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»Auf Ehr', für die ernsthafte Zeit
Gibt's noch immer viel gspaßige Leut.«
Nestroy.
Im Jahre 1846 erscheint Fräulein Jenny Lind in Wien und bringt mit ihrer Koloratur als »Vielka« (wie das »Feldlager in Schlesien« auf Befehl der Zensur hieß) einen Lind-Rausch hervor. Meyerbeer dirigierte persönlich, Grillparzer schrieb ein Gedicht auf die Lind und Johann Strauß widmete ihr eine Walzerpartie, »Lind-Gesänge«, deren Titelblatt die anmutige Trillerhexe zeigt. Er soll, da er keine Karte ins überfüllte Theater an der Wien erhielt, einen Geiger am letzten Pult bestochen haben, ihm für diesmal seinen Platz zu überlassen.
Damals war Albert Lortzing zugleich mit Franz von Suppé Kapellmeister am Theater an der Wien und fand wohl Zeit, mit seinem Kollegen Wiens gute Tropfen zu versuchen, denn er hatte während des Meyerbeer-Lind-Rummels, der seinen Direktor Pokorny bereicherte, fast nichts zu tun. Kein Musiker geht heute ohne Bewegung an dem Wohnhaus Lortzings (in der Fleischmanngasse) vorbei, von wo er fremde Triumphe betrachten konnte, unvermögend, seine schlichte Heiterkeit auf Wiener Boden durchzusetzen. Welcher Bitternis auch die Briefzeilen entsprangen, die ein musikalisches Sittenbild des vormärzlichen Wien geben:
»Nur italienischer Kram und Tanzmusik halten sich hier im Allgemeinen ... Beethoven kennt man gar nicht mehr ... Von Spohr und Marschner weiß man hier fast gar nichts, und tauchen sie ja auf, so schläft das Publikum dabei ein ... Die Italiener und – Strauss haben hier viel auf dem Gewissen. Meine Wenigkeit ... ist hier ganz verschollen ... hier in Wien hat nämlich jeder, der mit irgend etwas vor die Oeffentlichkeit tritt, einen Kerl an der Hand, der für ihn schreibt, den er dafür bezahlt, traktirt, kleidet etc. Unter allen diesen bezahlten ... Lumpenhunden steht Herr Saphir obenan ... Da ich nun mit Recensenten nie kommerschiert, sie nie honorirt, auch ihre Blätter nie gehalten habe, so ist es sehr natürlich, daß ich ganz unbeachtet bleibe ... ich müßte denn mein ganzes Naturell umkehren ...«
Während Wiens trunkene Gesellschaft im Sophiensaal die neuen Architektenballtänze, die Bacchuspolka, die Wilden Rosen tanzte, fanden in der Vorstadt höchst ungemütliche Plünderungen von Bäckerläden statt. Unter dem Walzer tat sich der Abgrund auf ...
Um 1847 ließ der Allgemeine Hilfsverein in Matzleinsdorf an Hungernde die Rumfordsche Suppe ausschenken und im Redoutensaal gab es Empfang mit Musik. Die Steuerpflichtigen zahlten nur noch, wenn militärische Exekution drohte, und die Witzblätter verhöhnten die Ballbesucher, die vorher ihre Taschenuhr verpfändeten. Liechtenthal, Lerchenfeld, Margareten wimmelten von zerlumpten Arbeitern. König Louis Philipp, der ein paar Jahre vorher mit seinem Sohn nach Wien kam, wunderte sich, in Laxenburg 20.000 Gaffer und gekrümmte Rücken und keine Pariser Revolution zu sehen. Kurz darauf brannten die Gaslaternen Wiens und beleuchteten das alte Österreich: einen Schwerkranken, der mit seinen Geschwüren auf den Ball gegangen war.
Karl Beck schrieb seine sozialen Anklagen und der junge Strauß schrieb eine »Explosionspolka«.
Seine Titel sind immer der heitere Spiegel der Ereignisse. Den Sträußchensälen, wo Wagner den Zamparausch erlebte, entsprang der »Sträußchenwalzer«; dem modernen Geschlecht kamen die »Jungen Wiener« entgegen; die »Klänge aus der Walachei« sprachen von der rumänischen Reise, die »Lind-Gesänge« schwärmten von den Julitagen 1846 – nun leuchten die Titel höchst aufrührerisch, man hört Geschrei und Schüsse, sieht Flammenschein: »Freiheitslieder«, »Revolutionsmarsch«, »Studentenmarsch«, »Burschenlieder«. Der Achtundvierziger-Tanz ist da.
Sein Bild von Kriehuber (wenn auch erst 1855 gezeichnet) zeigt den typischen Jüngling der Revolutionsjahre, der mit dem Sturm marschiert. Strauß paßt sich dem Kalabresertum humorvoll an. Seine Bürgermiliz verwandelt sich in die Nationalgarde und er darf nur Kapellmeister bleiben, wenn er eine Zeitlang Waffendienst tut. So muß er denn auf Wache ziehen wie in seltsamer Schicksalsfügung Walter von Goethe, der Enkel, der ebenfalls bei der Nationalgarde dient. Aber Johann Strauß ist so wenig wie der feine Weimaraner Kammerherr, so wenig wie der dicke Scholz und der dürre Nestroy ein Pathetiker der Waffen und der schönste Heldentod wiegt die Walzer nicht auf, die er noch zu schreiben gedenkt. Als er auf seinem Posten in der Karmelitergasse plötzlich Salven knattern hört, überläßt er dem Schilderhaus sein Gewehr und deckt sich lieber im nahen Hirschenhaus ... Muß er aber in seiner Eigenschaft als Herr Kapellmeister mit, dann stellt er seinen Mann, dirigiert die Marseillaise vor der Aula so feurig wie die Sinngedichte beim Zögernitz, pfeifen auch Kugeln ungemütliche Piccolostimmen dazu.
Anders der Vater. Er ist Altösterreicher. Und bleibt es. Nur gezwungen macht er mit. Ende 1845 war er, ein Zeichen kaiserlicher Gunst, k. k. Hofballmusikdirektor geworden. Man findet unter seinen Werken auch solche mit Revolutionstiteln: »Freiheitsmarsch«, »Marsch der Studentenlegion«, »Deutsche Jubellaute« oder »Schwarz-Rot-Gold«. Aber das kam nicht von Herzen. Den Walzer »Schwarz-Rot-Gold« tauft er nach der Oktoberrevolution in »Landesfarben« um. Der Hofballmusikdirektor spielt in seinen Konzerten gefühlsabwesend Stücke mit umstürzlerischer Gesinnung oder Studentenlieder, die man zur Demonstration verlangte. Ihm lag das Kalabresertum nicht. Und er verbarg es nicht. Mit dem Kaiser aufgewachsen, blieb er beim Kaiser.
Mußte der »Chef des Hauses Walzer und Quadrille«, wie Zeitungswitz ihn nannte, die Dummen bisweilen mit Dummheiten unterhalten – mit einem »Rebusabend« beim Sperl! –, einmal wollte er sein Herz bekennen. An einem Augustabend 1848 spielt er auf dem Wasserglacis. Dort verkehrten die Monarchisten, Offiziere und ihre Familien, nicht Studenten. Nach Beethovens Leonore, nach den Amphionklängen, den Sorgenbrechern, den Ätherträumen, seinen jüngsten Walzern, kommt ein neuer Marsch. Das klang wie Heranstolzieren aus der Ferne unter schnalzenden Vorschlägen: ein Heer marschierte auf. Und im Trio hörte man, was man von den Wiener Freiwilligen hörte, wenn sie zur italienischen Armee einrückten: das bekannte Tinerllied. Es schwoll in ein Jauchzen und man erkannte, man sah die kaiserlichen Kolonnen mit Fahnen und Standarten. Ein Marsch, zugleich ein Tonbild, Musik für den Sieger von Verona, für den Gott der Soldaten, den Marschall, den Vater Radetzky!
Dreimal mußte das Stück wiederholt werden. Am Schluß erhob sich General Zanini und verlangte eine neue Wiederholung. Es war der gleiche Peter Zanini, dessen Hauptverdienst die Wiedereinführung der Offiziersschnurrbärte ist, ein Typ des alten österreichischen Kommißknopfs; aber er fühlte die österreichische Bedeutung des Marsches zuerst heraus: das gab der Armee ein Herz!
Überall mußte der Marsch wiederholt werden, er ging durch alle Militärkapellen, alle Orchester Europas. Feierte Haydns Hymne den Kaisergedanken, so machte der Radetzkymarsch die Armee populär. Das Titelbild zeigt den Kopf des alten Haudegen und als Motto könnten oder müßten dabei die bekannten Verse Grillparzers stehen, die die Musik umschrieb:
Glückauf, mein Feldherr, führe den Streich!
Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer,
In deinem Lager ist Österreich,
Wir andern sind einzelne Trümmer.
Von den vielen Märschen des Vormärz blieb der Radetzkymarsch der einzige, der in den Nachmärz lebte – verschwunden ist auch der Parademarsch Nr. 3 vom Jahre 1843, der das Radetzkymotiv schon vorausnimmt –, in ihm erhielt sich die Soldatenromantik, der Ton des alten versunkenen Reiches. Er war ihr klingendes Wappen.
Sein Gegenstück bildet ein revolutionärer Gesell, der die ungarische Freiheit besingt, der Rakoczymarsch, den die Reaktion verbot und dessen Urheber man nicht kennt. Auch vom Radetzkymarsch wußten die Tausende, die ihn sangen, nicht, von wem er stammte.