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Heidelberg, [15. November] 1831.
Wie überhaupt viel Närrisches vorkommt in meinem Leben, war auch die Eilfertigkeit, die Unaufhaltsamkeit, mit der ich nach Heidelberg trachtete und an Ihnen vorüberfuhr, reine Narrheit, doch das ist schlechte Entschuldigung. Um so mehr werden Sie sich ärgern, daß Sie den heißen Narren nicht zu sehen kriegten; wie gern würden Sie nicht einige Experimente mit ihm gemacht haben, ihm einige patres susones um den Kopf zu schlagen oder dergleichen. Zum Asceten, lieber Freund, hab' ich verflucht wenig Talent. Erstens glaub' ich, daß Kälber, Hasen und Rebhühner nicht umsonst in der Wilde herumblöken, laufen und stiegen, und daß man schon in forstpolizeilicher Hinsicht kein Afcet sein, sondern von diesen und ähnlichen Dingen Gebrauch machen soll, weil sich sonst das Wild und Federvieh so vermehren würde, daß etc. etc.; doch wäre es vielleicht die schönste Höhe der Ascetik, von Schweinen gefressen zu werden? –! Zweitens ist der der bessere Reiter, der einen frischen Wildfang herumtummelt; eine verhungerte, knieschlotterige Mähre kann jeder Elende reiten. Und so bin ich der Meinung, daß es auch männlicher ist, sein aufrührerisches, schlimmes Fleisch zu bändigen, als sein sieches zahmes Ascetenfleisch. Es liegt, mein' ich, was Feiges in diesem Abzapfen der Menschlichkeit. Sie werden mir vielleicht einwerfen: Ja, aber die Abtötung selbst, kostet die keine männliche Festigkeit? Und ich antworte: Das ist die Tapferkeit der Furcht. Es gehört mehr dazu, seinen Feind gefangen zu nehmen, als ihn zu erschlagen.
Aus diesen Vordersätzen werden Sie mit einiger Wahrscheinlichkeit den Schluß ziehen können, daß ich nicht im Wolfsbrunnen sitze und geistliche Lieder singe. Ich würde meinem Gotte langweilig zu werden befürchten, wenn ich das thäte und meinen leeren Magen zum Resonanzboden meines begeisterten Herzens machte. Nein, nein, ich wohne hier in Heidelberg im »König von Portugal« und esse mich satt, wie andere ehrliche Leute, die was zu essen haben und keine Asceten sind. Ich bin also auch nicht gezwungen, Ihnen auf gefallenes Laub meine Briefe zu schreiben. Wenn Sie aber in Ihren Garten gehen und die welken Blätter, diese säuselnden Elegien des Herbstes, fallen sehen, so denken Sie mein; was Ihnen die Blätter sagen, ist die Sprache meines Herzens, wenn ich sie auch nicht darauf hinschreibe. Und so kann es Ihnen nie fehlen an Briefen von mir diesen Winter hindurch. O Kerner! Kerner! ich bin kein Ascet; aber ich möchte gerne im Grabe liegen. Helfen Sie mir von dieser Schwermuth, die sich nicht wegscherzen, nicht wegpredigen, nicht wegfluchen läßt! Mir wird oft so schwer, als ob ich einen Toten in mir herumtrüge. Helfen Sie mir, mein Freund! Die Seele hat auch ihre Sehnen, die, einmal zerschnitten, nie wieder ganz werden. Mir ist, als wäre in mir etwas gerissen, zerschnitten. Hilf Kerner! Hier erhalten Sie ein Herbstblatt, das meinem Herzen entfallen ist:
Mürrisch braust der Eichenwald.
Aller Himmel ist umzogen etc.
Ja, sterben ist das End' vom Lied, und was das heute für ein Regen ist. Und keinen Menschen hab' ich, dem ich sagen kann, wie mir ist. Die Spatzen aber schreien ganz lustig auf meinem Dache; vielleicht ist wohl ein Fruchtsack geplatzt. Sie wissen den Teufel davon, daß unterm Dache einer sitzt und Trübsal bläst. O gleichgiltiges Gesindel der Natur! Jedes Geschöpf lebt sein Privatleben, das muß anders werden. Der Tod wird euch schon zusammen schaufeln. Alle Individualität muß aufhören. Der Tod wird uns alle wieder eintreten und kneten in den großen Teig (der ewigen Substanz, nach Spinoza), in den großen Osterkuchen der Welt. Freilich verlier ich dann viel, so z. B. daß mein Name nicht nur im Kürbis meines geliebten Kerners verfaulen wird, sondern auch mit und in seinem redlichen Herzen. Aber getrost, mein Freund! wenn wir in eine Gottheit uns zurück verlieren, darin versinken, sind wir uns um so näher.
Kommt Mayer nicht bald wieder nach Weinsberg? Gott segne Ihre lieben Angehörigen! Gott segne Sie, der Sie mir einer der Liebsten sind auf Erden! Ich grüße und küsse Sie alle inniglich.
Ihr
Niembsch.
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