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Das Licht der Hoffnung erlosch. Der Friedenszustand war wieder hergestellt, die Zeit bereitwilligen Borgens war zu Ende. Die goldene Sonne des Kredits verschleierte ihr Angesicht. Die Grundlagen der europäischen Währungen gerieten ins Wanken. Die Staaten hatten übergroße Anleihen aufgenommen, die gesamte Welt war verschuldet.

Selbst während des Krieges hatten es die kriegführenden Staaten nur selten gewagt, privaten Besitz zu beschlagnahmen. Über Körper und Leben hatten sie frei und gewissenlos verfügt, hatten ihren armseligen, ruhmredigen Heerführern, die, von Furcht und Wahn getrieben, einen Fehler um den andern begingen, Millionen Menschen gleich Vieh zu Qual und Verderben überantwortet; auf das Privateigentum aber legte keine Regierung die Hand. Denn die menschliche Gesellschaft ist ein Arbeit erzwingender, Arbeit von einem auf den andern verschiebender Besitz-Geld-Komplex, und das Menschenleben darin mehr oder weniger nur ein unvorbedachtes Nebenprodukt. Das sollte wohl nicht so sein, aber es ist so. Die menschliche Gesellschaft ist ihrem Wesen gemäß zu diesem Komplex geworden und kann weder leicht noch mit einem Schlage in etwas anderes, in ein anders arbeitendes Ganzes verwandelt werden.

Zur Zeit, da sie frei hätten nehmen können, hatten die kriegführenden Regierungen gekauft, mitunter sogar zu übermäßigen Preisen, und um zu bezahlen, hatten sie sich verschuldet. Die Rechnungen über diese Wuchergeschäfte wurden nun zur Zahlung präsentiert. In dem Jahre der Friedensverhandlungen von Versailles gingen Dickon und ich und manche andere, die aus Geschäftsmännern allmählich zu Finanzleuten werden sollten, umher und sprachen mit dröhnender Stimme vom Wiederaufbau, womit wir einer Menge niedergedrückter Menschen vorübergehend Mut einflößten; wir waren uns über unsere tatsächliche Lage ebenso wenig im klaren wie ein Schwarm Hummeln, der in ein Zimmer voll Spinnweben geraten ist. Doch als wir uns mehr und mehr in die grauen Fäden verstrickten, verwandelte sich der Ton unseres Summens und Brummens. Nur wer ein gutes Gedächtnis besitzt, weiß noch, wie groß die Veränderung war. Es wäre interessant, eine Zeitung aus dem Jahre 1918 und eine aus dem Jahre 1924 zur Hand zu nehmen und zu zählen, wie oft die Wörter ›Wiederaufbau‹ und ›Schulden‹ in der einen und wie oft in der anderen zu finden sind.

Die Ära des Wiederaufbaues schwand dahin, ohne daß ihre Begeisterung irgend etwas geschaffen hätte; sie wich der Ära der Schuldeneintreibung und dem mühseligen Versuche, die verhältnismäßig stabilen Zustände, die während der drei oder vier Jahrzehnte vor 1914 geherrscht hatten, wieder herzustellen. Finanzen und Geldmanipulationen wurden zum Kehrreim des Daseins. Die Stimme des ›Wiederaufbau‹ predigenden Geschäftsmannes erstarb; niemanden, nicht einmal ihn selbst, verlangte es mehr darnach, sie zu hören; die ganze Welt lauschte dem leisen Geflüster der Bankleute und der Finanzminister.

Doch obgleich Schulden und Schuldeneintreibung nunmehr unser Denken beherrschten, glaube ich nicht, daß dies schnelle Erlöschen der Hoffnung einzig und allein den finanziellen Verwicklungen zuzuschreiben war. Ganz gewiß trugen weder Ränke und Pläne noch irgendwelche Voraussicht von Seiten der Finanzleute Schuld daran. Keinerlei Gruppe von teuflisch klugen Männern hatte im Mittelpunkte des Netzes gelauert und gesagt: ›Geduld! Binnen kurzem werden uns all die armen Narren ins Garn gegangen sein. Dann wollen wir ihren albernen Hoffnungen ein Ende bereiten.‹

Das Finanzwesen ist keine tückische Verschwörung; es ist nur eine tückische Dummheit, eine Dummheit, an der wir alle tätig oder leidend teilhaben. Es ist ein beharrliches, ängstliches Festhalten an Überlieferungen und Methoden, die für die Gesamtheit der Menschen unmöglich nutzbringend sein können. Ich habe während langer Jahre mitten im Geschäfts- und Finanzleben gestanden und erkläre mit vollster Überlegung: meiner Meinung nach sind in der Welt der Finanzen heute keinerlei Männer von überragender Geistigkeit tätig, weder gute noch schlechte. Es arbeiten ohne Zweifel zahlreiche energische und kluge Leute im Finanzwesen, doch ihr Erwerb vollzieht sich der Hauptsache nach automatisch, ergibt sich aus den bestehenden Methoden der Geld- und Kreditgebarung. Jedes menschliche Wesen versucht instinktiv, Arbeit von sich abzuwälzen und will lieber gewinnen als verlieren; überdies steckt in den meisten Menschen eine geheime Gier nach Macht über andere und nach Vorrang; und ganz mechanisch machen sich diese der Menschennatur anhaftenden Neigungen die Schwächen des herrschenden Systems zunutze.

Als Dickon seinen Traum von heroischem Wiederaufbau beschmutzt, entstellt, verdorben und vernichtet sah, war er über die Macht des Geldes erbittert. Er sprach davon, daß die Macht des Geldes die Schaffenskraft erdroßle, und behauptete, letzten Endes müßten alle großen Industrie-Unternehmungen der unschöpferischen Gewalt der Banken verfallen. Er bedauerte, daß er sich an den Bestrebungen, die Anleihen volkstümlich zu machen, beteiligt hatte. Ich glaubte, im Gegensatze zu ihm, nicht an einen unmittelbaren Widerstreit zwischen dem Gelde und der schöpferischen Organisation. Die Finanzleute, darin stimmte ich ihm zu, hatten die Welt in ein Leichentuch von Schulden eingenäht. Aber sie waren in ihrem Tun ebensowenig böswillig gewesen wie eine Schmeißfliege, die Eier auf ein Aas legt. Wo kein Aas ist, wird die Schmeißfliege eine geringe Plage sein und leicht vertrieben werden. Wer den Unrat wegräumt, wird auch die Fliegen los. Hätte die Menschheit mehr schöpferischen Willen und mehr Wissen besessen, dann wäre das Netz der Schulden leicht zerrissen und der Versklavung der Welt durch die Banken bald gesteuert worden.

Im weiteren Verlauf der Dinge wurde mir klar, daß Dickons und meine Absichten viel zu unbestimmt waren, um zu greifbaren Ergebnissen zu führen. Dabei zählten wir beide zu den helleren und fähigeren Köpfen unter den Leuten, die sich für die Bewegung des Wiederaufbaues eingesetzt hatten. Dickon genoß als Propagandist beträchtliches Ansehen. Ich war ein erfolgreicher Organisator auf dem Gebiete der Industrie. Vor die Aufgaben des Wiederaufbaues gestellt, erkannten wir erst, daß wir in praktischen Dingen nichts mehr als vom Glücke begünstigte Dilettanten waren; das Beharrungsvermögen unserer frühen Erfolge trug uns, und unsere Fähigkeit, neue Probleme zu lösen, war verkümmert. Wir gehörten einer Gruppe von vielleicht einigen hundert oder höchstens einigen tausend Leuten an, die Wiederaufbauarbeit leisten wollten, dabei aber der Aufgabe, die sie in Angriff genommen zu haben wähnten, weder einzeln noch vereint gewachsen waren. Die günstige Gelegenheit stand mit einem Male vor uns, fand uns unvorbereitet – und ging vorüber.

Wie oberflächlich war unsere Auffassung vom Wiederaufbau, war jede Auffassung vom Wiederaufbau, der ich begegnete! Die meisten hoffenden Menschen jener Zeit verstanden unter Wiederaufbau einfach die Erfüllung dessen, was sie aus ihrer besonderen Lage heraus wünschten – und zwar die sofortige Erfüllung. Die Arbeiter zum Beispiel verlangten eine unverzügliche Verkürzung der Arbeitsstunden und eine Erhöhung der Löhne und waren blind für die Notwendigkeit eines Übergangsstadiums, blind für die Tatsache, daß gerade damals wie jedermann so auch sie zu außerordentlicher Leistung verpflichtet gewesen wären. Eine Gewerkschaft um die andere stellte nachdrücklich ihre Forderungen und bekam die Lohnerhöhung und den Achtstundentag. Worauf ihre Mitglieder in Kinos und zu Fußballspielen liefen und die Errichtung des Tausendjährigen Reiches anderen überließen.

Ich tadle die Arbeiter nicht; sie handelten ihrer Natur entsprechend, gerade so wie Gläubiger und Kapitalisten auch. Doch bin ich überzeugt, daß der Mangel an Einsicht, den die Arbeiterschaft bekundete, ebensosehr am Zusammenbruch der Wiederaufbaubewegung Schuld trägt wie die Forderungen der Geldleute. Von ausschlaggebender Bedeutung war weder der Widerstand der Arbeiter noch der der Finanzwelt, sondern die Tatsache, daß die organisierenden und ausführenden Köpfe in der Bewegung wie Dickon und ich selbst, Männer, die mitten im tätigen Geschäftsleben standen und daher besser als sonst jemand hätten wissen müssen, wie das Werk des Wiederaufbaues anzupacken sei, ohne Aktionsplan überrascht wurden – ohne die Spur eines Aktionsplanes. Es fehlte uns die Erkenntnis dessen, was uns und der Welt geschah. Wir hätten es wissen müssen, daß die Arbeiter halsstarrig sein und die Geldleute auf ihrem Pfund Fleisch bestehen würden, mochte es den Staatskörper kosten, was es wolle. Die Arbeiterschaft ist stets widerspenstig gewesen; und Gläubiger werden bis an das Ende aller Tage nur dann von ihren Forderungen abstehen, wenn man sie – so sanft wie möglich, aber mit aller Entschlossenheit – dazu zwingt.

In jenen Tagen lernten wir, uns richtig einzuschätzen. Wir handelten ebenso planlos wie die Bolschewiken in Rußland, und das aus demselben Grunde: weder hier noch dort war ein Plan ersonnen worden. Es gibt keinen Plan – weder einen kapitalistischen noch einen kommunistischen. Und auch sonst keinen. Wir haben Traditionen und Gepflogenheiten, denen wir schüchtern Neuerungen aufzupfropfen versuchen, und sie haben die Schlagworte von Marx und Lenin. Sowohl die Kapitalisten des Westens wie auch die Bolschewiken Rußlands extemporieren und experimentieren und geben sich dabei den Anschein, als wüßten sie genau, was sie tun. Wir großen englischen Geschäftsleute schienen das Wirtschaftsleben des Landes zu leiten, doch die Probe der Nachkriegsjahre bewies, daß wir keinerlei Macht darüber hatten. Wir wurden von den Geschehnissen fortgerissen.

Ich wüßte nicht, daß wir Wiederaufbauer des Westens Ursache hätten, auf die Bolschewiken herabzusehen. Sie gingen daran, das völlig zertrümmerte Rußland von Grund auf neu zu errichten; eine furchtbare Hungersnot und eine Reihe feindlicher Überfälle erschwerten ihre Aufgabe; und sie versagten. Wir, die wir uns in einem zerrütteten und verarmten England an die Arbeit machten, versagten nicht minder. Doch da in Rußland alles vernichtet worden war, ehe sie an den Versuch eines Wiederaufbaues schritten, zeigte sich ihr Mißerfolg in grellstem Lichte. Die Ordnung des Westens hatte wohl schwer gelitten, war aber nicht zusammengebrochen; das Beharrungsvermögen unserer sozialen und ökonomischen Einrichtungen hielt uns über Wasser. Unsere schwächlichen Wiederaufbauversuche gingen in einer wirksamen Erneuerung der alten Ordnung unter, ohne daß ihre Hinfälligkeit offen zutage getreten wäre.

Es gab und gibt keinen Plan. Wenn die rastlos Forschenden unter uns die Grundlinien eines solchen festgelegt haben werden – sie sind an der Arbeit und in ein bis zwei Menschenaltern wird es ihnen gelungen sein –, wenn wir auf dem weißen Blatte der Zukunft ein überzeugendes Bild menschlicher Möglichkeiten entworfen haben werden, dann wird das wahre Zeitalter des Wiederaufbaues gekommen sein. Die absonderlichen Jahre der Hoffnung und der Unzulänglichkeit, die das Menschengeschlecht nach dem großen Kriege durchlebte, werden alsdann als das erste Sich-Regen-Wollen des schlafenden Weltstaates vor dessen endgültigem Erwachen erkannt werden.


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