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Ich habe den Plan, ein Buch zu schreiben, dessen Thema mich seit langem erfüllt, doch konnte ich bisher zu keinem rechten Anfang kommen. Es verlangte mich so sehr, damit zu beginnen, die Sache gewann solche Wichtigkeit für mich, daß gerade die Heftigkeit meines Wunsches mir zu einem Hindernis wurde. Ich habe schon das eine oder das andere Buch geschrieben, doch waren das technische Arbeiten, die nur für Leute von Fach Bedeutung hatten. Auch verschiedene Berichte habe ich verfaßt und dreißig bis vierzig wissenschaftliche Aufsätze. Solche Dinge schreiben sich gewissermaßen von selbst. Das Buch, das ich jetzt im Sinne habe, ist von allgemein menschlichem Inhalt und viel schwieriger.

Was ich zu schreiben beabsichtige, ist genau genommen weder eine Autobiographie noch ein Buch der Bekenntnisse. Ein großer Teil meiner Zeit ist der Arbeit gewidmet gewesen; der einzige Skandal meines Lebens war ganz öffentlich und wurde in allen Einzelheiten berichtet. Wozu sollte ich wiederholen, was in allen Zeitungen gestanden hat? Ein gut Teil meiner Arbeit kann ich in Anbetracht meiner Verpflichtungen gegen meine Firma und meine Geschäftsinhaber nur ganz allgemein besprechen. Es bleibt mir wenig zu bekennen übrig, selbst wenn ich eine Rousseau'sche Ader in mir hätte. Das Buch, das ich plane, soll von Größerem handeln als von meinen eigenen Angelegenheiten. Zwar soll es kein systematisch aufgebautes Werk werden, wie etwa eine allgemein gehaltene Lebensphilosophie, doch wird es immerhin mehr von einer solchen an sich haben, als sonst in einer Autobiographie üblich ist. Vielleicht ist das, was ich beabsichtige, am besten als eine Schilderung meiner Welt zu bezeichnen – meiner Welt und meines Wollens.

Ich will schildern, wie sich das Bild der Welt in meinem Kopfe malt. Und mein Buch soll ein umfassendes Gemälde werden. Sowie es mir vorschwebt, sollte es mit – wie sage ich's nur? – mit meiner Beziehung zum Metaphysischen anheben; es sollte meinen › orbis terrarum‹ aufrollen, sollte dann die Menschen, wie ich sie sehe, beschreiben, und feststellen, welchen Platz ich im Getriebe des Lebens einnehme; sollte, auf die Geschehnisse des Alltages übergehend, meine Launen und Leidenschaften, meine Erlebnisse und Erfahrungen schildern, um schließlich den Glauben und den Zweck darzulegen, die mich erfüllen und aufrecht erhalten und mir das Leben lebenswert erscheinen lassen. Sein vornehmster Gegenstand muß mein Glaube und mein Lebenszweck sein. Alles übrige führt auf dieses Wesentliche zurück, beleuchtet die Frage, inwieferne und warum ich das Leben gelten lasse und weshalb ich weiterlebe.

Die Metaphysik kann ich sofort in Angriff nehmen. Ich muß in dieser Hinsicht hauptsächlich erklären, warum ich kein Verhältnis zur Metaphysik habe. Keine Angst, lieber Leser! Ich habe nicht die Absicht, ein System aufzustellen, nicht einmal ein negatives. Auch will ich nicht so sehr irgend welche Zweifel äußern, als vielmehr meine Unwissenheit in dieser Hinsicht bekennen, mit der ich mich abgefunden habe. Das soll aber nicht heißen, daß ich – wie lautet die Bezeichnung? – ein Positivist bin.

Ich finde das Weltbild mancher anderen Leute, die Weltanschauung, die viele äußern oder als einzig richtig hinstellen, roher, klarer und bestimmter als meine eigene. Ich bin kritischer und darum vage. Ich glaube nicht so völlig und unbedingt, wie anscheinend die meisten Menschen, daß die Welt, in der wir leben und Gedanken austauschen, ein mit der Vernunft zu erfassendes Etwas, eine Welt der Tatsachen ist. Mein Gefühl sagt mir, daß diese ›vernünftige‹ Welt nicht endgültig sein kann. Sie beruht in vieler Hinsicht auf den Bedingungen, unter denen wir denken und uns einander mitteilen, doch wäre meiner Ansicht nach auch eine Existenz auf ganz anderer Grundlage möglich. Die vernünftige Welt ist eine praktisch wirksame und insoferne auch wahr, aber sie ist nicht notwendigerweise letzten Endes wahr. Ich habe zuweilen ein Gefühl, als ob sie nicht so sehr die Sphäre wäre, die mich umschließt und aus mir macht, was ich bin, als vielmehr eine Art magischer Kristall, in dem ich mich, hineinblickend, leben sehe. Es ist mir, als stünde ich gewissermaßen außerhalb der vernünftigen Welt, als könnte ich mich auf irgend eine, mit dem Verstand allerdings nicht zu erfassende Art und Weise von ihr abwenden, um etwas anderes – eine andere Welt – ins Auge zu fassen.

Ein Mehr an Objektivität in dieser Hinsicht ist mir unmöglich. Nur so weit vermag ich mich vom Positivismus loszulösen. Gibt es etwas Vageres? Es ist der Schatten des Geistes eines Zweifels. Das Individuum in der kristallenen Sphäre von Zeit und Raum zeigt hunderttausend Züge, an denen ich es als mich selbst erkenne. Wie kann ich da auch der Betrachter sein, von dem ich nichts weiß, als daß er sieht? Vielleicht ist das Gefühl des Außenstehens weiter nichts als ein Trick meines Gehirns, einem Anfall von Schwindel vergleichbar, der einen im Gehen erfaßt. Es hat gewiß keinerlei praktische Bedeutung.

Indem ich dies schreibe, kommt mir eine sehr seltsame Empfindung in den Sinn, die ich früher, besonders in meinen Knaben- und Jünglingsjahren, zuweilen hatte. Ich glaube nicht, daß sie während der letzten zehn oder fünfzehn Jahre in mir aufgetaucht ist. Sie bestand in folgendem: Alles, was ich rings um mich sah, wurde mit einem Male winzig klein, blieb dabei aber ganz so deutlich und klar wie zuvor. Die Leute wurden zu Mücken, die Häuser und Möbelstücke zu Puppenhäusern und -möbeln, die Bäume zu Moosstämmchen. Ich selbst schrumpfte nicht in gleichem Maße zusammen; nur meine Umgebung wurde so winzig. Die Empfindung dauerte einige Sekunden oder sogar ein paar Minuten und verlor sich dann. Ich habe niemals von jemandem gehört, daß er diese sonderbare Erscheinung an sich erlebt hätte, bin aber überzeugt, daß viele Leute außer mir sie kennen. Den umgekehrten Eindruck einer Vergrößerung habe ich dagegen nie gehabt.

Irgend eine geringfügige momentane Veränderung meines Blutes oder meiner Atmung dürfte meinen Nervenzustand derart beeinflußt haben, daß ich eine Abweichung der Gesichtsempfindung verspürte, was mein Geist, einigermaßen verwirrt, auf solche Weise auslegte. Wenn das stimmt, so mögen gewisse Arzneien dieselbe Wirkung erzeugen.

Es mag aber auch irgend eine vorübergehende kleine Schwankung des optischen Ausgleichs in meinem Sehvermögen die Ursache jener Erscheinung gewesen sein. Psychiater führen Zweifel an der eigenen Identität oder diesbezügliche Wahnvorstellungen, wie sie sich in Träumen oder in Fällen von Geistesgestörtheit zeigen, auf Veränderungen des körperlichen Empfindens zurück. Doch mag man wohl behaupten, daß eine Überzeugung von der Realität der Dinge, die schon bei einem geringfügigen Übermaß oder Mangel an Sauerstoff im Blut oder irgend einem ähnlichen Anlaß ins Wanken gerät, nicht sehr fest begründet sein kann.

Ich habe aber nicht die Absicht, mich ins Mystische zu verlieren, sondern wollte nur über die Welt im Kristall sprechen, über die kristallene Sphäre, in die ich nun seit neunundfünfzig Jahren blicke, während ich gleichzeitig darin lebe. Ich will die Realität oder Qualität des Kristalls nicht weiter in Frage stellen. Für meinen gegenwärtigen Zweck ist es einerlei, ob sie etwas endgültig Reales oder nur ein vergängliches Bild darstellt, welches durch das Zusammenwirken bestimmter Stoffe in einer Membrane der Gehirnmasse meines Schädels erzeugt worden ist. Von den Triebkräften, die in ihr wirken, von ihren Leiden und Freuden, von ihrer Schönheit und ihren quälenden Mängeln will ich schreiben, ehe die Regsamkeit meines Geistes im unvermeidlichen Lauf der Dinge abzuebben beginnt. Ich will über Liebe sprechen, über Wißbegier, Gewohnheit und Trägheit, über all die Kräfte mit einem Wort, die in mir lebendig sind. Ich mache mich als ein äußerlich und innerlich recht glücklicher Mensch an mein Werk, als einer, der gerne gelebt hat und froh ist, noch weiter leben zu dürfen, ja, der ein erstaunlich großes Bedauern darüber empfindet, daß das fesselnde Spiel der Erscheinungen und Erfahrungen, so unvollständig noch und so aufreizend in seiner Rätselhaftigkeit, sich unerbittlich dem Ende nähert.

Ich möchte noch nicht sterben. Es tut mir leid, daß ich nur mehr so kurze Zeit vor mir habe. Ich wünschte, ich könnte, ehe die Ebbe mich den Dingen dieser Erde völlig entrückt, größere Erkenntnis und bessere Einsicht gewinnen. Als junger Mensch trat ich unter lautem Protest ins Leben; und bis auf den heutigen Tag ist Auflehnung in mir – mein Geist wird von Fragen verfolgt, zu unbestimmt, als daß ich ihnen eine Form geben könnte, die eine Antwort ermöglichen würde. Ich wünschte, ich hätte mehr Muße und könnte, ehe ich scheide, ein wenig Zeit, ein Plauderstündchen am Kamin etwa, der Klarstellung gar mancher Dinge widmen.


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