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Nebeneinander

»Nur ein Kampfplatz ist die Welt.«

Moisasurs Zauberfluch.

 

Vier Tage nach dem Hietzingerabend spielt Johann in Simmering (Lindenbaums Kasino), dann wieder bei Dommayer, worauf sich der Zögernitz in Döbling seines jungen Ruhms versichert. Die Sensationslust der Herren Gastwirte und Saalbesitzer ist nicht rücksichtsvoll: rief sie jahrelang nach Strauß-Vater, so ruft sie jetzt den Nachfolger, klammerte auf den Maueranschlägen das Wörtchen »Sohn« neben dem Familiennamen ein, was entschuldigte und »zog«: Geschäft ist Geschäft.

Jung-Strauß ist überbeschäftigt und wird der Ernährer der Familie. Er erobert die Stadt an allen Ecken, auch aus dem Innern heraus: er zeigt soziales Empfinden, spielt für einen kleinen Schauspieler, macht mit seiner Geige Feuerschäden in Untersievering gut; bald bildet sich Legende um ihn: er habe einer Jugendgeliebten, der Reserl Strüber, die letzten Stunden ihres Daseins vergoldet – kurz, er nimmt die Stadt für sich ein. Was den Durchbruch entschied. Der Wiener liebt die »sympathischen«, die Künstler mit nobler Gebärde, er will »das Herz« dessen sehen, der mit Engelzungen spielt, und gewiß sein, daß er auch der Liebe habe ...

In merkwürdiger Gefühlseinstellung sah der Vater zu: er litt empfindlichen Abbruch, der ihn zugleich stolz machte, sah sich durch das eigene Kind bedroht und geschädigt, das immerhin milder verfuhr als ein fremder Thronräuber. Kurz, Alt-Strauß besaß über Nacht einen berühmten Sohn und mußte sich mit ihm abfinden.

Vielleicht erfüllte der Zwanzigjährige nur die Sendung, die im Blutstropfen lag und die einem zu erfüllen unmöglich war? Wenn der Vater die »Gunstwerber« oder die »Sinngedichte« ansah, sie hätten von ihm selbst sein können; und doch nicht. Es klang darin ein jüngerer Mensch, ein schlanker Ton.

Einmal waren die »Deutschen« von Hummel modern gewesen, J. N. Hummels Walzer mit Trio, das Entzücken der Mariahilfer und Schottenfelder im Apollosaal. Dreißig Jahre Unsterblichkeit! Wie lange dauert Walzer-Unsterblichkeit überhaupt? Da war schon der Junge, der zwar alles nachahmte, mit ausgeborgten Künsten, mit allen Finessen der Vorläufer musizierte – sogar die verschmitzten Geigenvorschläge und die synkopischen Drücker nahm er mit! –, aber alles war von einer Schönheit des Gefühls, die ins Eigene blühte, aus Gegenwart in Fernen, zu unbekannten Walzern hin.

Der war nun Mitregent wie er einmal dem Lanner. Eine neue Macht. Und wie damals Lanner ihm, so mußte man selbst die Hand reichen: ihm, dem Künstler, dem Sohn!

Und Vater Strauß tat es, zur stillen Genugtuung der Mutter, die darin vielleicht den größten Triumph ihres Johann erblickte, aber der junge Strauß trug die Last des Triumphes nicht leicht.

Er gehörte zu den Menschen, die sich in Einklang wissen wollen mit Welt und Leben, die nicht Schatten von Verstimmung hinter sich lassen und aus Mozartischem Trieb heraus vermeiden, was dem Leben Freude nehmen könnte.

Und nun: über einen Vater, über einen solchen Vater siegen! Welche Zumutung des Schicksals! Es schob ihn, den Schüchternen, den Feind brutaler Griffe, den innerlich auf Sauberkeit Bedachten in die Ringerstellung, zwang ihn zu Arenaruhm unter Beifallsdonner hetzender Instinkte. Er wollte geigen und selig sein. Und fortan – nicht nur bei Dommayer – spielt er die Tänze seines Vaters, weil er in ihnen bewunderte, was er in ihm liebte. Es war keine Schauspielergeste, sondern das inständige Verlangen seines Herzens nach Harmonie.

So kommt es zu der musikgeschichtlich merkwürdigen Stunde, wo Vater und Sohn sich zusammensetzen und miteinander aussprechen. Sie räumten einige der Mißverständnisse weg, die der Klatsch gehäuft hatte; sie gingen versöhnt, aber doch nicht Hand in Hand miteinander fort. Alt-Strauß hatte gehofft, seinen Jean für die eigene Kapelle, als natürlichen Vertreter in der Direktion, als Primgeiger und Verbündeten zu gewinnen, womit alle Schwierigkeiten und Mißklänge aus der Welt geschaffen worden wären. Aber zwischen beiden stand – die Mutter.

In der väterlichen Kapelle spielen, war, wie die Dinge standen, Verrat gegen sie, ein Mitwirken nur möglich bei völliger Umgestaltung der Familiendinge. Von der Mutter konnte und durfte Johann sich nicht trennen und zu ihr fand der Vater keinen Weg zurück.

Er bot dem Sohn in jener Unterredung die Hand; Johann nahm sie – die Familienüberlieferung weiß sogar von Versöhnungszigarren, die darin lagen –, aber sie schieden, um fortan als zwei Wettläufer nebeneinander herzulaufen.


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