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219. Novalis an Friedrich Schlegel

Dein Brief trifft diesmal ungemein glücklich. Ich saß soeben auf meinem Kanapee in ziemlich heller Laune und überließ mich den süßen Eingebungen der Göttin Farniente. Ein paarmal war ich schon an Dir vorbeigestrichen – da kam er. Der alte Kopf vorn am Eingang erfüllte mich mit heiligem Schauer, und an den Zügen der Zuschrift erkannte ich den frommen Mann, der diese Blättergrotte dem Sohne der Lieblingstochter Jovis und der Nemesis der Freundschaft weihte. Erwartungsvoller stieg kein Reisender in die Wunderhöhle von Antiparos, als ich von Zeile zu Zeile in die Geheimnisse Deiner Wanderung. – Das Orakel schweigt. Deine Augen funkeln mit überirdischem Glanz und Dein Stern taucht sich ins Göttliche – ich stehe neugieriger als je vor Dir.

Daß Du noch unter den Lebendigen bist, freut mich. Kann man Dich doch noch anfassen und fühlen Dein Fleisch und schlagen hören Dein Herz. Du trankst aus der Quelle der Durstigen – Du bist nun unersättlich. Das reißt Dich noch vielleicht aus den Banden der vier Elemente, in denen es uns doch wohler sein kann als einer Intelligenz in ihrer Haut. Mich dauert Dein armes, schönes Herz. Es muß brechen, früh oder spät. Es kann nicht nicht seine Allmacht ertragen. Deine Augen müssen dunkel werden über der schwindelnden Tiefe, in die Du hinabsiehst, in die Du den bezauberten Hausrath Deines Lebens hinabstürzest. Der König von Thule, lieber Schlegel, war Dein Vorfahr, Du bist aus der Familie des Untergangs. Jetzt kann ich Dir's sagen und wundre mich, daß Dir's Dein Bruder nicht sagt. Du wirst leben, wie wenig leben, aber natürlich kannst Du auch keinen gemeinen Tod sterben – Du wirst an der Ewigkeit sterben. Du bist ihr Sohn, sie ruft Dich zurück. Eine seltne Bestimmung hast Du bei Gott. Vielleicht seh ich nie wieder einen Menschen wie Dich. Für mich bist Du der Oberpriester von Eleusis gewesen. Ich habe durch Dich Himmel und Hölle kennen gelernt, durch Dich von dem Baume des Erkenntnisses gekostet.

Aber nun sag einmal, ist es denn nicht möglich, daß Du unter uns bleibst? – sind die feierlichen Worte der Weihung schon unwiderruflich ausgesprochen? – hat Dir schon Iris die Locke abgeschnitten? – mußt Du als Opfer sterben? Ich bitte Dich, antwortete Dir selbst ohne Ueberspannung. Ich habe für die Schönheit Deiner Idee unendliche Ehrfurcht, aber ich weiß auch, daß das Leben ewig schön sein kann. Erhalte Dich, wirf Dich der Natur in die Arme – sie hat Platz und Liebe genug für Dich. Mein ganzer Grund ist mein inniges Gefühl am Leben, mein Glaube und Zuversicht zu allem, was in mir und um mir ist – denn hier weiß ich jetzt sonst nichts von Recht und Unrecht. Freilich kann ich Dir keine solche Theilnehmung einflößen, wie ich an allem Menschlichen habe, mich nicht auf die Verjüngungskraft Deiner Natur berufen, nicht auf den sichbaren Gang einer himmlischen Ordnung und Nemesis in Deinem Leben; aber wer weiß, wie nah Dir ein solcher Augenblick des Zurücksehns ist.

So hätt ich doch vielleicht einmal wahr gedacht und gesprochen. Dein Geist kann unmöglich lange mehr diesen Aufruhr Deines innern Lebens ertragen. Alles klingt tief bei Dir hinab, Deine Erscheinung löst sich in sich selbst auf, Deine herrlichen Kräfte müssen erlahmen. – Fürchtest Du Dich nicht vor dem Pflanzen leben. Ich fürchte mich nicht, aber ich erkenne hier nicht meinen, noch Deinen Beruf. Kann Dich denn das Leben gar nicht fesseln? Muß Du Deine arme Hülle zerreißen? Du verschwendest in Minuten, wovon Du jahrelang zehren könntest. Unbefriedigt wirst Du von allem zurückkehren und tödtlich krank.

Ich erwarte geduldig, ob Du für gut finden wirst, mir etwas Näheres von Deiner Reise zu sagen. Die gänzliche Ungewißheit hindert mich an Dich zu schreiben. Uebrigens wüßt ich auch wenig. Mir geht's hier recht wohl. Ich habe alle Ursache zufrieden zu sein und bin auch jetzt in einer glücklichen Ruhe. Ich freue mich jetzt über alles, aber mit meinem Schöndenken und -Schreiben ist's jetzt vielleicht auf immer vorbei. Ich hoff es wenigstens von ganzem Herzen. Seitdem ich wieder von Leipzig zurück bin, habe ich keine zehn Blätter gelesen. Dafür bin ich jetzt tüchtig fleißig und nehme Antheil an manchen frohen, gesellschaftlichen Stunden. Meine Geschwister brauchen nach dem Tode meines Vaters auch einen Vater. Diese häusliche Familienbestimmung ist ganz die meinige. Diese Lebensart bekommt mir wie Bergluft – tausendmal stärker, inniger und frischer als sonst. Wir trennen uns wie Abraham und Lot. Du gehst nach Aufgang der Sonne, ich den gewöhnlichen Weg nach Westen zu. Uns beide aber trägt der unendliche Vater am klopfenden Herzen, wenn wir unsre Kraft brauchen, so weit es gut ist und schön, und er selber läßt uns himmlische Freiheit. – Fliehe nicht aus diesem Zeitpunkt des Nordlichts und ergreife nicht in der Blüte Deines Lebens den Hammer der Zerstörung. Mir gefällt's doch hier unter dieser Sonne. Du kannst's nirgends besser finden, und wenn Du glauben willst, so findest Du alles leicht was Du suchst. Rede mir hier nichts vor von ewigen Bedürfnissen und Kraftanlagen – Deine urtheilende Idee steht mit Deiner genießenden Idee im Mißverhältnis. Glaube und dann urtheile. Treibe die Gäste aus Deinem Hause, die Dich verführen. Laß Dir das Schicksal der Semele einfallen. Du kannst doch nicht Zeus zwingen. Dich zum Ganymed zu machen. Lebe wohl.

Dein Freund
Albert von Hardenberg.

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