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So sprach und dachte Dickon vor vier Jahren – vor fast fünf Jahren.

Ich glaube, es war Dickon, der darauf verfiel, die Hauptkräfte unserer Welt durch Wischnu, Siwa und Brahma, die indische Götter-Dreieinigkeit, zu charakterisieren. Wir fanden, daß diese drei sehr gute Symbole für unsere Ideen abgaben. Keiner von uns beiden weiß in der Politik oder im sozialen Leben mit dem bloßen Dualismus etwas anzufangen, mit der Gegnerschaft zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen, zwischen Besitzenden und Habenichtsen. Wir haben einer wie der andere einen instinktiven Haß gegen ewig währende Rhythmen. Dickon bestand noch stärker als ich auf der Dreiseitigkeit der menschlichen Angelegenheiten. Der Krieg Wischnus, des dickköpfigen Konservativen, gegen Siwa, den demokratischen Zerstörer, der aufwühlt und überschwemmt, würde nichts weiter bedeuten als einen öden Wechsel zwischen Stumpfheit und Katastrophe, wenn es nicht Brahma, den Erfinder gäbe, den schöpferischen Geist, der in der Politik nur sehr selten zu Wort kommt. Er ist das Erneuernde; er ist immer neu geboren, er kämpft ohne Unterlaß, um sich durchzusetzen. Diese indische Trinität steht der politischen und sozialen Wirklichkeit weitaus näher als der persische Dualismus von Licht und Schatten oder der Dualismus von Gut und Böse, den das Parteiensystem in sich birgt.

Wie alle modernisierte Theologie, wie jede Anwendung uralter, von der Zeit abgenützter Ausdrücke auf neue Erfordernisse, versagt auch diese bei näherer Betrachtung in gewissem Maße. Wenn Dickon Lord Northcliffe und Mr. Lloyd George als Söhne des Morgens bezeichnet, die von dem Geiste Brahmas erleuchtet sind, so ist das Bild gewiß nicht ganz zufriedenstellend. Irgend etwas daran stimmt nicht. Meine Identifizierungen gehen in einer anderen Richtung, doch davon später. Sie sind auch nicht einwandfrei, aber ich halte sie immerhin für zutreffender als die Dickons. Mr. Baldwin als Wischnus Premier-Minister zu bezeichnen, scheint mir gut, und vieles spricht dafür, den Duke of Northumberland als eine modernde Inkarnation Wischnus aufzufassen. Soll ich aber den sanften Ramsay Mac-Donald, den ausdruckslosen Clynes, den Weltmann Thomas und den katholischen Kommunisten Wheatley etwa Siwatherien nennen? Das kommt mir nicht sehr gut vor. Siwa hat seinen Tempel, wenn irgendwo, so in Moskau. Gestattet Siwa überhaupt Tempel? Eines weiß ich bestimmt: das Herz jedes Jünglings, der, kaum dem Knabenalter entwachsen, ein Leben des Gehorsams, der Unterwürfigkeit und der ihm nicht taugenden Arbeit auf sich nehmen mußte, sehnt sich danach, einen mächtigen Siwa-Altar zu errichten und das rote Feuer darauf zu entzünden.

Wahrscheinlich sollte das ewige Ineinanderwirken der Drei stärker betont werden. Der Geist Wischnus, das heißt, die starre, wilde Feigheit der Besitzenden; der Geist Siwas, die wilde Empörung der Enterbten und Unterdrückten; und der Geist Brahmas, die Wißbegier und der Drang zu schöpferischem Experiment: sie alle drei sind in jedem von uns zu finden. Wo immer Besitzrecht und Gewalt herrschen, läßt Wischnu sich nieder; wo immer entrechtete Massen sind, regiert Siwa. Brahma, der das Neue schafft, beherrscht weder Fürsten noch Menge, er bewegt sich durch das Universum in ewigem Fortschritt ...

Wenn Wischnu bei Kreditgebern und Konservativen herrscht und Siwa der Gott der Schuldner und der Linksparteien ist, folgt daraus, daß Brahma mit dem Liberalismus identifiziert werden muß?

Ich gebe zu, daß der Liberalismus mich immer angezogen hat; selbst in den sozialistischen Tagen meiner Studentenzeit nannte ich mich auch einen Liberalen. Ich nenne mich heute noch so, bezeichne meine Ansichten als liberal, doch ist meine Abneigung gegen die liberale Partei ebenso stark wie meine Vorliebe für ihren Namen.

Unter den tätigen Politikern aller Zeiten ist die englische Whig-Partei des achtzehnten Jahrhunderts am meisten nach meinem Herzen. Trotzdem bezweifle ich, daß der wahre Lord Brahma einem englischen Whig aus dem achtzehnten Jahrhundert gleicht ...

Seit Dickon die Reform des Geldwesens zu seiner besonderen Aufgabe gewählt hat, ist ihm, wie ich wohl bemerke, Wischnu immer mehr zum Geiste des Gläubigers, zur Macht des Mammons geworden. Wenn er die Existenz Brahmas an irgend einem lebenden Beispiel beweisen sollte, so griffe er, glaube ich, zu den Plänen für Valutaregelung des Mr. Maynard Keynes. Wo er den Geist Brahmas im öffentlichen Leben Amerikas entdecken könnte, weiß ich nicht. Ich frage mich, ob er in Henry Ford zu finden ist.

Eine goldene Inkarnation Wischnus herrscht in Amerika; nach der Meinung der niedergebrochenen europäischen Länder regiert er dort unumschränkt, auf einem Geldsack voll Goldes thronend. Er lastet wie ein schweres goldenes Gewicht auf der ganzen Welt und grinst mit goldenem Munde der Hoffnung in das Gesicht. Aber wir kennen hier in Europa die Amerikaner doch wohl zu wenig. In der Neugestaltung des Wirtschaftslebens nach den Methoden der großen modernen Geschäftsunternehmen ist Amerika heute der Führer der ganzen Welt. Zu dieser Rolle, die es wohl noch längere Zeit beibehalten wird, hätte es sich meiner Meinung nach nicht emporschwingen können, wenn es nicht neben der großen Menge wohlhabender Durchschnittsmenschen eine beträchtliche Anzahl energischer und begabter Männer und Frauen von ausgeprägter Wesensart hervorbrächte. Dieser Typus wird schließlich der bestehenden politischen Einrichtungen und der landläufigen Lebensformen überdrüssig werden und mit wachsender Einsicht und in immer engerem Zusammenwirken an eine Umgestaltung der Welt schreiten.

Heute können diese Art Menschen in Amerika noch nicht voll zur Geltung kommen, denn von anderen Schwierigkeiten abgesehen, müssen sie sich zunächst durch den Sumpf des geisttötenden Slangs zu tieferen Erkenntnissen durchringen. Man kann sich nicht in drei Menschenaltern über einen großen Kontinent hin ausbreiten und dabei seinen Wortschatz unversehrt halten. Amerika hat die Gabe des vernunftgemäßen Sprechens verloren. Ich glaube, daß das amerikanische Denken in stärkerem Maße, als wir Europäer ahnen, durch die verluderte Sprache behindert wird.


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