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326. Stifter an Adolf Freiherr von Brenner

Wien 1836

Erstarre nur nicht gleich, daß ich mir heute den Donnerstag vormittags den 10. November des Jahres 1836 aufsuchte und eigens aufputzte, um Dir zu schreiben; denn er wird eigens gewärmt, licht ist er ohnehin genug, und mein Kanarienvogel singt, und keinem einzigen Menschen sage ich a+b vor. Elend ist es ohnehin genug, daß ich Dir fast ein Jahr nicht schrieb, aber noch elender ist der Spruch: Doch von Einem thut's mir weh. Es ist aber wahr, weh thät's mir auch, man müßte ein Brett sein, um über so langes Freundesschweigen gleichgiltig bleiben zu können, ja, man wäre nicht einmal selber ein Freund, wenn man's könnte, jedoch wenn Du sagst, wer hätte das vor einem Jahre gedacht, so thust Du himmelhohes Unrecht, und wahrhaftig ich trüge es, wenn Du teufelstoll und rein vor Zorn besessen wärest, aber wenn Du zweifelst und wehmüthig an vergangene Zeit denkest, der nun die Gegenwart nicht mehr gleicht, dann brichst Du mir das Herz, und das thatest Du in dem Briefe an Ludwig, Du brachst mein Herz, daß es in alle alten Thränen überfloß; denn nichts ist rührender, als ein starker Mann, der arm wird und weich, weil er an seinem Freunde zweifelt. Mir war von Kind an jene Stelle des Carlos die rührendste, wo er an Posa zweifelt und ihm die alte Freundschaft im Bilde rückkehrt mit den schönen, treuen Augen. Lieber Bruder, verzeih' den Irrthum meines Herzens, nicht dessen Schuld (die hatte es nie)'und lasse dieses Blatt an Deinen Hals fliegen mit tausend Thränen und sagen: ich lieb' Dich ja immer, und kann Dich ja nie vergessen, und nie lassen von meinem Herzen, denn sind wir denn nicht einst zusammengewachsen in Allem, was groß und gut und schön und herrlich ist, und kann das Herz denn je in hunderttausend Jahren es vergessen, daß es liebte und fest hing an dem Herrlichen, der es wieder liebte? Ich hab' Dir weh gethan, aber ich habe Dich immer geliebt.« Laß Dir's sagen und reiche mir die Bruderhand von dem Apenin herüber, und sage, daß Du nicht mehr zürnest. Warum ich so lange nicht schrieb?? – Adolf! fielen Dir denn nicht eher alle Schoppeismen meines Characters ein, als der Gedanke an Erkältung? Ich hielt es für unmöglich, daß Du an Abfall denken konntest. Aus Liebe schrieb ich nicht. Es ist entsetzlich lächerlich, und keine Seele glaubt es, und ich selber begreife es nicht, aber das ist von jeher der Fluch meiner schönsten und zartesten Empfindungen, daß sie an mir nichts sind als Andern lächerlich, und so ungefügig und spießeckig. Kennst Du denn nicht von jeher meine Eigenschaft, daß ich nie etwas leiste, eben deshalb, weil ich sonst nichts will, als das Ungeheuerste und Überschwenglichste und Schönste und Erhabenste und Alles?! So ist immer ein namenlos schöner Wolkenhimmel da, um hinein zufliegen, aber an Schwingen fehlt's. Wie ich auch verkannt werde und verhöhnt, das eine weiß ich fest, und Du weißt es auch: ein gutes schönes und großes Herz habe ich, aber seiner ewigen Sehnsucht fehlt die Schwinge des Genies, d. h. die geistige Souveränität, um zu herrschen, und meine Seele bleibt dann wieder immer und ewig ein schönes Frauenbild, das liebet, aber stumm ist. – Es ging so: Auserlesenes, Unendliches, Liebes, Theures, Herrliches, endlos Langes und die ZOelt und den Sternenhimmel und Alles wollt' ich Dir schreiben – aber heute war unmöglich Zeit, was thäte ich denn mit der elenden Stunde, die mir frei zufällt, ich fertige ja kaum ein Exordium an? dann morgen in dieser Werktagsstimmung, das wär' die rechte Höhe, mit derlei Alltagsgefrasel unsre Seelen schänden – da muß ein Tag ausgeschossen werden, der eben ein ausgeschossener ist, sogar ganz blau muß er sein, innerlich müssen Sabbathswochen eingeläutet sein, im Zimmer Alles aufgeräumt und nett, viele Federn geschnitten, schönes, zartes Papier, um recht darauf mit dem Abwesenden zu Hause sein zu können, mit ihm speisen, spazieren gehen; schlafen, – einen allerhöchsten Festtag beginnen und ausfeiern. – – Aber solche Tage kamen allerwege nicht, und dann wuchs die Nothwendigkeit, noch ganz Himmlischeres zu schreiben, um das lange Schweigen quitt zu machen, und noch paradiesischere Tage wurden Vonnöthen und diese kamen eben wieder noch weniger, – und so ging die verfluchte Geschichte parallel mit sich selber fort. Begreifst Du sie nicht?? Ja, ich sogar muß mir einreden: »nur unterdessen ein Gabelfrühstück sende nach Rom, die veritable Krönungstafel wird schon folgen« – sonst passe immer (auch in Zukunft wieder) auf diese, und sende nichts, – aber – in Zukunft, und habe ich nur ¼ Terzie Zeit, so schreibe ich an dem Angefangenen um ein I-Tüpfchen weiter, und in Kürze kommt doch ein Brief zusammen – aber aussehen mag er!! Sei so gut und begreif' mir das, warum ich so lange nicht schrieb: in Zukunft will ich (ja vermög' meines närrischen Temperamentes muß ich sogar) in das andere Extrem verfallen, und Dir unaufhörlich schreiben – – – – dieser Brief läuft immer fort, ich breche nur hier ab, um so schnell als möglich die erste Lieferung fort zu kriegen, morgen schreib' ich weiter, und trage in einem fort in die Staatskanzlei, vielleicht bekommst Du 20 solche Blätter auf einmal, aber dann thue mir den Gefallen, und lese sie nach den Nummern, ohnehin hätte dieser Brief vor einen andern gehört, den Du jetzt vielleicht schon in Händen hast, und in welchem kein Wort von einer Ursache meines langen Schweigens steht. Und nun dächte ich, wäre dieser Punkt im Reinen; denn daß Du nicht mehr zürnest, weiß ich so gut, als Du weißt, daß an mir kein Arges gegen Dich ist. Du warst in meinem Herzen von je der erste, und wirst es bleiben in Ewigkeit. Bei Collin und Lebzeltern werfen sie mir ohnehin vor, daß ich meine Freude fleißig mit Carmin färbe, daß sie rosig aussehen – ich aber sagte: »Wer seine Freunde sich nicht färbt, der verdient keine«.

Es ist zwar noch nichts zurück, aber ich fahre fort. Natürlich weiß ich nicht, was die einzelnen Worte bedeuten, die ich mir auf der Überlage neulich notierte, als Gegenstände worüber an Dich zu schreiben ist. Insbesondere quält mich ein Kirchhof unsäglich. »Deutlich« fällt mir ein, nämlich, daß ich Dich schönstens bitte, wenn auch nicht schöner, doch deutlicher an mich, als an Scher zuschreiben, ich kanns Dir wahrlich und wahrhaftig nicht lesen, und stehe bei Schers Briefen von Dir sehr viel Zorn aus, und habe ich das erstemal lächerlich fehl gelesen, so verfängt die Schönheit des Gedankens gar nichts mehr, es bleibt mir doch immer lächerlich, daß er einmal ein Hanswurstengewand angehabt hat. Dein »Auf ewig« gefiel mir unaussprechlich, aber freilich war's auch nett von Deiner Schwester geschrieben; von Dir hätte mir's der Teufel schon durch Gift über unkenntliche Silben versalzen. – – –

Lebe wohl, Theurer, es ist heute schon zu spät, sonst schickte ich Dir einige Gedichte, wovon Du den Verfasser errathen solltest.

Ewig der Deinige.

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