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Eine der hauptsächlichsten Erörterungen Dickons in jenen frühen Tagen betraf das, was er ›Medien‹ nannte. Medium war für ihn alles, was der Anbringung von Annoncen dienlich sein konnte – eine Mauer, eine Planke, eine Eisenbahnstation, eine Landschaft, ein öffentliches Verkehrsmittel, ein Buch, eine Zeitung oder eine Zeitschrift. Auch Ausstellungen oder Jahrmarktsbuden kamen in Betracht. Und dann waren die Schaustellungen in den Geschäften, die Auslagen, die Geschäftsräume an sich und die Geschäftswagen zu bedenken. Bei seiner ersten Erforschung dessen, was seither, in Amerika zumindest, die Wissenschaft des Reklamewesens geworden ist, legte er sich für seinen Privatgebrauch zwei Ausdrücke zurecht, das Reklameding, das ist die zu verkaufende Ware, und das Reklamewild, die Personen, an die sie zu verkaufen ist. Eine gute Annonce sollte soviel Reklamewild erreichen wie nur möglich, und das auf möglichst billigem Wege; sie sollte das Wild nicht nur erreichen, sondern in ihm auch Kauflust nach dem Reklameding wecken; und außerdem mußte sie den Weg zum Einkauf klar und bestimmt darlegen. Das waren die Richtlinien für Dickons Beurteilung der Reklame, die wir um uns herum sahen, und nach diesen Grundsätzen schätzte er auch seine ›Medien‹ ein.

Er pflegte sie mit tiefem Ernste gegen einander abzuwägen. Mauern und Planken leben länger als irgend ein Tages- oder Wochenblatt. Er gab sich die größte Mühe, die Lebensdauer eines Plakates abzuschätzen; er pflegte sogar Zettelanklebern aufzulauern, um mit ihnen Gespräche anzuknüpfen. Emailliertes Metall war bereits im Gebrauch. Daraus verfertigte Ankündigungs-Schilder, so erwog Dickon, redeten jahrelang zum Publikum. Aber sie waren schwer anzubringen, und wenn irgend eine Änderung der Anpreisung notwendig wurde, war sie kaum zu bewerkstelligen. Auch mußten solche Dauer-Ankündigungen ermüdend wirken.

»Stell' dir vor, an jedem Wochentag, das ganze Jahr hindurch, an demselben Schild vorbeizugehen! Was der Inhaber einer Saisonkarte zum Beispiel nicht vermeiden kann. Grauenhaft, Billy!«

Er war seiner Zeit weit voraus, da er erkannte, daß eine Annonce nicht langweilen dürfe; die Inserenten jener Zeit waren anscheinend bestrebt, Langeweile zu erwecken. Er redete auch der Achtung vor der Landschaft das Wort; rohe und aufdringliche Methoden könnten nur zu leicht Widerwillen gegen einen Artikel erwecken, meinte er. Die damaligen Annoncen auf Bahnhöfen und in Zügen fand er abscheulich und schlecht zugleich. Sie schrien, wo gar keine Notwendigkeit dazu vorlag. In jenen Tagen machte man Eisenbahnannoncen beinahe mit Absicht häßlich, und sie wetteiferten miteinander in der Größe ihrer Lettern. »Gar nicht nötig, solchen Lärm zu schlagen, Billy. Die Leute sind ja da. Sie sitzen herum und ihre Gedanken sind unbeschäftigt. Sie sind ganz ruhig und stehen einem zur Verfügung. Sind bereit, ein Interesse zu fassen. Warum sie so garstig anplärren?«

Er war der erste, der dem Publikum auf den Bahnsteigen eine ausführliche und interessante Lektüre bot.

Dennoch setzte er sich für die besseren unter den gangbaren Eisenbahnannoncen ein, wenn irgend ein Medium es verlangte. Er kam auf den Gedanken, daß sich in den Aufzügen der Untergrundbahn Annoncen anbringen ließen, ein Raum, der bis dahin vernachlässigt und stumm geblieben war. Wie gut erinnere ich mich an die Erregung, in die uns dieser neue Einfall versetzte, an unsere Erwägung der Frage, welchem Artikel der Gedanke dienen solle, an unsere fieberhafte Hoffnung auf große Entwicklungen. »Es muß etwas Witziges sein«, sagte Dickon. »Eine kurze und witzige Annonce. Ich will nicht, daß sie gerade nur angeglotzt wird.« An wen sollte er sich mit dem Plane wenden? Er schwankte einige Zeit zwischen einem Insektenpulver und einem Kaugummi.

Er glaubte, daß die größere Zukunft des Reklamewesens in Zeitschriften, insbesondere in monatlich und wöchentlich erscheinenden Blättern liege. Die lasse man im Hause umherliegen, und so würden sie immer wieder von verschiedenen Leuten durchgeblättert. »Aber die Annonce muß immer wieder neu, muß jedesmal anders sein. So etwas zum Beispiel –«

Er hatte recht. Es war im Verlaufe des bereits erwähnten Gespräches in der Untergrundbahn. Er deutete auf eine allgemein bekannte Annonce im hinteren Teil irgendeiner Monatsschrift hin.

»So etwas bringt einen zur Verzweiflung, als hätte man Schlucken. Es kommt immer wieder und wieder, man kann es nicht los werden.«

Er überlegte, ob Tageszeitungen für markengeschützte Artikel geeignet seien. Sie taugten wohl für Theater und Unterhaltungen aller Art, meinte er, nicht aber für Reklameartikel, die andauernden Absatz finden sollen. Er beobachtete die Zeitungsleser in Straßenbahnen und Omnibussen. Für Nachrichten, die sie interessierten, hatten sie einen scharfen Blick, doch zeigten sie eine erstaunliche Fähigkeit, über die riesenhafteste Reklameentfaltung achtlos hinwegzugehen. Dickon erklärte, es sei möglich, eine Zeitungsannonce so groß zu drucken, daß sie überhaupt nicht mehr gesehen werde. Die Leute seien nicht gewillt, Lettern zu lesen, die in einer Entfernung von drei Metern noch sichtbar sind. Ihr Blick gleite durch die Zwischenräume hindurch.

»Irgend etwas aber im Stile einer gewöhnlichen Zeitungsnachricht – ›Lachs ist heute außergewöhnlich billig‹ zum Beispiel, und die Begründung dazu, oder ›Makrelen im Kanal und Orangen in der Bucht‹ – das fesselt sie. Was für eine Bucht? fragen sie sich interessiert. Solche Notizen werden wie jede andere Nachricht gelesen.«

Diese Idee erwog er sorgfältig. Fischhandel und Obstverkauf waren noch weit entfernt von jeder Syndizierung, sonst hätte er die Schaffung eines Fischhandels-Preistarifes und eines Obstmarktberichtes in etlichen Tagesblättern angeregt, also eine Art Ankündigung der eingelaufenen Waren in letzter Stunde.

Als die Zusammenfassung der kleinen Läden zu großen zentralisierten Geschäften, eine Entwicklung, die mein Vater gefördert hatte, weitere Fortschritte machte, behauptete Dickon immer nachdrücklicher, daß man, wie er sich ausdrückte, die Schaufenster in die Spalten der Morgenblätter bringen müsse. Es war damals unter der Würde der Londoner ›Times‹ zum Beispiel, marktschreierische Inserate anzunehmen oder den Ernst ihrer großen grauen Flächen durch Bilder zu unterbrechen. Die anderen Blätter jener konservativen Tage mochten sich von den ›Times‹ nicht stark unterscheiden, und so blieb Dickons Idee auf lange Zeit hinaus, eigentlich bis zur Amerikanisierung der Presse durch Harmsworth und Pearson, unausgeführt. Lange bevor etwas Derartiges in England gemacht wurde, erschienen in allen amerikanischen Zeitungen Inserate großer Warenhäuser; ein Vierteljahrhundert oder mehr verrann, ehe die englischen Warenhäuser in eine ähnlich innige Beziehung zur Volkspresse traten.

Wie erscheinen doch einem Manne meines Alters so weit zurückliegende Dinge, als ob sie von gestern wären! Ich erinnere mich genau an die schmalen Schaufenster von dereinst, die des Abends mittels einiger weniger offener Gasflammen oder Öllampen beleuchtet wurden. Das Ziel des Auslagenarrangeurs war damals einfach, dem Beschauer Fülle und Art der Waren zu zeigen, nicht aber sein Interesse zu wecken und ihn anzulocken. Dann kam das Spiegelglas, die Schaufenster gewannen eine Tiefe und Geräumigkeit, von denen man sich bisher nichts hatte träumen lassen, und Glühstrümpfe und elektrisches Licht dienten ihrer Beleuchtung. Das Publikum entdeckte in der Betrachtung der langen Reihen blendender Schaufenster eine neue Art von Unterhaltung, und unternehmende Köpfe hinter den Scheiben erkannten allmählich, daß es klug sein könnte, ihre Verkaufsräume zu einem Treffpunkte des Publikums zu machen, ohne es wie bisher zu sofortigem Einkauf zu zwingen. Lange Zeit hindurch begnügten sich die großen Geschäftshäuser mit der Besichtigung ihrer Waren durch die Menge, die sich in ihren Räumen versammelte; erst Mr. Gordon Selfridge, der mit den glänzendsten und neuesten Ideen aus Amerika herüberkam, verwirklichte endlich, was mein Bruder lange vorausgesehen: er schuf seinem Warenhause auch in den Spalten der Londoner Tageszeitungen ein Schaufenster.

Mein Bruder hegt die größte Bewunderung für Mr. Selfridge, und ich hatte den Vorzug, ihn kennen zu lernen. Er ist ein stiller und bescheidener Mann. Mein Bruder nennt ihn einen Künstler auf seinem Gebiete. »Mit ihm verglichen, erscheint mancher ältere Inserent wie der Dorftrottel, der auf dem Jahrmarkt die Trommel schlägt«, behauptete Dickon. »Eines Tages wird man die Selfridge-Annoncen sammeln.«

Auf diese Art und Weise vollzog sich Dickons Entwicklung. Aus dem nachlässigen Studiosus reiner Wissenschaft wurde ein enthusiastischer Spezialist für Warenabsatz, eine lebendige Kraft in jenem Wandel der Verkaufsmethoden, der eine der überraschendsten Erscheinungen unserer Zeit ist. Er begann, wie ich es schilderte, mit Uhren, Schuhen und den ersten Fahrrädern. Er dehnte sein Interesse auf Fachzeitungen für Fahrräder und schließlich auf eine Menge verschiedenartiger Zeitschriften aus. Er fand Helfer und Verbündete, Teilhaber mit Kapital und andere Partner. Er hat stets die Gabe besessen, sich beliebt zu machen, und seltsam genug, sein Name war ihm förderlich. Die Leute erschraken zunächst bei seinem Klange, merkten ihn sich gut und betonten, sobald sie den Träger näher kennengelernt hatten, allerorts dessen große Rechtschaffenheit. Dickon hielt stets, was er versprach, hielt nicht nur, was er sagte, sondern auch, was seiner Meinung nach die anderen unter seinen Worten verstanden. Bald war er der Hauptteilhaber der Firma Clissold & Breakspear und Mitarbeiter in mehreren vielversprechenden Unternehmungen, die sich mit der Herausgabe neuer populärer Zeitschriften beschäftigten.

Nach sechs oder sieben Jahren war er bereits recht wohlhabend, konnte heiraten und ein schönes Haus in der Cromwell Road beziehen. Sehr bald schon leistete er zu meinen Gunsten Verzicht auf seinen Anteil an der Jahresrente von hundertundsechzig Pfund, die unsere Mutter uns bewilligt hatte, sodaß ich mir eine bequemere Wohnung in der Nähe des Royal College nehmen und mich weiter meinen wissenschaftlichen Studien widmen konnte. Er zog in den Osten Londons, nach Bloomsbury, bis seine Heirat ihn wieder nach dem Westen zurückführte.

Doch von dieser Heirat wie auch von meiner eigenen will ich später erzählen.


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