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194. Johann Christian Friedrich Hölderlin an Immanuel Nast

Kl. Maulbronn d... Jan. 87. Morgens 4 Uhr.

Bester!

Das ist schön, daß Du für die Natur so viel Empfindung hast – ich schmeichelte mir immer, unsre Herzen schlügen gleich – aber jezt glaub ichs ganz gewiß. Aber Du must Dir nicht vorstellen, wie wann Du Dein Herz so ganz abgedrukt bei mir finden köntest; 0 nein! lieber! Du darfst Dich auch nicht wundern – wann bei mir alles so verstümmelt – so widersprechend aussieht. – Ich will Dir sagen, ich habe einen Ansaz von meinen Knabenjahren – von meinem damaligen Herzen – und der ist mir noch der liebste – das war so eine wächserne Weichheit, und darinn ist der Grund, daß ich in gewißen Launen ob allem weinen kan – aber eben dieser Theil meines Herzens wurde am ärgsten mishandelt so lang ich im Kloster bin – selbst der gute lustige Bilfinger kan mich ob einer wenig schwärmerischen Rede geradehin einen Narren schelten – und daher hab ich nebenher einen traurigen Ansaz von Roheit – daß ich oft in Wuth gerathe – ohne zu wißen, warum, und gegen meinen Bruder auffahre – wann kaum ein Schein von Beleidigung da ist. O es schlägt nicht dem Deinen gleich – mein Herz – es ist so bös – ich habe ehmalen ein bessers gehabt – aber das haben sie mir genommen – und ich muß mich oft wundern, wie Du drauf kamst – mich Deinen Freund zu heissen. Hier mag mich keine Seele – izt fang' ich an, bei den Kindern Freundschaft zu suchen – aber die ist freilich auch sehr unbefriedigend.

Bilfinger ist wohl mein Freund – aber es geht ihm zu glüklich, als daß er sich nach mir umsehen möchte. Du wirst mich schon verstehen – er ist immer lustig – ich hänge immer den Kopf – da wirst Du wohl sehen – daß wenig 'raus kommt. Ich kann Dir sagen – ich bin der einzige – der ausser dem Namen nach kein Frauenzimmer – keinen Schreiber – oder was sonst zu den Gesellschaften der Maulbronner Welt gehört, hier kennt.

Meine Flöte wäre noch mein einziger Trost, aber auch diese ist mir entlaidet worden. Wann sich Efferenn und Bilfinger etc. bei einer Privatmusik zusammen freuen wollen, so läßt man lieber eine Lüke als daß man den Hölderlin ruffen sollte. Du darfst nicht glauben, als wann ich mir selbst alle Freude vergällte, oder gar keine annehme; ich lief neulich aus lauter Verdruß unsrer Frau Baas Famulussin in ihren Garten nach – beschwerlich mag ich ihr auch genug geweßen sein – da redten mich die Mädchen aus der Verwaltung zum allererstenmal im Vorbeigehen dort an; Du solltests gesehen haben – ich habe mich gefreut wie ein Kind – daß mich nur auch jemand angeredt hat – und das war doch keine so wichtige Sache zum Freuen.

Noch eins muß [ich] Dir sagen – wann Dir einmal wieder der Gedanke käme, aufs Kap zu gehn, so sollst Du mich zum Gesellschafter haben. Auf mein Ehrenwort! Leb inzwischen wohl, lieber Bruder, lebwohl! Das war ein trauriger Morgen!

Dein
Hölderlin.

Ich muß Dir hier eben ein Duett schiken – für einzelne Flöten hab ich ausser Conzerten nichts. Die Kleinigkeiten blaß ich dem Gehör nach.

*


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