werden sollte. Sie stammte aus der Provinz (geb. 1833 in Graz, gest. 1903 in Klagenfurt) und wurde nach der Gallmeyer die Wiener Operettenkönigin der Gründerzeit. Sie gehörte zu den funkelnden parodistischen Talenten Wiens, hatte 1865 die »Schöne Helena« im Theater an der Wien gesungen und Offenbach den Eindruck einer Wiener Hortense Schneider hinterlassen. Nun wurde sie die tragende Mitarbeiterin von Johann Strauß wie später Alexander Girardi und gehört wie dieser zur Biographie des Meisters.
Neben ihr standen Künstler auf der Bühne, deren Namen wohllautenden Klang besaßen: Friese (Romadur), Szika (Eseltreiber), Rott (Indigo) und Swoboda (Janio). Das Publikum hörte am Text vorbei – was kümmerte sie Indigo und Fantaska! –, der Zauber ging von den schmissigen, zügigen, hingespritzten Walzern aus: »Wie anmutig kokett sind seine Polken und seine Quadrillen, wie sind sie bequem, gesellig, pikant und geistreich! Sollten aber diese Reize nicht verfangen, so hat der Zauberer noch ein letztes Mittel, das unfehlbar wirkt: seinen Walzer« (Speidel). Dazu kamen noch Stücke wie das Terzett (Akt 1, Nr. 5 »Dort an der blauen Donau möcht ich gehen«), wo Strauß die lokale Note anschlägt, zwei Stimmen ein Wiener Lied singen, wie denn Strauß diese ureigene Note in alle seine Partituren mit Absicht einpflanzte; dann die schöne g-moll-Ballade der Fantaska: »Geschmiedet fest an starre Felsenwand« mit einem reizend schalkhaften G-dur-Schluß und endlich die lyrische Perle des Ganzen, Fantaskas B-dur-Gesang: »In des Harems Heiligtume«, womit der Tondichter mitten im Wust der Operettendinge die edle komische Oper berührt.
Die Kritik zeigt die üblichen Abstufungen von Lob und Tadel. Speidel, einer der wenigen Kulturmenschen auf dem Richterstuhl, ist anerkennend und wittert in Strauß den künftigen Ersatzmann Offenbachs. Eduard Hanslick, der außer Brahms nicht leicht jemanden durch seine Hilfe kompromittierte, ist mürrisch: die Operette dauert ihm zu lang und die Sache gefällt ihm erst einigermaßen, als er sie später in Paris hört. Alles fiel über den Text und die Librettisten her, die ihr sicheres Versteck nicht verließen. Aber alles stellte auch das große Theaterereignis fest: seit der ersten Aufführung der Meistersinger an der neuen Hofoper (Februar 1870) gab es nicht ähnlichen Tumult.
Natürlich suchte man die Musik vor dem Text zu retten. Ernst Dohm, der Herausgeber des Kladderadatsch, verfaßte eine Berliner, Josef Braun eine Wiener Bearbeitung (»Königin Indigo«, 9. Oktober 1877). Jaime und Victor Wilder hielten sich – für Paris – an die Braunsche Fassung mit einer männersüchtigen Königin. Für Paris schrieb Strauß neue Einlagen, gab darin seiner »Schönen Blauen Donau« einen Platz und fand lebhaften Erfolg (1875). »Comme cela est viennois!«
Bei uns ist Indigo verschwunden. An seine Stelle trat »Tausend und eine Nacht« von Stein und Lindau, eine gute Bearbeitung, die dem Komponisten nachträglich das Buch verschaffte, das er bei Lebzeiten gern komponiert hätte. »Tausend und eine Nacht« wurde (im Prater, »Venedig in Wien«) erfolgreich aufgeführt, ein seltener, fast märchenhafter Fall. Denn in der Regel reicht Umarbeitergenie für die Ursünden eines Buchs nicht aus und was der Koch verdarb, kann Kellners Kunst nicht retten.